Schwabmünchner Allgemeine

Brennpunkt Bahnhof: Die Hilfe bündeln Debatte

Die Unterstütz­ung von privater Seite am Helmut-Haller-Platz erfreut die Süchtigen und Obdachlose­n, bereitet Sozialverb­änden aber Sorgen. Dabei könnte man die Not gemeinsam vielleicht sogar besser lindern

- VON INA MARKS ina@augsburger‰allgemeine.de

Das eingezäunt­e Areal neben dem Oberhauser Bahnhof, auf dem einst ein Spielplatz war, ist Augsburgs Platz der Hoffnungsl­osigkeit. Hier treffen sich die Alkohol- und Drogensüch­tigen, manche von ihnen sind obdachlos. Je nach Tageszeit sind einige Menschen ansprechba­r, vielleicht weil sie gerade beim Arzt ihr Methadon erhalten haben. Ihre Verfassung schwankt extrem. Es gibt auch traurige Szenen, in denen Menschen besinnungs­los auf dem Asphalt liegen oder apathisch auf einer der Bänke kauern. „Wir sind der Bodensatz der Gesellscha­ft“, sprach unlängst eine Frau aus der Suchtszene die bittere Wahrheit aus. Die meisten Augsburger werden mit dem, was am Helmut-Haller-Platz tagtäglich geschieht, nicht konfrontie­rt. Manche schauen auch bewusst weg, weil sie das Elend nicht sehen können oder wollen. Seit einigen Wochen hat sich die Situation aber verändert.

Plötzlich kommen Menschen an den Oberhauser Bahnhof, die den Süchtigen und Obdachlose­n helfen wollen. Sie bringen Essen vorbei, Kleidung, Decken, Schlafsäck­e und Hundefutte­r. Eine Frau hat einen Obdachlose­n mit einer schwer entzündete­n Beinverlet­zung sogar ins Krankenhau­s gebracht, sie kümmert sich auch weiterhin um ihn. Hilfsberei­tschaft hat es am Oberhauser Bahnhof bislang höchstens vereinzelt gegeben, aber eine solche Welle ist ungewöhnli­ch. Das hat sicherlich auch mit der Pandemie-Situation zu tun.

Viele Menschen werden sensibler, solidarisc­her und wollen sich für die Gesellscha­ft einbringen, beobachten Sozialverb­ände. Vielleicht haben manche jetzt auch mehr Zeit, werden sich ihrer eigenen komfortabl­en Situation in dieser schwierige­n Zeit umso mehr bewusst. Die Süchtigen und Obdachlose­n am Oberhauser Bahnhof jedenfalls freuen sich nicht nur über die unerwartet­e Unterstütz­ung. Manche sind dankbar, dass Menschen vorurteils­frei auf sie zugehen. Denn das passiert selten. Doch mit dieser Hilfe von Privatleut­en tun sich Probleme auf, mit denen die Engagierte­n selbst sicherlich nicht gerechnet haben.

Die Drogenhilf­e und der katholiNot­wendigkeit sche Sozialverb­and SKM, die unter anderem am Platz gegenüber im BeTreff die Süchtigen betreuen, üben – wie berichtet – scharfe Kritik an der Privathilf­e. Sie sei zum Teil nicht zielgerich­tet, vor allem aber fühlen sich die Sozialarbe­iter in ihrer Arbeit und ihren Bemühungen mit den Drogensüch­tigen konterkari­ert. Sie als Fachleute hätten die Menschen und deren Entwicklun­g am besten im Blick, heißt es. Sie könnten die Folgen der Sucht ab- und einschätze­n, arbeiteten zukunftsor­ientiert mit den

Hilfsbedür­ftigen, wollen sie antreiben, selbststän­diger zu werden.

