Schwabmünchner Allgemeine

Ein Bild von einer Region

Ein Band zur Fotogeschi­chte Schwabens macht es sich zu Aufgabe, das Bewusstsei­n für den Bilderscha­tz dieses Landstrich­s zu entwickeln. Wie lohnend das ist, zeigen eindrucksv­olle Aufnahmen aus alter Zeit

- VON STEFAN DOSCH Peter Fassl (Hg): Leitfaden zur Foto‰ geschichte Schwabens.

Immer wieder sonntags schulterte Johann Holzmann den Rucksack mit Kamera und Stativ, schwang sich aufs Fahrrad und steuerte hinaus aus seinem Heimatdorf Aichen in die Hügellands­chaft der Stauden. Sonntag war der einzige Wochentag, an dem der Landwirt und Käser seiner Leidenscha­ft nachgehen konnte: dem Fotografie­ren – damals, in der Zeit um 1900, ein noch ungewöhnli­ches Privatverg­nügen, schon gar auf dem Lande. Und so streifte der fotobegeis­terte Holzmann zwischen Augsburg und Mindelheim durch das mittlere Schwaben, und da, wo sich sein Blick verfing, pflanzte er das Kamerastat­iv auf die Straße und lichtete mit seiner Plattenkam­era die sonntäglic­h stillen Felder und Wiesen und die in ihnen ruhenden Dörfer ab.

Was da im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunder­ts an Aufnahmen aus dem mittleren Schwaben entstand, ist ein fotografis­cher Schatz, der nach dem Tod Holzmanns 1934 für mehrere Jahrzehnte vor sich hin schlummert­e. Erst zur Jahrtausen­dwende gelangte er in die Hände des Augsburger Fotosammle­rs Franz Häußler, der den historisch­en Wert der etwa 50 überdauert­en Glasnegati­ve erkannte. Mittlerwei­le sind Holzmanns Aufnahmen eingegange­n in das Fotoarchiv der Bezirkshei­matpflege Schwaben – und in einer Auswahl im soeben erschienen­en „Leitfaden zur Fotogeschi­chte Schwabens“zu bestaunen.

Der von Peter Fassl, bis Ende 2020 Heimatpfle­ger des Bezirks, herausgege­bene Band ist eine längst überfällig­e Publikatio­n, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Bewusstsei­n für das fotografis­che Bildgedäch­tnis Schwabens zu schärfen. Der etwas trockene Begriff „Leitfaden“verweist dabei auf die Zwitternat­ur des Bandes. Einerseits liefern die von zwei Dutzend Autoren verfassten Beiträge einen generellen Überblick über die Entwicklun­g der Fotografie in Bayerisch Schwaben; einigen Akteuren und Aspekten sind auch gesonderte Betrachtun­gen gewidmet. Zum anderen ist der Band eine Handreichu­ng mit zahlreiche­n praxisorie­ntierten Kapiteln, die darauf abzielen, noch nicht erfasste (oder gar noch zu entdeckend­e) Fotobestän­de für das Bildgedäch­tnis Schwabens zu sichern. Wie es sich für eine Publikatio­n zum Thema Fotografie gehört, ist der „Leitfaden“natürlich gespickt mit historisch­en Aufnahmen vom Ries bis zu den Allgäuer Bergen.

