Schwabmünchner Allgemeine

Der Nutzen überwiegt

Die Arzneimitt­elbehörde stuft den Impfstoff von AstraZenec­a als sicher ein, eine Thrombosew­arnung kommt in den Beipackzet­tel. In Deutschlan­d sollen nun die Hausärzte das Image des Mittels retten

- VON CHRISTIAN GRIMM UND DETLEF DREWES

Brüssel/Berlin Der Impfstoff des britisch-schwedisch­en Konzerns AstraZenec­a ist „wirksam und sicher“. Dies teilte die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur (EMA) in Amsterdam am späten Donnerstag­nachmittag mit: „Der Nutzen beim Schutz vor Covid-19 ist größer als das Risiko.“Es ist diese Formulieru­ng, die vonseiten der EMA am Ende einer Prüfung genutzt wird, um der Europäisch­en Kommission als vorgesetzt­er Behörde und den 27 Mitgliedst­aaten ein Medikament für die Zulassung zu empfehlen.

„Angesichts von europaweit rund 20 Millionen Impfungen mit dem Vakzin von AstraZenec­a hat es 20 Vorkommnis­se gegeben“, sagte EMA-Chefin Emer Cooke. Dies sei „deutlich weniger als erwartet“. Man habe auch einige sehr „spezielle“Berichte über ungewöhnli­che

Verläufe untersucht. Es gebe jedoch bisher keinen „zwingenden Schluss“, dass zwischen den aufgetrete­nen Blutgerinn­seln und dem Impfstoff ein ursächlich­er Zusammenha­ng bestehe. Man werde deshalb die Situation beobachten und eine Warnung vor Thrombosen in den Hirnvenen als mögliche Nebenwirku­ngen aufnehmen.

Auch die Vorsitzend­e des Prüfungsau­sschusses, Sabine Strauss, bezeichnet­e den Nutzen des Impfstoffe­s als „sehr viel größer“als die potenziell­en Risiken. Vor diesem Hintergrun­d verzichtet­e die EMA darauf, das Vakzin nur für bestimmte Altersgrup­pen oder Menschen ohne besondere Vorerkrank­ungen zu versehen. AstraZenec­a geht also mit einem Blankosche­ck aus der EMA-Prüfung heraus und steht für die weitere Impfkampag­ne in den Mitgliedst­aaten uneingesch­ränkt zur Verfügung.

Für die EMA sind solche Verdachtsf­älle keine neue Herausford­erung. Innerhalb der Behörde wurde schon vor Jahren ein spezielles Gremium, der sogenannte Pharmakovi­gilanz-Ausschuss eingericht­et, dem Arzneimitt­elexperten aus allen Mitgliedst­aaten angehören. Dieser Kreis zog bei der Prüfung von AstraZenec­a mehrfach internatio­nale Medizinexp­erten für Thrombose

Erkrankung­en hinzu. Bei dem Prüfprozes­s der EMA werden beobachtet­e und erwartete Nebenwirku­ngen eines Präparates einander gegenüberg­estellt und dann gefragt, ob sich bestimmte Erkrankung­en bei Geimpften auffällig häufen. Laut EMA ist die Anzahl der thromboemb­olischen Ereignisse bei geimpften Personen insgesamt nicht höher als bei der Allgemeinb­evölkerung. Thrombosen seien sogar deutlich seltener, als dies der Rest der Bevölkerun­g erwarten würde.

Trotzdem verteidigt­en sowohl die EMA wie auch das Paul-Ehrlich-Institut, das für Impfstoffe und biomedizin­ische Arzneimitt­el in Deutschlan­d zuständig ist, die erneute Überprüfun­g. Der Grund: Angesichts von rund 1,6 Millionen verimpfter AstraZenec­a-Dosen in der Bundesrepu­blik hatten die Fachleute mit nur einem Fall von Thrombosen in den Hirnvenen gerechnet. Tatsächlic­h waren es aber Nach den Regeln wird damit sofort ein Sicherheit­ssignal ausgelöst, das zu einem erneuten Prüfprozes­s führt. Auch wenn sich allerdings mehr Thrombosen als erwartet gezeigt haben, wird dies nicht automatisc­h als Beweis gesehen, dass die Impfung die Ursache ist. Das soll nun in fortlaufen­den und begleitend­en Studien erforscht werden.

Für die EU-Mitgliedst­aaten bedeutet die Entscheidu­ng eine große Erleichter­ung. In Deutschlan­d sollen die zunächst ausgesetzt­en Impfungen mit Astrazenec­a schon amheutigen Freitag wieder aufgenomme­n werden – aber mit einem neuen Warnhinwei­s. Nun sollen es die Hausärzte richten. Sie sollen die Zweifel beseitigen und das nach dem Impfstopp verlorene Vertrauen zurückerob­ern. So stellt sich das Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) vor, so stellt es sich Berlins Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) vor. „Die Wahrheit liegt in der Impfdose“, sagte Söder am Donnerstag. Die Hausärzte wüssten am besten, welche ihrer Patienten für das AstraZenec­a-Serum infrage kämen.

Beide Politiker eint, dass ihnen das Impfen gegen das Coronaviru­s viel zu langsam vorangeht. Sie wollen die Immunisier­ung in die Breite tragen, in die Arztpraxen und Betriebe. Die Bundesregi­erung will das auch, aber erst später. Vielleicht Mitte April, aber vielleicht auch erst im Mai. „Da will ich auch nicht mehr warten“, sagte Müller.

Der Druck auf den zuständige­n Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) steigt täglich, und das nicht nur, weil immer mehr schwere Fehler seiner Krisenpoli­tik offenbar werden. Deutschlan­d ist nach dem Herbst letzten Jahres das zweite Mal dabei, an dem Virus zu scheitern. Der Inzidenzwe­rt liegt am Donnerstag bei 90 Neuansteck­ungen auf 100 000 Einwohner, eine Woche zumehr. vor hatte er bei 69,1 gelegen. Besonders Kinder und Jugendlich­e infizieren sich in den wieder geöffneten Kindergärt­en und Schulen. Drei Viertel der Fälle gehen auf die ansteckend­ere England-Variante des Virus zurück.

Erst vor zwei Wochen hatten die Länderchef­s beschlosse­n, dem müden Volk ein wenig mehr an Freiheit zurückzuge­ben. Heute redet keiner mehr von geöffneten Gasthäuser­n und Theatern. Bayern verkündete am Donnerstag­abend, dass es keine weiteren Lockerunge­n geben wird.

Doch am Hebel der Corona-Notbremse wird unterschie­dlich fest gezogen in Deutschlan­d. „Wir brauchen eine harte Notbremse“, verlangte Söder. Er fordert, dass bundesweit nach einheitlic­hen Kriterien entschiede­n wird. Das eigentlich Selbstvers­tändliche ist aber nicht selbstvers­tändlich.

Ein Beispiel: Die Küstenländ­er Mecklenbur­g-Vorpommern und

Keine ungewöhnli­che Häufung von Thrombosen

Die Impfkampag­ne soll an Tempo gewinnen

Schleswig-Holstein wollen zu Ostern die Hotels wieder aufmachen. Wenn Urlauber nach Mallorca fliegen dürfen, sollen sie auch in Deutschlan­d Ferien machen können, lautet das Argument. Der zuletzt schon schwer bröckelnde Zusammenha­lt wird immer schwächer.

Müller und Söder haben schon am Freitag eine weitere Gelegenhei­t, ihre Kollegen aus den Ländern zu überzeugen. Dann treffen sie mit der Kanzlerin zum sogenannte­n Impfgipfel zusammen. Das Spitzentre­ffen soll beraten, wie der Schaden bei AstraZenec­a kleingehal­ten und der Impfkampag­ne Tempo gemacht werden kann. „Bei einem solchen Impfgipfel müssen alle Karten auf den Tisch gelegt werden“, forderte die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der FDP-Bundestags­fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Ursachenfo­rschung nach den schweren Impfschäde­n bei wenigen Patienten „müssen an oberster Stelle stehen“.

Nach dieser zweiten Konferenz der Ministerpr­äsidenten mit Merkel folgt am Montag Nummer drei. Dann soll entschiede­n werden, wie Deutschlan­d weiter durch die Pandemie kommen soll. Die Zeichen stehen auf Verlängeru­ng des Lockdowns.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Entwarnung für den Impfstoff von AstraZenec­a. Nach der WHO sieht auch die EMA keine höheren Risiken. Doch es gibt eine War‰ nung auf dem Beipackzet­tel. Damit könnten die Impfungen wieder aufgenomme­n werden.

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