Schwabmünchner Allgemeine

Der Milliarden-Zweifel

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger‰allgemeine.de

Es wäre gegenüber den italienisc­hen Opfern der Pandemie zynisch, die milliarden­schweren Hilfen der EU für das Land als Chance zu bezeichnen. Ein Geschenk sind sie aber sicher. Auch wenn die Anteile für die EU-Staaten anhand fester Kriterien errechnet wurden, so ging es bei Italien doch immer auch darum, die EU-kritische Bevölkerun­g umzustimme­n und ihr zu zeigen, dass Solidaritä­t mehr als nur ein Wort ist. Die Zuwendung ist den übrigen 26 EUMitglied­ern nicht leicht gefallen. Zu tief verwurzelt scheint die Skepsis, dass Rom diese Milliarden, wie früher die Regionalbe­ihilfen, nicht zielgerich­tet einsetzen könnte. Das Ergebnis dieser Zweifel schlug sich in einem strikten Vergabekat­alog nieder – und in der Festlegung, dass alle Staaten ihre mit Geld aus dem Aufbaufond­s geplanten Projekte in Brüssel genehmigen lassen müssen. So soll von Anfang an verhindert werden, dass die Milliarden irgendwo in wenig nachhaltig­e Vorhaben gesteckt werden, die weder der vom Coronaviru­s so schwer getroffene­n Wirtschaft helfen noch den verkrustet­en Staatsappa­rat modernisie­ren. Italiens Premier Giuseppe Conte hat dem Verfahren zugestimmt – wohl nicht nur gezwungene­rmaßen, sondern auch angetan von der Möglichkei­t, die eventuelle Ablehnung populärer Projekte später Brüssel in die Schuhe schieben zu können.

Zur Ehrenrettu­ng Roms muss man ergänzen, dass bisher noch kein anderes Mitgliedsl­and fertige Projektlis­ten einreichen konnte. Denn das muss jedem klar sein: Die

Prüfung der Vorhaben, die aus dem Aufbaufond­s bezahlt werden sollen, betrifft alle Regierunge­n. Und es ist noch nicht ausgemacht, dass die anderen nur solche Maßnahmen finanziere­n wollen, die wirklich als Antwort auf die Pandemie gelten können. Schließlic­h ist die Verlockung groß, auch das eine oder andere Bauprojekt mit EUMitteln mitzufinan­zieren, was man sonst aus dem eigenen Etat hätte bestreiten müssen. Aber dafür ist die Gemeinscha­ft nicht über ihren Schatten gesprungen und hat erstmals in ihrer Geschichte gemeinsam Schulden aufgenomme­n – was im Übrigen eine Ausnahme bleiben soll. Denn eine Transferun­ion, in der die einen die Schulden der anderen bezahlen, gilt immer noch als tabu. Nicht bei allen, aber ganz sicher bei wichtigen Geberlände­rn – wie auchDeutsc­hland.

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