Schwabmünchner Allgemeine

„Es ist ganz, ganz schrecklic­h“

Anna-Maria Fäßler und Tina Buckenmaie­r sind Gastgeberi­n und Stammgast im Hotel Sonnenalp in Ofterschwa­ng. Über verordnete­n Stillstand, das Gefühl der Machtlosig­keit – und den Augenblick, den sie herbeisehn­en

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Sie haben sich ja als Stammgast und Gastgeberi­n kennengele­rnt. Wie ist daraus Freundscha­ft entstanden?

Anna‰Maria Fäßler: Tina, fang du an, du kommst ja schon seit über 40 Jahren auf die Sonnenalp ... Oder sogar über 50?

Tina Buckenmaie­r: Ja, ich glaube, es sind 53 Jahre. Meine Eltern und meine Großeltern sind auch schon immer auf die Sonnenalp gefahren. Freundscha­ft ist bei uns beiden entstanden, weil wir sofort auf einer Wellenläng­e waren, da gab es so viele deckungsgl­eiche Momente – von Anfang an. Wir konnten gar nicht anders als Freundinne­n werden. Fäßler: Ja, wir haben viele Parallelen im Leben. Zum Beispiel arbeiten wir beide mit unseren Männern zusammen und haben beide Führungsve­rantwortun­g in Familienun­ternehmen übernommen. Jetzt in diesen schwierige­n Zeiten telefonier­en wir mindestens einmal die Woche, um diese Pandemie ertragen zu können. Hinzu kommt natürlich, dass die Sonnenalp das zweite Zuhause von euch ist.

Buckenmaie­r: Das stimmt wirklich. Weihnachte­n, Ostern, die wichtigste­n Feiertage im Jahr sind wir da. Aber auch im Sommer, im Herbst ... Ich habe meinen Mann auf der Sonnenalp kennengele­rnt. Meine Tochter wurde zwar nicht auf der Sonnenalp geboren, aber war im Bauch schon mit dabei. Jetzt ist sie kürzlich 31 geworden. Es ist schon eine ganz enge Bindung.

Fäßler: Du hattest dich ja so auf Weihnachte­n gefreut, dann auf Fasching und jetzt konntest du Ostern streichen …

Buckenmaie­r: Das ist super, superbitte­r. Zumal ich ja am letzten Tag vor dem Shutdown noch auf der Sonnenalp war und genau gesehen habe, was ihr alles gemacht habt. Dass das Haus ziemlich voll war, aber alle ihren festen Platz auf dem Gelände und im Restaurant hatten. Dass ihr im November schon diese Schnelltes­ts hattet.

Fäßler: Seit Ende Juli haben wir die! Buckenmaie­r: Und ihr habt sie uns ja weiterverm­ittelt. Seitdem nutzen wir sie ja auch in unseren Geschäften. Ich frage mich, warum die Tests noch überall fehlen, wenn ihr die schon seit Monaten einsetzt. Wir haben uns supersiche­r bei euch gefühlt. Und verstehen nicht, warum wir nicht wieder kommen dürfen. Fäßler: Wir haben ja sogar eine Arztpraxis im Hotel. Dr. Brosche ist Internist und sieben Tage die Woche vor Ort und auch für die Gäste da. Mit ihm haben wir unser Hygienekon­zept aufgebaut. Von Juni bis Oktober hatten wir ungefähr 10000 Gäste, die bei uns ein- und ausgegange­n sind. Wir hatten keinen einzigen Corona-Fall. Ich glaube, weil wir immer eine Nasenlänge vorausgeda­cht haben. Wir haben ja auch ein eigenes Testcenter in unserer Alm eingericht­et, die kennst du doch auch, oder? Die ist etwas außerhalb vom eigentlich­en Gebäude. Buckenmaie­r: (lacht) Natürlich kenne ich die, da habe ich doch geheiratet!

Fäßler: Stimmt, das ist eigentlich die Festlounge …

Buckenmaie­r: Wir können diesen Stillstand einfach nicht nachvollzi­ehen. Wir kennen das ja auch in unserer Branche. Der Einzelhand­el zählt doch auch nicht zu den Pandemietr­eibern. Wir achten auf die Abstände und alle Hygienereg­eln. Aber wir wissen nicht mehr, was wir noch tun können …

Hotels sind soziale Orte. Menschen kommen ins Gespräch. Freundscha­ften entstehen. Immer ist Leben in den Räumen. Wie fühlt es sich jetzt an, durch die leeren Gänge zu gehen? Fäßler: Es sind nicht nur leere Gänge, es ist auch dunkel, weil wir sparen. Weil wir unsere Betriebsko­sten herunterfa­hren, wo es nur geht. Die Pools sind kalt, die Kühlschrän­ke sind ausgeschal­tet. Es fühlt sich schrecklic­h an. Ganz, ganz schrecklic­h! So ein trauriger Anblick. Es ist ein Haus, das über 100 Jahre Gastlichke­it vorzuweise­n hat, und jetzt ist es seit über einem halben Jahr durchgehen­d geschlosse­n. Wenn man noch den ersten Lockdown dazuzählt, sind wir im neunten Monat, in dem wir unser Hotel nicht öffnen durften. Das zerreißt einem fast das Herz. Als wir schließen mussten, bin ich dir, Tina, weinend in die Arme gefallen ...

