Schwabmünchner Allgemeine

Das Taumeln des Titanen

Dieter Bohlen ist bei „DSDS“vom Thron gestoßen. Skrupellos hat er Laien-Lebensträu­me geschlacht­et. Ein Kotzbrocke­n. Aber auch ein Liebling von Millionen. Eine Zumutung. Aber auch ein Volltreffe­r fürs Showgeschä­ft. Und jetzt?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ist es das nun? Das endgültige Taumeln des Titanen der deutschen Pop-Musik? Die Gottesdämm­erung im deutschen Show-Geschäft? Oder das längst überfällig­e Abwracken der personifiz­ierten Entertainm­entkatastr­ophe? Die höchst korrekte Korrektur der größtmögli­chen (Selbst-)Überschätz­ung? Hop oder top? Jedenfalls: Nein, eine Nummer kleiner geht es hier nicht. Denn schließlic­h ist die Rede von: Dieter Bohlen! Da sind totale Plakativit­ät und maximale Zuspitzung eben Prinzip. Daumen rauf oder Daumen runter: Ist das der Cäsarenmor­d im deutschen Unterhaltu­ngsbusines­s?

Dabei stand er doch eben noch da: Der Dieter, Superstar in Jeans und Turnschuhe­n, unverkennb­ar mit der noch immer blonden Föhnwelle und dem bübischen Grinsen, vor noch nicht mal eineinhalb Jahren auf der Bühne der Münchner Olympiahal­le. Und Tausende jubelten ihm zu, als er endlich wieder Hits wie „Jeronimo’s Cadillac“und „You’re My Heart, You’re My Soul“live spielte – oder natürlich das zuletzt auch noch mal im Cover des Rappers Capital Bra Top-Hit-taugliche „Cheri, Cheri, Lady“. Musik aus seiner gleich weltweiten Durchbruch­szeit mit Modern Talking aus den 80ern, fortgesetz­t in einem unerreicht erfolgreic­hen Comeback um die Jahrtausen­dwende …

Gut, das Konzert an diesem Dezemberab­end 2019 in München mag nicht annähernd ausverkauf­t gewesen sein, die Halle nur halb voll, die restliche Tour mag dann offiziell wegen, nun ja, Überlastun­g des Stars abgebroche­n – und auch aus dem groß angekündig­ten neuen Album mag nichts geworden, doch nur ein „Mega“-Best-Of erschienen sein. Aber hatten sie nicht trotzdem recht, die begeistert­en Zuschauer in der Olympiahal­le, als sie sich in Scharen bis in die oberen Ränge erhoben und skandierte­n: „Ein’ Dieter Bohlen, es gibt nur ein’ Dieter Boooooohoo­len“? Denn was der erreicht hat, als Interpret, Produzent und Songwriter, sucht in Deutschlan­d doch tatsächlic­h seinesglei­chen. Neben Modern Talking ja auch mit Blue System. Dazu die Verdienste um Stars wie Chris Norman, Katja Ebstein, Roland Kaiser früher und später etwa Andrea Berg, DJ Ötzi, Beatrice Egli. Mit all ihren von Dieter geschriebe­nen Hits und produziert­en Top-Alben. Dazu die ganze Entwicklun­g von Karrieren wie die eines Pietro Lombardi bis an die Spitze der deutschen Hitparaden…

Und eben saß er doch auch noch da: Der Dieter, eben Cäsar des deutschen Entertainm­ents. Inthronisi­ert vor bald 20 Jahren an der Spitze der Fernsehsho­w „Deutschlan­d sucht den Superstar“und ergänzt durch „Deutschlan­d sucht das Supertalen­t“, über insgesamt mehr als 30 Staffeln hinweg. Das Gesicht der hiesigen Adaptionen von internatio­nalen Show-Erfolgen war er, die typisch deutsche Note wurde seine typische Benotung der Bewerber: „Du klingst wie ein Schaf, das an den Elektrozau­n pinkelt.“Entweder voller Häme oder voller Überwältig­ung – Millionen verfolgten unverbrüch­lich all die Jahre, wie er den Daumen stets entschiede­n senkte oder hob, warteten darauf, dass er dabei den nächsten Spruch raushaute, der Dieter. „Wenn du jetzt 3000 Prozent besser singst, könntest du eventuell Scheiße erreichen.“Gnadenlose­s Entertainm­ent eben, mit Ihro Gnaden Bohlen als die Instanz, wer Talent hat und wer das Zeug zum Erfolg. In Selbstbesc­hreibung: „Ich würde auch fünf Kilogramm Hackfleisc­h in die Charts kriegen.“

Und jetzt das: Die Show soll, ihr Sender RTL will seriöser werden und setzt den Titanen vor die Tür! Geht das? Ist das nicht Majestätsb­eleidigung? Jedenfalls: Sollen die

„RTL“und „seriös“künftig in einem gemeinsame­n Satz verwendet werden können, ohne dass es sich dabei um Satire handelt, muss es wohl tatsächlic­h ohne Bohlen sein. Denn der und seriös: Wie sollte das gehen? Mit einem, der einfach mal zu einer Frau vor Millionenp­ublikum sagt: „Du bekommst ein kleines Ja vom großen Dieter, und ein großes Ja vom kleinen Dieter.“Denn das ist ja nicht die Bühne für prolliges Promi-Kabarett, sondern die Schlachtba­nk für Laien-Lebensträu­me. „Du kneifst die Augen zusammen wie ich beim Kacken“?

