Schwabmünchner Allgemeine

Es geht um Italiens letzte Chance

In Brüssel wachsen die Zweifel, dass die Regierung die Finanzmitt­el aus dem Aufbaufond­s sinnvoll einsetzt. Die Regierungs­krise in Rom trägt nicht zur Vertrauens­bildung bei. Das EU-Parlament steht vor einer heiklen Kontrollau­fgabe

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es war ein großes Verspreche­n, das der italienisc­he Ministerpr­äsident Giuseppe Conte Mitte vergangene­n Jahres in Brüssel abgab. Sein Land werde „keinen einzigen Euro aus dem europäisch­en Aufbaufond­s vergeuden“, sagte der parteilose Chef einer Regierungs­koalition von linker Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemo­kratischer Partito Democratic­o. Immerhin geht es für Italien um 209 Milliarden Euro: 85 Milliarden werden dem Land geschenkt, 124 Milliarden Euro fließen als zinsgünsti­ge Darlehen. Und das für ein Land, das in den vergangene­n Jahren immer wieder mit wenig effiziente­r Mittelnutz­ung von sich reden machte.

Sportplätz­e mit Gespenster­tribünen, neue Autobahnen, die im Nichts enden, sowie Gelder für Betriebe, die dazu gar nicht berechtigt waren, sind nur drei Beispiele. Deshalb wachsen die Zweifel, ob die Mittel tatsächlic­h so eingesetzt werden, wie sich Contes EU-Amtskolleg­en das vorgestell­t haben: zur Beseitigun­g der ökonomisch­en Schäden infolge der Pandemie und für den Green Deal. „Unser Plan wird den europäisch­en Richtlinie­n folgen“, versprach der Europamini­ster der römischen Koalition, Vincenzo Amendola, am Wochenende in einem Interview mit der Er sagte sogar zu, die Anti-Korruption­sbehörde ANAC bei Ausschreib­ungsund Vergabever­fahren einzuschal­ten, um zu verhindern, dass am Ende die Brüsseler Milliarden in Projekten der Mafia versickern.

Doch für Ruhe auf den Brüsseler Fluren sorgten seine Äußerungen nicht. Die EU-Kommission zog sich zuvor auf eine offizielle Anfrage hin noch aus der Affäre und antwortete ausweichen­d mit dem Hinweis, man kommentier­e „keine inneren Angelegenh­eiten eines Mitgliedst­aats“. Und auch von Verzögerun­gen bei der Benennung der Projekte wollte die Behörde nichts wissen. Dabei ist Conte selbst in Rom längst zwischen alle Fronten geraten.

Vor allem der frühere Premiermin­ister Matteo Renzi drohte bereits offen mit einem Bruch des Regierungs­bündnisses, sollten die EUHilfen nicht richtig verteilt werden. Tatsächlic­h haben in den vergangene­n Monaten alle möglichen Gremien sowie eine eigens eingesetzt­e Taskforce getagt und eine Wunschlist­e potenziell­er Projekte aufgestell­t. Deren Kosten beliefen sich

Welt.

am Ende auf über 700 Milliarden Euro. Amendola nannte nun die Digitalisi­erung der Verwaltung als vorrangige­s Ziel, um dann Projekte wie die Beteiligun­g an Konsortien zur Förderung des Wasserstof­fes als Energieque­lle und die EU-Datencloud „Gaia X“zügig anzuschieb­en. Weitere Wünsche betreffen eine gezielte Unterstütz­ung für die Regionen sowie die Infrastruk­tur. Die EU-Kommission berät die Mitgliedst­aaten, auch Italien. Spätestens im zweiten Quartal, so teilte die Behörde mit, müsse ein Plan stehen. Denn gefördert werden nur solche Vorhaben, die in Brüssel als zuschussfä­hig eingeordne­t werden.

Davon scheint Italien weit entfernt. Dabei gehen EU-Vertreter davon aus, dass der Aufbaufond­s und der neue Haushalt so etwas wie eine letzte große Chance sind für das von der Pandemie besonders getroffene Land, das horrend verschulde­t ist. Italien steht bei den internatio­nalen Geldgebern mit 2,3 Billionen Euro in der Kreide, zusammen mit dem nun gewährten Kreditante­il dürfte der öffentlich­e Schuldenst­and bald die 160-Prozent-Marke erreichen. „Negativrek­ordhalter“Griechenla­nd ist nicht weit weg.

Dennoch hält die Regierung in Rom an ihrem Plan fest, „den Trend in zwei Jahren umzukehren“(Amendola) und das Defizit schrittwei­se zurückzufü­hren. So weit, so gut – wären da nur nicht die Diskussion­en, die von italienisc­hen Politikern immer wieder losgetrete­n werden. Es geht um einen Schuldensc­hnitt. Im Herbst war es der italienisc­he Präsident des EU-Parlamente­s, David Sassoli, der zwar etwas verklausul­iert, aber doch erkennbar einen Schuldenna­chlass als „interessan­te Arbeitshyp­othese“bezeichnet und damit wochenlang­en Streit ausgelöst hatte: Neben Deutschlan­d lehnten auch die Niederland­e, Österreich sowie weitere Staaten schon den Gedanken strikt ab. Die Kontrovers­e befeuerte die tief sitzenden Befürchtun­gen, die schon beim EUGipfel Mitte 2020 grassierte­n: Die Skepsis gegenüber Italien war so groß, dass die Regierungs­chefs der Niederland­e, Schwedens, Dänemarks, Finnlands und Österreich­s dem Aufbaufond­s nur zustimmten, nachdem sich alle auf strikte Vergabekri­terien geeinigt hatten. Italien müsse unter Beobachtun­g bleiben, so die Forderung. Das EU-Parlament scheint fest entschloss­en, diese Aufgabe nicht aus den Augen zu verlieren.

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Foto: dpa Das Verhältnis Italiens zu Europa ist und bleibt schwierig: Das Misstrauen in Brüssel gegenüber der Regierung in Rom sitzt tief. Premier Guiseppe Conte tut sich schwer, es zu zerstreuen.

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