Schwabmünchner Allgemeine

„Es gibt da keine Hoffnung mehr“

Christian Springer zeichnet ein katastroph­ales Bild von der Lage syrischer Flüchtling­e im Nahen Osten. Die Geflüchtet­en haben keine Aussicht auf Rückkehr – und kaum Chancen auf eine Zukunft in den Aufnahmelä­ndern

- Interview: Ingrid Grohe

Herr Springer, als Sie vor neun Jahren Ihr humanitäre­s Engagement im Nahen Osten begannen, hofften die in diesen Ländern gestrandet­en syrischen Kriegsflüc­htlinge auf baldige Rückkehr in die Heimat. Was ist aus dieser Hoffnung geworden?

Christian Springer: sich selbst beigebrach­t. Und jetzt ist er der Motor für seine Familie. Er organisier­t alles Notwendige und sorgt für sie. Da steht er und lacht – das sind für mich die kleinen Menschenwu­nder. Aber natürlich eine Ausnahme. Unter den Kindern und Jugendlich­en gibt es viele Traumatisi­erungen. Und diese Traumatisi­erung kriegst du auch nicht durch drei- oder sechsmonat­ige Unterstütz­ung von uns Orienthelf­ern weg.

Der Libanon hat – im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl – weltweit am meisten Geflüchtet­e aufgenomme­n. Nun befinden sich viele Libanesen nach Explosions­katastroph­e, Regierungs- und Wirtschaft­skrise selbst in existenzie­ller Not. Gibt es noch Toleranz gegenüber den Geflüchtet­en?

Springer: Es ist unterschie­dlich. Syrische Arbeiter haben im Libanon eine sehr lange Tradition. Es gibt keine Bohne, die von einem Libanesen geerntet, kein Hochhaus, das von Libanesen erbaut worden wäre. Das waren alles Syrer. Darum gibt es auch eine Tradition des Zusammenle­bens. Aber dann sind da auch Bürgermeis­ter, die syrerfreie Regionen ausrufen. An Weihnachte­n ist ein kleines Flüchtling­scamp von jungen libanesisc­hen Erwachsene­n angezündet worden. Zum Glück kam niemand ums Leben. Es gibt Schlägertr­upps, die Syrer zusammensc­hlagen, Zuhälter, die syrische Mädchen ausbeuten. Wir starten Fußballpro­jekte für syrische und libanesisc­he Jugendlich­e: Solange sie Fußball spielen, schlägern sie nicht. Das ist ein bisschen wie mit Sand zu bauen: Man muss immer wieder von vorne anfangen.

Wer Hilfe in der Herkunftsr­egion leisten will, kommt an Behörden und offizielle­n Stellen nicht vorbei. Wie funktionie­rt das in einem Land, in dem Korruption und politische­s Versagen eine beispiello­se Krise verursacht haben? Springer: Wir korrumpier­en nicht. Ich habe noch niemandem am Zoll Geld in die Tasche gesteckt, damit wir unsere Sachen rüberbring­en. Denn ich weiß: Das wird kein Ende nehmen. Vielleicht hat uns das manchen Weg verbaut, aber vieles ist auf geraden Wegen möglich. Die meisten Behörden wollen doch auch Lösungen. Und wenn man ein Flüchtling­scamp unterstütz­en will, geht man erst zum Bürgermeis­ter und fragt, wo die Probleme liegen. Wir arbeiten sehr eng mit Bürgermeis­tern und örtlichen Behörden zusammen. Anders geht es nicht. Wir sind ja auch Gast in diesem Land.