Und dann natürlich auch noch das: Die, die ihn sowieso nie mochten, können es ihm jetzt endlich heimzahlen. Der Spiegel, der ihm zu Zeiten von Modern Talking schon hämisch dankte, dass wenigstens die Songtexte auf Englisch seien, was ermögliche, zumindest ihre Inhalte überhören zu können, dieses Magazin, das ihn immer eher als Schlagerfu­zzi denn als Pop-Titan behandelte, haut nun selber raus: Nennt Bohlen zum „Abschied“einen „Protzbrock­en“. Und, ja, kotzt sich regelrecht über ihn als Speerspitz­e des „Demütigung­sfernsehen­s“aus.

Alles mal wieder einerseits-anderersei­ts also? Mal wieder ein gespaltene­s Verhältnis der Deutschen zu einem Helden, ein komplexes Phänomen? Nein, das ist ja das Herrliche bei Dieter Bohlen: Es stimmt einfach alles gleichzeit­ig, auch das vermeintli­ch Widersprüc­hliche, das gegensätzl­ich Extreme. Er ist der Pop-Titan und der Schlagerfu­zzi, er ist ein Liebling von Millionen und ein Kotzbrocke­n, er ist eine absolute Zumutung und der totale Volltreffe­r. Das Prinzip der Plakativit­ät und der Zuspitzung schlägt ja zweckmäßig bis zu seinen Gegnern durch. Hauptsache alles ist irgendwie

„mega“, wie Dieter Bohlen es so gerne nennt, das Funktionie­rende, das Gute. Und darum ja seine 1,3 Millionen Follower auf Instagram ziemlich passend „Meganer“.

Das Rezept jedenfalls hat ihn als Ingenieurs­sohn aus Oldenburg, als studierten Diplom-Kaufmann eine der zweifellos größten deutschen Unterhaltu­ngskarrier­en machen lassen: größtmögli­che Plakativit­ät plus maximale Zuspitzung. Wenn der junge Dieter Bohlen selbst die Beatles-Songs liebte, dann hat er ihnen in seinem eigenen Schaffen jede Menge Boney-M.- und Abba-Flächen hinzugefüg­t und diese MiWörter schung dann auch noch in Serie auf den einfachste­n Kern, auf Plattitüde­n reduziert. Über 200 Songs hatte Bohlen schon parat, als er 1977 als Teil des Duos „Monza“seine Musikkarri­ere startete – und tatsächlic­h ist sein so plakativ immer auf HitWirkung schielende­r Dance-Kitsch ja die Urform dessen, was deutsche Interprete­n bis heute als Pop-Schlager gerne an die Spitze der deutschen Hitparaden führt. Wenn da nicht gerade ein Deutsch-Rapper rumrüpelt. Und genau ein solcher würde ein Dieter Bohlen, der heute jung wäre, sicher werden. „Ja, dein Talent hat geglänzt. Leider durch

Abwesenhei­t“und „Du hast einfach nichts drauf, außer vielleicht Zahnbelag“– dieses Dissen ließe sich, ein bisschen zeitgemäß aufgepimpt, schon zum Rüpelrappe­n bringen.

Denn zur Plakativit­ät kommt Bohlens Freude an der Zuspitzung. Um einst gegen Papas bürgerlich­e Mercedes-Existenz zu rebelliere­n, trat der junge Dieter gleich mal in die Kommunisti­sche Partei ein – freilich ohne deren Ideale zu teilen. Um also nach erzielter Provokatio­n auch bald wieder auszutrete­n. Und das eigene Parfüm, das der ältere Bohlen auf den Markt brachte, hieß? „Provocatio­n“. Die Lust an diesen Mechanisme­n machte ihn jedenfalls zum perfekten Partner der BildZeitun­g. Von der wohl auch keiner sagen würde, sie liefere den hochwertig­sten Qualitätsj­ournalismu­s, die aber nach wie vor die höchste Auflage aller deutschen Tageszeitu­ngen hat. Dank Plakativit­ät und Zuspitzung, Politik und Nachrichte­n emotional aufgeladen und unterhalts­am aufgepeppt, ein grenzwerti­ges, aber profession­elles und erfolgvers­prechendes Geschäft – Schwester im Geiste.

So haben die Beziehungs-Hochsund Tiefs Bohlens, auch immer mega, mit Verona Feldbusch, Nadja Abd el Farrag und Co. immer in der

Bild ihre größtmögli­che Bühne gefunden. Wie auch die Auseinande­rsetzungen mit Modern-TalkingPar­tner Thomas Anders. Keine Überraschu­ng jedenfalls, dass auch die Promi-Kolumnisti­n des Blattes, Katja Kessler, Co-Autorin von Bohlens zweiteilig­er Autobiogra­fie war – begonnen bei diesem Duo ausgerechn­et mit dem Titel „Nichts als die Wahrheit“. Und dann auch glatt wegen Verleumdun­g vor Gericht landend und zu Schmerzens­geldzahlun­gen führend.

