Außer Atem
Der 28-jährige Peter Lersch hat seine halbe Familie an Weihnachten mit Corona angesteckt. Die Folgen, das sogenannte Post-Covid-Syndrom, begleiten ihn und seine Freundin bis heute
Augsburg Mittlerweile macht Peter Lersch, 28, sich nicht einmal mehr die Mühe, das Essen zu salzen. Denn für seine Freundin Leah ist Bratwurst gleich Sauerkraut, Senf gleich Ketchup, Kaffee gleich Saft. Für das Paar aus Nordbayern waren die ersten beiden Januarwochen 2021 ein einziger Trott, denn beide haben sich Ende 2020 mit Corona infiziert. Nach ihrer Erkrankung waren sie eingesperrt in ihrer 60-Quadratmeter-Wohnung, zwei Zimmer, Küche, Bad. Doch der Geschmacksverlust ist nicht die einzige Folge ihrer Covid-Erkrankung, mit der die beiden lange zu tun haben werden.
Rückblick, Mitte Dezember 2020. In gut einer Woche ist Weihnachten, die Geschenke sind besorgt und Peter Lersch, der in Wirklichkeit anders heißt, arbeitet von nun an nur noch von zu Hause aus. Seine Freundin Leah macht das schon seit einigen Monaten so. Bei Lersch selbst dient diese Maßnahme vor allem der Vorsicht – dem gläubigen Christen ist Weihnachten im Kreise der Familie wichtig, so ist es schon seit seiner Geburt. Alle sollen zusammenkommen, der Bruder, die Eltern, Oma, Opa. Dafür haben sich alle für die eine Woche vor Heiligabend von der Öffentlichkeit abgeschottet, gehen kaum einkaufen.
Und sie haben sich auf Corona testen lassen. Peter Lerschs Schnelltest war negativ, auch der seiner Freundin und die der übrigen Weihnachtsgäste. Für den 24. Dezember war alles angerichtet. Kurz nach dem besinnlichen Fest dann der Schock: „Ich bekam einen Anruf aus der Arbeit, ein Kollege hatte sich mit Corona infiziert“, berichtet der 28-Jährige. Auch Lersch fühlte sich matt, bekam Fieber und habe sich daraufhin abermals testen lassen, kurz nach Weihnachten kein leichtes Unterfangen: „Wir haben drei Tage auf den Termin warten müssen, bis dahin hatten wir alle – also meine Mutter, meine Freundin und mein Bruder – auch Symptome.“
Und die kamen heftig: „Wir lagen tagelang im Bett, haben kaum etwas machen können“, erzählt Lersch. Gleiches galt auch für den jüngeren Bruder und die Mutter, beide hatten schwere Grippesymptome. Die anderen Familienmitglieder, die bei der Weihnachtsfeier anwesend waren, blieben von der Infektion verschont. Bei Lersch selbst waren die Symptome derweil umso schlimmer. Sehr schlecht sei es ihm gegangen, erzählt er. Er sagte sogar einen virtuellen Auftritt zwischen den Feiertagen ab. Denn Lersch ist Hobby-DJ und möchte das Handwerk durch regelmäßige LiveStreams nicht verlernen und trotz der Pandemie nicht von der Bildfläche verschwinden. Seine Auftritte sind ihm sehr wichtig.
Eigentlich tanzt er selbst zu der Musik, in seinem Zustand war das jedoch nicht möglich. „Ich konnte ja kaum aufstehen“, sagt der 28-Jährige. Sofort sei ihm dann übel geworden, schwindelig, nicht zum Bewegen zumute. „Knapp zwei Wochen, bis in den Januar hinein ist das so geblieben“, erzählt Lersch, dann wollten seine Freundin und er erstmals wieder spazieren gehen. „Die Trep
hinunter aus dem Haus waren schon nicht leicht“, dann erschien den beiden auch die kleine Wanderung durchs Grüne als etwas ambitioniert. Herauskam ein kurzer Spaziergang um den Block.