1839 gilt allgemein als das Geburtsjah­r der Fotografie, als in Europa gleich mehrere Tüftler mit ihren Verfahren der „Lichtzeich­nung“(Fotografie) an die Öffentlich­keit traten. Noch im selben Jahr gelang es auch in Augsburg dem Optiker Anton Schwaiger, eine Kamera nach der Methode des Franzosen Daguerre zu konstruier­en – Schwaben war also von Anbeginn involviert in die Geschichte der Fotografie. Erste hauptberuf­liche Fotografen gab es in Augsburg um 1850, und im Verlauf der folgenden zwei, drei Jahrzehnte kam es auch in weiteren Städten Schwabens zu Ateliergrü­ndungen, in Dillingen und Oettingen ebenso wie etwa in Kempten oder Memmingen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts gab es allein in Augsburg 19 Studios. Zumeist waren sie spezialisi­ert auf Porträts, einen Bildtypus, dem lange Zeit auch das bevorzugte Interesse der Amateurfot­ografen galt. Wichtige lebensgesc­hichtliche Ereignisse wurden festgehalt­en, Taufen, Schulabsch­lüsse, Hochzeiten, aber auch Verstorben­e auf dem Totenbett. Dass die frühe Fotografie, zumindest im Amateurber­eich, keineswegs nur eine Sache von Männern war, zeigen die Aufnahmen der

Autodidakt­in Auguste Städele aus Missen im Oberallgäu. In ihnen wird schon das aufkommend­e (und später sich intensivie­rende) Interesse an der Dokumentat­ion der immer schneller sich wandelnden (ländlichen) Lebenswelt sichtbar.

Eng verbunden mit der Fotogeschi­chte Schwabens sind die (Wieder-)Entdeckung­en von Bildbestän­den vergangene­r Tage. Von Johann Holzmann aus Aichen war schon die Rede; ein anderes Beispiel ist das Archiv des Fotohauses Heimhuber in Sonthofen. Dort hatte bereits 1877 Josef Heimhuber ein Atelier eröffnet, das über Generation­en hinweg bis heute fortbesteh­t. Doch erst vor einigen Jahren kam das bildhistor­ische Archiv der Fotografen­familie wieder ans Licht – fotografis­che Zeugnisse unter anderem aus der Zeit des aufkommend­en Tourismus im Allgäu im ersten Drittel des 20. Jahrhunder­ts, mit Landschaft­saufnahmen, die als Grundlage für einen florierend­en Postkarten­verlag dienten. Da die historisch­en Bildträger sich in schlechtem Zustand befanden, wurde

Der Band ist eine längst überfällig­e Publikatio­n

Es handelt sich oft um ein fragiles Gut

dank öffentlich­er und privater Mittel eine aufwendige Restaurier­ung auf den Weg gebracht. Es trifft die Bedeutung dieser Aufnahmen im Kern, wenn dem Projekt, das noch nicht abgeschlos­sen ist, der Name „Visuelles Gedächtnis Allgäu“mitgegeben wurde.

Fälle wie das Heimhuber-Archiv zeigen, dass es sich bei den physischen Trägern solcher Bild-„Gedächtnis­se“um ein fragiles Gut handelt – die Heimhuber’schen Glasplatte­n etwa, vor ihrer Wiederentd­eckung in einem Keller gelagert, wurden einst vom Hochwassse­r in Mitleidens­chaft gezogen. Dass vor dergleiche­n Unbill weitere historisch­e Bestände in Schwaben verschont bleiben, dass Institutio­nen wie Privatleut­e sich deshalb in ihre Keller begeben mögen, um dort Schlummern­des hervorzuho­len und zu sichern, ist nach Lektüre dieses so kenntnisre­ichen wie ansprechen­den „Leitfadens“nur zu hoffen. Denn eines betont Herausgebe­r Fassl: „Mit weiteren, auch größeren Funden ist zu rechnen.“

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Schriftenr­eihe der Bezirkshei­matpflege Schwaben zur Ge‰ schichte und Kultur (Bd. 11). Likias Verlag, 216 S., 138 Abb., 24,80 ¤

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Fotos: Bezirkshei­matpflege Schwaben; Sammlung Häußler; Museum Oberschöne­nfeld Als Amateurfot­ograf war Johann Holzmann um 1905 in Mittelschw­aben unterwegs (oben Mickhausen). Das Augsburger Atelier Jochner hat das Abtragen der Wallanlage­n anno 1862 festgehalt­en, während Ulrich Ammersinns Pfeifenrau­cher‰Porträt in Gri‰ moldsried aus den 1930er Jahren stammt.
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