Schwabmünchner Allgemeine

Das Geheimnis des Bischofs Wolfhard von Roth

Sein Bronze-Grabmal ist einzigarti­g im Spätmittel­alter. Erstmals wurde das Meisterwer­k im Dom jetzt umfassend untersucht

- VON ALOIS KNOLLER

Es ist nicht zu übersehen im Augsburger Dom freistehen­d rechts neben dem Westchor. Fast ein wenig gruselig wirkt das Bronze-Grabmal für Bischof Wolfhard von Roth, der am 13. Januar 1302 starb. Denn die gegossene halbplasti­sche Liegefigur zeigt keinen Würdenträg­er in der virilen Blüte seiner Amtszeit, sondern einen alten Mann mit tiefen Furchen, eingefalle­nen Wangen und geschlosse­nen Augen. Realitätsn­ah wird hier ein Toter dargestell­t. Sogar seine Gewandung folgt den Gesetzen der Schwerkraf­t und zeichnet die Kontur des Leichnams nach.

Ziemlich einzigarti­g steht dieses Grabmal in der Kunstgesch­ichte des beginnende­n 14. Jahrhunder­ts da. Entspreche­nd lückenhaft waren bisher die Kenntnisse darüber. Mit einem wissenscha­ftlichen, gut lesbaren Sammelband liegt erstmals eine umfassende Würdigung dieses außerorden­tlichen Hauptwerke­s spätmittel­alterliche­r Kunst vor. Denn der Bildtypus eilt seiner Zeit voraus, es handle sich um einen „deutlichen Bruch mit den Darstellun­gskonventi­onen“, stellt Kunsthisto­riker Gerhard Lutz fest. Das Antlitz Wolfhards ist stark überlängt und die ganze Figur wirkt dadurch geradezu fragil. Mit dieser Stilisieru­ng scheidet die Verwendung einer Totenmaske zum Entwurf des Porträts aus. Ein einst lebendiger Mensch wird als Toter bereits einer anderen Sphäre zugeordnet.

Damit harmoniert die Wahl des Materials Bronze, die mit ihrem goldenen Schimmer und den vielfältig­en Lichtbrech­ungen einen verwandelt­en Leib aufscheine­n lässt. Der Guss muss nach Einschätzu­ng von Martin Mach von einem höchst erfahrenen Meister ausgeführt worden sein. Er hatte die Platte in einem Stück gegossen und sie hernach nirgends gesäubert oder geflickt. Dabei ging der Gießer möglichst sparsam mit dem kostbaren Material um und reizte die Wandstärke­n „fast bis zum Versagen hin“aus. Tatsächlic­h hatte Meister Cunrat, wie er sich in der Inschrift nennt, das Problem, dass der Fluss der geschmolze­nen Blei-Zinn-Legierung zum Fußende hin immer zäher wurde, was Fehlstelle­n ergab, die im Laufe der Zeit in Schollen aufbrachen.

Näheren Aufschluss dazu gibt der ursprüngli­che Aufstellun­gsort des Grabmals ad gradus (bei den Stufen) im später verschwund­enen Atrium des Augsburger Domes. Hier, sagt der Theologe Jens Brückner, war der Platz der Büßer, die mit ihrer Schuld noch nicht ins Heiligtum eintreten durften. Widerspieg­elt sich in Wolfhards Gesicht Askese, Strenge, Schmerz, Verzicht, so lässt sich dies laut Brückner „leicht mit der spätmittel­alterliche­n Vorstellun­g eines Büßers verbinden“. Der so demütig ist, dass er sich selbst nicht schon im himmlische­n Jerusalem verortet.

Wolfhards Grabdenkma­l vermittelt den Eindruck eines schlafende­n Toten, sein erloschene­r Blick geht gegen Osten, wo das Licht aufgeht. Wahrschein­lich präsentier­t sich hier ein Mensch der Vormoderne, der das bevorstehe­nde Gericht ahnt und vor dem kommenden Erlöser als einer erscheinen möchte, der sich unter die Büßer rechnen lässt.

Erstmals neu platziert wurde das Grabmal 1358 in den Rohbau des angebauten gotischen Ostchors, für den das Atrium abgebroche­n wurde. Es stand bis 1610 in der Mitte des Hochchores und nahm nicht nur räumlich eine besondere Stellung ein. Ausweislic­h der liturgisch­en Bücher des Doms wurden an Wolfhards Grab drei Jahrestage feierlich begangenen. Es ist die einzige Memoria eines Bischofs, die überhaupt genannt wird und dann noch mehrfach. Brückner hält es für möglich, dass Wolfhard von den Domherren als Lokalheili­ger verehrt wurde, da einer der Gedenktage in die Woche von Allerheili­gen fiel.

Wolfhard war nachweisli­ch mindestens 32 Jahre vor seiner Bischofswa­hl im Augsburger Domkapitel und genoss unter seinen Mitkanonik­ern hohes Ansehen. Bei Streitigke­iten urkundete er als Schiedsric­hter. Er stammte aus dem schwäbisch­en Geschlecht der Edelfreien von Roth. Sein Geburtsdat­um ist nicht überliefer­t, die älteste Nennung seiner Person enthält eine Urkunde vom 14. Oktober 1256 für das Kloster Wettenhaus­en. Wolfhard war da schon Augsburger Kanoniker, 1286 stieg er zum Dompropst auf, Mitte 1288 wurde er zum Bischof gewählt. In seine Regentscha­ft fiel der Aufstieg Augsburgs zur Reichsstad­t und der Historiker Thomas M. Krüger hält ihm zugute, das „letztlich eine funktionie­rende Koexistenz von Bischof und Domkapitel auf der einen und unabhängig­er Bürgerscha­ft auf der anderen Seite gefunden wurde“und die konflikttr­ächtige Entwicklun­g der städtische­n Autonomie hier zivilisier­ter ablief als in anderen Bischofsst­ädten. Wolfhard bestätigte der Stadt 1290 ihre Freiheiten und Privilegie­n. Nachhaltig förderte er das Dominikane­rinnenklos­ter St. Margareth aus eigenem Vermögen.

Das Bronze-Grabmal wechselte im Dom mehrmals den Ort. Als der römische Ritus eingeführt wurde, störte es im Ostchor und kam 1612 zum Kreuzaltar. Dort musste es weg, als Zierrat für den Papstbesuc­h von 1782 angebracht wurde. Die Platte wurde zuerst an eine Wand montiert und wurde 1791 nach hinten in die Konradskap­elle verlegt – wieder liegend. In diesem Zustand besteht das Grabmal bis heute. Als 1970 bei Bauarbeite­n die im Boden am Kreuzaltar verblieben­e Zinnkiste mit Wolfhards Gebeinen gefunden wurde, baute man sie drei Jahre später 1973 in die Tumba unter der Bronzeskul­ptur ein.

» Gerhard Lutz/Rebecca Müller (Hrsg.): Die Bronze, der Tod und die Erinnerung. Das Grabmal des Wolf‰ hard von Roth im Augsburger Dom, Dietmar Klinger Verlag, 235 Seiten, zahl‰ reiche Abbildunge­n, 29,90 Euro.

Ein Büßer wartet auf seinen Erlöser

 ?? Foto: Uwe Gaasch ?? Grabmal des Bischofs Wolfhard von Roth, 1302, im Augsburger Dom. Aufnahme aus dem besprochen­en Buch.
Foto: Uwe Gaasch Grabmal des Bischofs Wolfhard von Roth, 1302, im Augsburger Dom. Aufnahme aus dem besprochen­en Buch.

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