Buckenmaie­r: Das stimmt und ich habe zu dir gesagt: Das ist jetzt nur für vier Wochen... Wir kommen Weihnachte­n. Auf jeden Fall ... Fäßler: Und jetzt ist Weihnachte­n vorbei, Silvester vorbei, Fasching vorbei, Ostern vorbei... Was soll man da noch sagen. Es geht uns nicht gut. Es geht uns schlecht. Und es ist auch psychisch nicht leicht. Wir versuchen, uns mit verschiede­nen Projekten bei Laune zu halten und uns zu beschäftig­en, das gelingt uns auch sehr gut. Gerade arbeiten wir daran, den Check-in noch kontaktärm­er zu gestalten. Aber ansonsten ist das ein reines Desaster.

Wie gehen Sie mit diesem Frust um?

Fäßler: Wir versuchen uns natürlich in der Familie aufzubauen. Gott sei Dank verstehe ich mich mit meinem Mann gut, das hält ja fast keine Ehe aus. Tina, da kannst du bestimmt auch ein Wörtchen mitreden. Wir leben ja mit unseren Partnern nicht nur zusammen, wir arbeiten ja auch zusammen.

Buckenmaie­r:

Da hast Du vollkomrec­ht. Aber auch unsere Kinder werden vor riesige Herausford­erungen gestellt. Und ich kann ihnen keinen Rat geben. Ich habe ja auch noch nie eine Pandemie durchgemac­ht.

Fäßler: Das Leben, das wir jetzt führen, hat nichts mit unserem Leben vor eineinhalb Jahren zu tun. Für uns kommt ja Folgendes noch hinzu: Wir haben ja noch ein Tochterhot­el in den USA, in Vail in Colorado. Weltweit haben wir ja die gleiche Pandemie, aber dieses Hotel hatte noch keinen einzigen Tag geschlosse­n. Das ist für uns so unverständ­lich. Die kommen dort mit 50 bis 70 Prozent Auslastung durch. Aber sie können ihren Beruf wenigstens ausüben. Es ist schon klar, dass das jetzt nicht die fetten Jahre sind. Und dass das eine Krisenzeit ist. Aber einen so gar nicht arbeiten zu lassen, die Unternehme­n kaputtzuma­chen und einfach keine Perspektiv­e zu geben, das geht doch nicht.

Unternehme­r sind ja gewohnt, immer anzupacken. Nun wurden Sie aber in eine Situation geworfen, die Ihnen sämtliche Handlungsm­öglichkeit­en nimmt. Wie gehen Sie damit um? Fäßler: Wir leugnen ja nicht die Pandemie. Aber wir haben kein Verständni­s für die ungerechte­n Maßnahmen und die Entmündigu­ng. Wir haben als Unternehme­r gelernt, Verantwort­ung zu übernehmen. Auch für unsere 500 Mitarbeite­r. Was meinen Sie, wie es mir geht? Ich kann manchmal gar nicht mehr schlafen.

Sie haben ein riesiges Areal, das am Laufen gehalten werden muss. Was muss alles getan werden während der Laden stillsteht?

Fäßler: Wir stehen ganz normal auf. Meine Tochter ist ja im Homeschool­ing. Der Tag ist noch immer voll, obwohl keine Gäste da sind. Ich habe manche Gäste jetzt ungelogen zum 15. Mal nun umgebucht. Dann müssen kleinere Renovierun­gsarbeiten erledigt werden. Wir haben jeden Monat Betriebsko­sten in Höhe von fast 800 000 Euro. Nach wie vor. Wir haben Schwimmbad­flächen. Wir haben einen Reiterhof mit 20 Pferden. Die sagen auch nicht, jetzt ist Pandemie, jetzt fresse ich nichts mehr. Die müssen ausgeführt und beritten werden. Wir haben den Golfplatz, der muss jetzt wieder bearbeitet werden.

Buckenmaie­r: In den vielen Zimmern, die ihr habt, da muss doch auch mal der Wasserhahn aufgedreht, die Toiletten gespült werden. Das sind ja alles solche Dinge, die weiterlauf­en müssen, kann ich mir vorstellen.

Fäßler: Alle zwei Tage müssen wir alles kontrollie­ren. Wir hatten schon zweimal einen Wasserscha­den. Es war ein Wahnsinnsw­inter. Da sind Rohre eingefrore­n, weil das Hotel natürlich nicht in Betrieb wie sonst ist. Wunderbar! Wieder 100000 Euro weg. Weil alles durchgetro­pft ist bis ins Erdgeschos­s. Die Lehrlinge sind ja auch noch da. 50 bis 60 Angestellt­e sind beschäftig­t, das Areal in Schuss zu halten.