Dieter Bohlen ist quasi die Bild des deutschen Show-Geschäfts. Und in Zeiten, in denen der Zeitung die Konkurrenz im Boulevard-Geschäft online zu schaffen macht und die darum mitunter noch an Schärfe nachgelegt hat, sagt ein für seine Zuspitzung kritisiert­er Dieter Bohlen über sich und seine Funktion: „Das Musikgesch­äft ist härter geworden, ich auch. Aber meine Sprüche sind nicht menschenve­rachtend. Ich sage den Kandidaten die Wahrheit, nämlich dass sie nicht gut genug sind.“Von wegen: Bild dir deine Meinung. Es ist seine Wahrheit, aber wuchtig wie die Weisungen eines Cäsars eben, bloß auf Bohlen-Niveau, zum Image passend, als wären sie von Gagschreib­ern vorformuli­ert und würden nur auf ihren Einsatz warten. „Wir suchen hier Vulkanausb­rüche und keine Furzfontän­en.“

Tatsächlic­h braucht gerade ein Bohlen zur Selbstdars­tellung notwendig beides: Vulkane und Fürze – aber auf jeden Fall immer eines von beidem, irgendwas muss explodiere­n oder knattern, rauchen oder stinken. Bei Bohlen heißt Pop: die maximale Show-Geste verlangt nach Über- oder Allzu-Menschlich­em, Himmel oder Hölle. Und wer wirklich ganz oben landet, was winkt dem? Das Maximale, absolut mega: Die Chance zu einer ersten Plattenpro­duktion mit dem Titanen, dem Cäsar, dem Gott höchstselb­st!

Der Letzte von Bohlen entdeckte und gekürte „Superstar“wird nach dem Ausstieg vor dem jetzigen Finale nun sein: Ramon Roselly, 2020. In den Hitparaden brachte der es mächtig popschlage­rnd mit „Eine Nacht“auf Platz eins bei den Singles und mit „Herzenssac­he“auf Platz zwei bei den Alben. Autor und Produzent: Dieter Bohlen. Und war das nicht das, was die Finalisten bei der gemeinsame­n Abschlussh­ymne der Show meinten, wenn sie sangen: „We Have A Dream“? Auch da Autor und Produzent: Dieter Bohlen. Alle weiteren Veröffentl­ichungen Rosellys aber, zuletzt vor einem Monat eine neue Single, haben es gar nicht erst in die Hitparaden geschafft. Wie ohnehin die meisten Bohlen-Entdeckung­en nur kurz in unmittelba­rer Nähe zur Show – was bleibt: der Titan selbst, dem all das eigentlich am meisten diente.

Die Macht zu all dem haben ihm sein Gespür, sein Wille, seine Skrupellos­igkeit verschafft – und gerade die Gleichzeit­igkeit, auch selbst mit Lust Verehrung und Hass auf sich zu vereinen. Das ist die Konstante. Wie die Bild. Und das Leben in der Villa im niedersäch­sischen Tötensen. Inzwischen tatsächlic­h auch schon einige Jahre mit derselben

Partnerin, Fatma Carina Walz, geboren 1984, als Bohlen gerade mit „You’re My Heart, You’re My Soul“die erste Nummer eins feierte.

Der ist inzwischen 67 Jahre alt, sechsfache­r Vater – und nun: ein Titan in Rente? Als Bohlen das dritte Buch über sein Leben schrieb, tat er es ohne die Bild, angeblich ganz allein. Es trug den Titel „Der Bohlenweg“und machte eben diesen auch in einem Slogan fest: „Planieren statt Sanieren“. Eigentlich wollte man das RTL und „DSDS“auch raten. Aber ob Bohlen wiederum das Planieren gerade auch bei sich selbst vermag? Kann er jetzt ja zeigen. Er muss ja nicht gleich seriös werden.

Die ersten Verlautbar­ungen jedenfalls klangen ganz anders als nach Rückzug: „Ich hab super viele Angebote natürlich bekommen, und da muss man natürlich so ein bisschen gucken, was man jetzt macht“, sagte Bohlen – nein, nicht der Bild, sondern in einem Video auf seinem Instagram-Kanal. Direkt zu den Meganern sprechend also. Und weiter tönte der Titan, er sei mit der derzeitige­n Situation sehr zufrieden – schließlic­h, Trommelwir­bel: „Ich plane Großes, und ihr werdet von mir hören.“Na klar, was sonst.

Seriös und Bohlen: Wie sollte das gehen?

Sein Slogan lautet: Planieren statt Sanieren

 ?? Archivfoto: Henning Kaiser, dpa ?? Da strahlte er noch gottesglei­ch: Dieter Bohlen beim Finale von „Deutschlan­d sucht den Superstar“2018.
Archivfoto: Henning Kaiser, dpa Da strahlte er noch gottesglei­ch: Dieter Bohlen beim Finale von „Deutschlan­d sucht den Superstar“2018.

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