So wie Peter Lersch und seiner Freundin Leah geht es vielen Menschen, die an Corona erkrankt sind. Manche leiden sogar noch ein Jahr nach einer Infektion an Atembeschwerden, schlechter Kondition und Schlappheit. Das Ausmaß sei jedoch bei jedem Menschen individuell ausgeprägt, sagt der Augsburger Kardiologe Rolf von der Ropp, der nach eigener Aussage täglich zwei bis drei Patienten oder Patientinnen mit sogenanntem Post-Covid-Syndrom betreut. Schwierig werde es, wenn es um sportliche Aktivitäten geht. Dann empfiehlt von der Ropp eine gründliche kardiologische Untersuchung: „Einfach so wieder mit dem Sport zu beginnen, könnte gefährlich werden.“Patienten mit
Luftnot und Brustschmerzen sollten deshalb seiner Auffassung nach definitiv einen Facharzt oder eine Fachärztin aufsuchen.
Stärker als das Herz sei jedoch die Lunge betroffen, sagt Andreas Hellmann. „Erst einmal löst Covid-19 eine Lungenentzündung aus“, erklärt der Augsburger Lungenfacharzt. „Es können jedoch auch andere Organe wie die Niere oder die Leber betroffen sein.“Warum die Krankheit derart viele unterschiedliche Ausprägungen hat, sei derzeit noch unklar. „Zu uns kommen Menschen mit Atembeschwerden“, sagt Hellmann – doch was kommt danach?
„Die Schäden können massiv sein und im schlimmsten Fall eine Lungentransplantation notwendig machen.“Das habe vor allem mit dem Grad der Vernarbung der Lunge nach einer Corona-Infektion zu tun. Was bleibt, sind Folgeschäden, die nur zum Teil erforscht sind. Dazu gehöre zum Beispiel die „Coronapen
Fatigue“, also die schnelle Erschöpfung bei körperlicher Anstrengung, diese könne sich über Monate ziehen, sagt Hellmann. „Wichtig ist dann, dass der Patient oder die Patientin Ruhe findet, auch eine Kortison-Therapie ist möglich.“
Eine solche Behandlung hat Peter Lersch noch nicht erhalten. Gut einen Monat nach seiner Infektion steht er am Ufer eines Sees und blickt in die Ferne. Hierhin sind seine Freundin und er übers Wochenende gefahren, eine kleine Auszeit von den vergangenen Wochen. Es ist nicht sein erster Spaziergang, seit er negativ getestet wurde. Doch lange hält er das Laufen nicht aus. „Wir wandern nicht mehr, fahren nicht mit dem Fahrrad, können uns generell nicht wirklich anstrengen.“
Doch was die beiden besonders nervt, ist der Geschmacksverlust. „Bei mir war das kein Problem, Leah schmeckt und riecht aber noch immer nichts“, erzählt er. Mittlerweile sei sie dazu übergegangen, besonders scharfe oder saure Gerichte zu essen, dann spüre sie zumindest ein wenig den intensiven Geschmack. „Langsam ist es aber frustrierend“, sagt sie. „Es nimmt einem die Freude am Essen.“Auch das Joggen vermissen die beiden.
Eine weitere Rolle bei ihrer erzwungenen Passivität spiele die Angst vor einer Folgeerkrankung, wie einer Herzmuskelentzündung oder Ähnlichem. Hierfür stuft Kardiologe von der Ropp das Risiko als hoch ein: „Es gab auch schon junge Patienten, die im Zusammenhang mit Covid-19 einen Schlaganfall hatten“, sagt der Kardiologe.
Hat Peter Lersch deshalb Angst? „Das nicht, aber es ist kein schönes Gefühl.“Schließlich seien da die Vernarbung der Lunge und die schlechte Kondition. „Mich ärgern auch unsere schlechten Aussichten auf eine baldige Impfung.“Denn durch die Infektion sind die beiden Mittzwanziger in der Impfreihenfolge ganz nach hinten gerutscht. „Das ist schon eine Belastung“, sagt Lersch. Wann er selbst wieder joggen gehen kann, kann er nicht sagen. Mittlerweile legt er wieder in seinem Wohnzimmer auf – Hüttengaudi, Unrat-Special, Schlagerabend. Diesmal ist sogar Tanzen drin. Ein klein wenig zumindest.