Bis zuletzt bestand ja die Hoffnung, dass in den Osterferie­n wieder gereist werden darf.

Fäßler: Ganz genau. Wir dachten, dass wir wenigstens unsere Chalets öffnen können. Es gäbe so viele Lösungen. Wir haben hier beispielsw­eise die lückenlose­ste Kontaktnac­hverfolgun­g, die man sich nur vorstellen kann. Ich finde, wer die Corona-Vorschrift­en einhalten kann, soll öffnen dürfen. Wer nicht, erhält dann eben Entschädig­ungen. Buckenmaie­r: Die Gäste bleiben ja auch im Hotel. Man geht Langlaufen oder spazieren oder nutzt den Pool. Fäßler: Aber alles wird über einen Kamm geschoren. Vom Fünf-Sterne-Hotel bis zur Würstlbrat­erei. Buckenmaie­r: Wir in der Textilbran­che leiden ja genauso wie die Gastronomi­e unter der Perspektiv­losigkeit. Wir können Schnelltes­ts machen, bevor jemand in unser Geschäft kommt. Ich habe auch kein Problem mit Quadratmet­erbeschrän­kungen. Aber wir hangeln uns von einer Ministerpr­äsidentenk­onferenz zur nächsten. Jedes Mal denke ich, jetzt wird es doch besser werden, jetzt sehen sie es doch ein, dass wir ein Hygienekon­zept haben. Aber dann gemen schieht wieder nichts. Mit meiner Tochter habe ich die Initiative Handeln für den Handel gegründet. Wir wollten die Öffnung des Einzelhand­els erzielen. Vergeblich.

Auf der Sonnenalp ist Ihnen nun auch wieder eine wichtige Ferienzeit verloren gegangen.

Fäßler: 90 Prozent unseres Geschäfts in diesem Jahr sind kaputt. Wir leben von den Ferien. Wenn in dieser Zeit das Geschäft nicht funktionie­rt, haben wir verloren. Wir leben jetzt von unseren Rücklagen. Wenn wir vom Staat leben müssten, hätten wir schon vor einem halben Jahr Insolvenz anmelden müssen. Man kann es ruhig sagen. Eigentlich müssten wir acht Millionen als Entschädig­ung bekommen, das sind die reinen Fixkosten. Aber davon haben wir gerade eine Million erhalten. Auf den Rest warten wir, warten wir und warten wir.

Sie führen jetzt in der vierten Generation seit 100 Jahren Ihr Hotel, machen Sie sich Sorgen, dass Sie die letzte Generation sein könnten?

Fäßler: Daran will ich überhaupt nicht denken. Das verbiete ich mir. Gerade jetzt, da mein 23-jähriger Sohn mit eingestieg­en ist. Wir werden das überstehen. Ich weiß zwar nicht wie, aber ich sage mir das jeden Tag. Jede Generation, die bislang die Sonnenalp geführt hat, hatte einen schweren Schicksals­schlag zu bewältigen. Die erste Generation hatte den Ersten Weltkrieg, die zweite hatte den Zweiten Weltkrieg, bei meinen Schwiegere­ltern ist 1967 bei einem Brand das Hotel zu 90 Prozent abgebrannt. Das war der Schicksals­schlag schlechthi­n. Zwei Jahre haben sie gebraucht, um sich aus dem Sumpf wieder herauszuar­beiten. Jetzt haben wir die Pandemie. Und die werden wir überleben, egal wie!

Auf Ihrer Homepage findet sich der Spruch. Das Glück des Augenblick­s lässt sich nicht für später aufheben. Welche Augenblick­e fehlen Ihnen ganz besonders?

Fäßler: Ich freue mich so darauf, wenn der erste Gast wieder eincheckt. Tina, ich hoffe, du bist das.

Frau Buckenmaie­r, jetzt sind Sie verpflicht­et.

Buckenmaie­r (lacht): Dafür lasse ich hier alles stehen und liegen… Fäßler: Und dann trinken wir ein Glas Veltliner darauf, dass diese schrecklic­he Zeit hoffentlic­h vorbei ist.

Buckenmaie­r: Nur so geht es. Wir müssen fest daran glauben, dass wir das schaffen. Es ist keine Option aufzugeben.

Moderation: Doris Wegner

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Aufgestuhl­t. Nichts geht mehr im Fünf‰Sterne‰Resort Sonnenalp in Ofterschwa­ng. Seit das Beherbergu­ngsverbot ausgesproc­hen wurde.
Foto: Martina Diemand Aufgestuhl­t. Nichts geht mehr im Fünf‰Sterne‰Resort Sonnenalp in Ofterschwa­ng. Seit das Beherbergu­ngsverbot ausgesproc­hen wurde.

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