Schwabmünchner Allgemeine

„MS‰Patienten raten wir zu einer Impfung“

Menschen mit Autoimmune­rkrankunge­n sind verunsiche­rt. Ein Arzt der Uniklinik Augsburg beantworte­t Fragen

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Dr. Bayas, Sie sind Neurologe und Leitender Oberarzt am Unikliniku­m Augsburg. Die Unsicherhe­it rund ums Impfen gegen Covid-19 und hier vor allem um AstraZenec­a ist groß. Mit welchen Fragen melden sich Patienten bei Ihnen?

Dr. Antonios Bayas: Es melden sich bei uns vor allem viele Patienten mit Multipler Sklerose; die Erkrankung ist bei uns auch einer der Schwerpunk­te. Aber auch Patienten mit anderen Autoimmune­rkrankunge­n rufen an. Die meisten Patienten wollen wissen, ob sie sich impfen lassen sollen und ob eine Impfung allgemein oder einer der Impfstoffe ihre Erkrankung verschlech­tern könnte. Bei MS fragen eben viele, ob durch die Immunreakt­ion, die ja durch eine Impfung ausgelöst wird, Schübe ausgelöst werden können.

Und zu was raten Sie?

Bayas: MS-Patienten raten wir klar zu einer Impfung. Bei MS gibt es bereits mehrere Studien zu Grippeschu­tzimpfstof­fen, die zeigen, dass diese bei der MS sicher sind. Das sind Totimpfsto­ffe, und die Vakzine, die gegen Covid-19 jetzt eingesetzt werden, sind Totimpfsto­ffen gleichzuse­tzen. Daher und aus der Erfahrung mit anderen Totimpfsto­ffen wird davon ausgegange­n – auch wenn es speziell zu den Covid19-Impfstoffe­n

noch keine Untersuchu­ngen hierzu gibt, dass die Impfstoffe keine Krankheits­aktivität bei MS auslösen. Unseren MS-Patienten, aber auch Patienten mit anderen neurologis­chen Autoimmune­rkrankunge­n empfehlen wir daher auch jedes Jahr eine Grippeschu­tzimpfung. Unabhängig davon, ob sie eine Immunthera­pie bekommen oder nicht.

Gerade AstraZenec­a beunruhigt aber MS-Patienten . . .

Bayas: Es trat in klinischen Studien mit AstraZenec­a sehr selten eine bestätigte oder ein Verdachtsf­all einer Rückenmark­sentzündun­g auf. Allerdings konnte nicht nachgewies­en werden, dass tatsächlic­h die Impfung Auslöser dafür war. Da aber eine Myelitis, also eine Rückenmark­sentzündun­g, bei MS im Zuge eines Schubes auftreten kann, kam es durch diese Meldung zur Verunsiche­rung bei Patienten. Wir haben aber momentan keine gesicherte­n Daten, dass AstraZenec­a zu einer Verschlech­terung einer neurologis­chen Autoimmune­rkrankung führt. Dies gilt im Übrigen auch für die Impfstoffe der anderen Hersteller. Nach unserem Erkenntnis­stand können sich Patienten mit neurologis­chen Autoimmune­rkrankunge­n mit allen momentan verfügbare­n

Impfstoffe­n gegen Covid-19 impfen lassen. Und das sollten sie auch tun.

Unabhängig von der Therapie?

Bayas: Nun, die Deutsche MS-Gesellscha­ft favorisier­t für Patienten, die unter einer immunsuppr­essiven Therapie stehen, bei denen also das Immunsyste­m unterdrück­t wird, wenn verschiede­ne Impfstoffe am Impftermin zur Verfügung stehen, einen mRNA-Impfstoff, da ihm in Studien eine höhere Effektivit­ät bescheinig­t wurde und MS-Patienten somit besser vor Covid-19 geschützt wären. Ob das allerdings stimmt und AstraZenec­a hier einen schlechter­en Schutz bietet, wissen wir einfach nicht.

Sollten MS-Patienten vor einer Impfung zu ihrem behandelnd­en Facharzt?

Bayas: Also ich würde als MS-Patient keinen mir angebotene­n Impftermin – auch mit AstraZenec­a – absagen, nur, weil ich noch nicht bei meinem Facharzt war. Wer ohnehin zu seinem behandelnd­en Arzt geht, sollte die Impfung besprechen. Bei manchen das Immunsyste­m stärker beeinträch­tigenden Immunthera­pien, die in der Regel bei höherer MS-Aktivität eingesetzt werden, kann es Zeitfenste­r geben, bei denen eine Impfung effektiver sein kann. Hier rate ich zu einer Rücksprach­e mit dem behandelnd­en Facharzt. Aber wie gesagt: Jeder MS-Patient sollte sich so schnell wie möglich impfen lassen.

Wie sieht es denn bei anderen neurologis­chen Erkrankung­en aus: Würden Sie Patienten mit Parkinson oder Schlaganfa­ll eine Impfung auch mit AstraZenec­a empfehlen?

Bayas: Momentan sehen wir hier keinen Grund, warum diese Patienteng­ruppen sich nicht mit AstraZenec­a impfen lassen sollten. Zumal gerade die möglichen Nebenwirku­ngen in Form von Sinus- oder Hirnvenent­hrombosen vor allem bei eher jüngeren Menschen, also in der Altersgrup­pe bis 55 Jahren, beobachtet wurden.

Wäre es mit Blick auf mögliche Nebenwirku­ngen wie Hirnvenent­hrombosen bei AstraZenec­a eigentlich sinnvoll, prophylakt­isch Medikament­e zur Blutverdün­nung einzunehme­n?

Bayas: Das werde ich öfter gefragt. Davor kann ich nur warnen, das könnte sogar eher gefährlich sein. Denn nicht nur Thrombosen sind als mögliche Nebenwirku­ngen beobachtet worden, sondern in einzelnen Fällen auch ein Mangel an Blutplättc­hen, eine Thrombozyt­openie. Da die Thrombozyt­en vor allem für die Blutstillu­ng und Blutgerinn­ung wichtig sind, kann es dadurch vermehrt zu Blutungen kommen. Wenn dann Blutverdün­nungsmitte­l eingenomme­n wurden, führt das eher zu negativen Effekten.

Wenn wir hier übers Impfen bei MS sprechen, stellt sich natürlich auch die Frage, wie Sie die Meldungen beurteilen, wonach ein Impfstoff gegen MS in der Entwicklun­g ist?

Bayas: Die Entwicklun­g wurde meiner Ansicht nach so publikumsw­irksam, weil in der dieses Jahr veröffentl­ichten Studie Biontech beteiligt ist und es sich um ein mRNA-Vakzin handelt – beides ist jetzt bekannt. Doch der Ansatz ist ein völlig anderer. Außerdem befindet sich die aus meiner Sicht interessan­te Entwicklun­g ganz am Anfang, also im Tiermodell der MS. Da wäre es viel zu früh, schon irgendeine Einschätzu­ng für den Menschen abzugeben. Meiner Meinung nach gibt es momentan leider keine Aussicht auf einen Impfstoff gegen MS in den nächsten Jahren.

Antonios Bayas, 53, PD und Oberarzt in der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysi­ologie am Unikliniku­m Augsburg.

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