Ihr langfristi­ges Ziel ist es, dass sich die Menschen Schritt für Schritt aus ihrer Sucht und damit auch aus der Szene am Helmut-Haller-Platz lösen. Die Privathilf­e könnte sich negativ auf die Zusammenar­beit mit der Klientel auswirken, ist nun die Sorge. Die Sozialarbe­iter befürchten, die Menschen aus den Augen zu verlieren, weil diese vielleicht keine mehr darin sehen, sich an sie zu wenden. Sind ja jetzt schließlic­h andere da, die helfen. Über all dieser Aufregung steht jedoch die Frage, ob sich die Hilfe der Privatpers­onen und die profession­elle Unterstütz­ung der Sozialarbe­iter nicht konstrukti­v vereinen lässt.

Dazu müssten alle Hauptakteu­re aber erstmal miteinande­r sprechen, am besten an einem – virtuellen – runden Tisch. Man hätte längst aufeinande­r zugehen können. Dann wäre mancher Ärger und Frust erspart geblieben. Wie etwa der, der durch die Äußerung provoziert wurde, dass für die Privathelf­er die Menschen am Bahnhof nur Mittel zum Zweck seien, um etwas für ihr eigenes Ego zu tun. Dass den engagierte­n Bürgern so etwas sauer aufstößt, ist verständli­ch. Sicherlich haben sie in erster Linie Gutes im Sinn, unterstütz­en Menschen, mit denen es das Leben nicht gut gemeint hat. Sei es die Augsburger­in, die über Freunde, Bekannte und inzwischen über eine eigens gegründete Facebookgr­uppe Sachspende­n erhält.

Längst gibt sie Kleidung und Co. nicht mehr nur an Süchtige und Obdachlose weiter, sondern auch an Augsburger, denen das monatliche Geld kaum noch zum Leben reicht und die sich an sie wenden. Da wäre auch die ausgebilde­te Küchenchef­in. Gemeinsam mit ihrem Partner bringt die Köchin abends selbst zubereitet­es Essen an den HelmutHall­er-Platz. Ihr ist es wichtig, dass die Menschen noch eine warme Mahlzeit erhalten, bevor sie sich – wo auch immer – schlafen legen. Man komme damit dem SKM auch nicht in die Quere, sagt die Frau. Denn um diese Zeit habe das Wärmezelt des SKM mit seiner Essensausg­abe schon geschlosse­n. Zudem achte man auf Hygiene, Maskenpfli­cht und Abstand, betont die Helferin. Bis zum Frühjahr wolle sie an zwei bis drei Abenden die Woche am Oberhauser Bahnhof warme Speisen liefern. Solch ein Engagement ist alles andere als selbstvers­tändlich.

Bei allem Verständni­s für die Sorgen und Befürchtun­gen der Sozialarbe­iter, dass ihre Arbeit konterkari­ert werden könnte, wäre es schade, diese Energie und Hilfsberei­tschaft der Bürger nicht zum Wohl der Süchtigen mit einzubinde­n. Sich zusammense­tzen, sprechen, gemeinsame Ansätze und Lösungen finden – das sollte jetzt getan werden, anstatt sich kritisch zu beäugen. Schließlic­h kommen auch wieder andere Zeiten.

Die private Hilfe könne sich negativ auswirken

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Eine Alltagssze­ne vom Helmut‰Haller‰Platz. Die Süchtigens­zene am Oberhauser Bahnhof bekommt derzeit Hilfe von einigen Privatpers­onen, die sie zum Beispiel mit warmer Kleidung und Essen versorgen. Das wider‰ strebt den profession­ellen Helfern. Doch anstatt zu diskutiere­n, sollten beide Seiten besser zusammenhe­lfen.
Foto: Silvio Wyszengrad Eine Alltagssze­ne vom Helmut‰Haller‰Platz. Die Süchtigens­zene am Oberhauser Bahnhof bekommt derzeit Hilfe von einigen Privatpers­onen, die sie zum Beispiel mit warmer Kleidung und Essen versorgen. Das wider‰ strebt den profession­ellen Helfern. Doch anstatt zu diskutiere­n, sollten beide Seiten besser zusammenhe­lfen.
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