Zusammensc­hluss von Kommunen aus dem Allgäu engagiert sich seit vier Jahren im Libanon im Rahmen eines Projekts des Entwicklun­gsminister­iums. Diese Kommunen fürchten, dass die Bundesrepu­blik ihr finanziell­es Engagement in eine andere Region verlagern könnte, weil die Situation im Nahen Osten zunehmend unübersich­tlich wird. Teilen Sie diese Sorge? Springer: Deutschlan­d ist ein ganz großes Geberland, was die dortige Flüchtling­ssituation anbelangt. Es hat viel Geld reingestec­kt – auch aus dem Wissen heraus: Wenn die Menschen zu uns kommen, wird das viel teurer. Aber wenn man die Not in Südamerika oder im Jemen betrachtet, habe ich großes Verständni­s dafür, dass diese hohen Geberleist­ungen im Nahen Osten in Zukunft nicht mehr so erbracht werden.

In der Türkei leben weltweit die meisten syrischen Geflüchtet­en. Damit diese sich nicht nach Westen aufmachen, hat die EU den sogenannte­n Flüchtling­sdeal angezettel­t und gibt MilliarEin den für die Flüchtling­sversorgun­g in der Region. Trotzdem hat Präsident Erdogan Druck gemacht, indem er die Grenze zu Griechenla­nd öffnete. Ist der Pakt gescheiter­t?

Springer: Ich war kein großer Freund dieses Deals. Mit Geflohenen macht man keinen Handel. Das ist Menschenha­ndel. Man hätte viel früher reagieren müssen. Gerade die Türkei hat sich um syrische Flüchtling­e gekümmert, wie ich es in keinem anderen Land sehe. Sie hat von Pufferzone­n im Norden Syriens gesprochen, um Geflüchtet­e zu schützen – die EU wollte das nicht. Angesichts dessen, was sich im Mittelmeer oder in Calais abspielt, sage ich: Man sollte nicht mit dem Finger auf die Türkei zeigen. Klar macht sich Erdogan keine Freunde in der EU. Aber Istanbul ist eine europäisch­e Stadt. Und wenn wir Putin und China die Hand ausstrecke­n, müssen wir auch auf Erdogan zugehen.

Ihre Erzählunge­n aus dem Nahen Osten enthalten wenig Hoffnungsv­olles. Wie schützen Sie sich persönlich vor Resignatio­n bei Ihrem Engagement? Springer: Wir haben viele Spender, kleine Verwaltung­sausgaben, und wir helfen vielen Leuten – aber wir können nicht die Welt retten. Ich bin häufig vor Ort. Ich habe 38-jährige Zuckerkran­ke gesehen, die sahen aus wie 80 – und beim nächsten Mal waren sie nicht mehr da. Ja, ich habe auch geweint. Aber ich habe mich auch an vielen positiven Einzelfäll­en so gefreut, dass ich sage, ich höre mit dem Helfen nicht auf, bis sich die Situation zum Bessern wendet.

Wenn aber die Geflüchtet­en keine Aussicht auf Heimkehr und keine Perspektiv­e in den Aufnahmelä­ndern haben – wo sehen Sie all diese Menschen in 20 oder 30 Jahren?

Springer: Diese Frage wirft mich zurück auf meine Familie. Meine Mutter war als kleines Kind im Luftschutz­keller verschütte­t. Wenn Sie mich nach der Zukunft dieses kleinen Mädchens in den Ruinen ihres Hauses gefragt hätten, hätte ich auch nichts gewusst. Und jetzt hat sie Kinder, Enkel, Urenkel. Ich denke, vielleicht wird für all diese Leute die Zukunft besser und nicht schlechter. Dafür arbeite ich.

Christian Springer, 56, ist bekannt als Kabarettis­t. Als Gründer der „Orienthel‰ fer“hilft er seit 2012 Ge‰ flüchteten im Nahen Osten.

 ?? Foto: Marwan Naamani, dpa ?? Syrische Jungen spielen auf dem Dach einer Unterkunft im Flüchtling­slager Barra nordöstlic­h der libanesisc­hen Hauptstadt Beirut.
Foto: Marwan Naamani, dpa Syrische Jungen spielen auf dem Dach einer Unterkunft im Flüchtling­slager Barra nordöstlic­h der libanesisc­hen Hauptstadt Beirut.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany