„MSPatienten raten wir zu einer Impfung“
Menschen mit Autoimmunerkrankungen sind verunsichert. Ein Arzt der Uniklinik Augsburg beantwortet Fragen
Herr Dr. Bayas, Sie sind Neurologe und Leitender Oberarzt am Uniklinikum Augsburg. Die Unsicherheit rund ums Impfen gegen Covid-19 und hier vor allem um AstraZeneca ist groß. Mit welchen Fragen melden sich Patienten bei Ihnen?
Dr. Antonios Bayas: Es melden sich bei uns vor allem viele Patienten mit Multipler Sklerose; die Erkrankung ist bei uns auch einer der Schwerpunkte. Aber auch Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen rufen an. Die meisten Patienten wollen wissen, ob sie sich impfen lassen sollen und ob eine Impfung allgemein oder einer der Impfstoffe ihre Erkrankung verschlechtern könnte. Bei MS fragen eben viele, ob durch die Immunreaktion, die ja durch eine Impfung ausgelöst wird, Schübe ausgelöst werden können.
Und zu was raten Sie?
Bayas: MS-Patienten raten wir klar zu einer Impfung. Bei MS gibt es bereits mehrere Studien zu Grippeschutzimpfstoffen, die zeigen, dass diese bei der MS sicher sind. Das sind Totimpfstoffe, und die Vakzine, die gegen Covid-19 jetzt eingesetzt werden, sind Totimpfstoffen gleichzusetzen. Daher und aus der Erfahrung mit anderen Totimpfstoffen wird davon ausgegangen – auch wenn es speziell zu den Covid19-Impfstoffen
noch keine Untersuchungen hierzu gibt, dass die Impfstoffe keine Krankheitsaktivität bei MS auslösen. Unseren MS-Patienten, aber auch Patienten mit anderen neurologischen Autoimmunerkrankungen empfehlen wir daher auch jedes Jahr eine Grippeschutzimpfung. Unabhängig davon, ob sie eine Immuntherapie bekommen oder nicht.
Gerade AstraZeneca beunruhigt aber MS-Patienten . . .
Bayas: Es trat in klinischen Studien mit AstraZeneca sehr selten eine bestätigte oder ein Verdachtsfall einer Rückenmarksentzündung auf. Allerdings konnte nicht nachgewiesen werden, dass tatsächlich die Impfung Auslöser dafür war. Da aber eine Myelitis, also eine Rückenmarksentzündung, bei MS im Zuge eines Schubes auftreten kann, kam es durch diese Meldung zur Verunsicherung bei Patienten. Wir haben aber momentan keine gesicherten Daten, dass AstraZeneca zu einer Verschlechterung einer neurologischen Autoimmunerkrankung führt. Dies gilt im Übrigen auch für die Impfstoffe der anderen Hersteller. Nach unserem Erkenntnisstand können sich Patienten mit neurologischen Autoimmunerkrankungen mit allen momentan verfügbaren
Impfstoffen gegen Covid-19 impfen lassen. Und das sollten sie auch tun.
Unabhängig von der Therapie?
Bayas: Nun, die Deutsche MS-Gesellschaft favorisiert für Patienten, die unter einer immunsuppressiven Therapie stehen, bei denen also das Immunsystem unterdrückt wird, wenn verschiedene Impfstoffe am Impftermin zur Verfügung stehen, einen mRNA-Impfstoff, da ihm in Studien eine höhere Effektivität bescheinigt wurde und MS-Patienten somit besser vor Covid-19 geschützt wären. Ob das allerdings stimmt und AstraZeneca hier einen schlechteren Schutz bietet, wissen wir einfach nicht.
Sollten MS-Patienten vor einer Impfung zu ihrem behandelnden Facharzt?
Bayas: Also ich würde als MS-Patient keinen mir angebotenen Impftermin – auch mit AstraZeneca – absagen, nur, weil ich noch nicht bei meinem Facharzt war. Wer ohnehin zu seinem behandelnden Arzt geht, sollte die Impfung besprechen. Bei manchen das Immunsystem stärker beeinträchtigenden Immuntherapien, die in der Regel bei höherer MS-Aktivität eingesetzt werden, kann es Zeitfenster geben, bei denen eine Impfung effektiver sein kann. Hier rate ich zu einer Rücksprache mit dem behandelnden Facharzt. Aber wie gesagt: Jeder MS-Patient sollte sich so schnell wie möglich impfen lassen.
Wie sieht es denn bei anderen neurologischen Erkrankungen aus: Würden Sie Patienten mit Parkinson oder Schlaganfall eine Impfung auch mit AstraZeneca empfehlen?
Bayas: Momentan sehen wir hier keinen Grund, warum diese Patientengruppen sich nicht mit AstraZeneca impfen lassen sollten. Zumal gerade die möglichen Nebenwirkungen in Form von Sinus- oder Hirnvenenthrombosen vor allem bei eher jüngeren Menschen, also in der Altersgruppe bis 55 Jahren, beobachtet wurden.
Wäre es mit Blick auf mögliche Nebenwirkungen wie Hirnvenenthrombosen bei AstraZeneca eigentlich sinnvoll, prophylaktisch Medikamente zur Blutverdünnung einzunehmen?
Bayas: Das werde ich öfter gefragt. Davor kann ich nur warnen, das könnte sogar eher gefährlich sein. Denn nicht nur Thrombosen sind als mögliche Nebenwirkungen beobachtet worden, sondern in einzelnen Fällen auch ein Mangel an Blutplättchen, eine Thrombozytopenie. Da die Thrombozyten vor allem für die Blutstillung und Blutgerinnung wichtig sind, kann es dadurch vermehrt zu Blutungen kommen. Wenn dann Blutverdünnungsmittel eingenommen wurden, führt das eher zu negativen Effekten.
Wenn wir hier übers Impfen bei MS sprechen, stellt sich natürlich auch die Frage, wie Sie die Meldungen beurteilen, wonach ein Impfstoff gegen MS in der Entwicklung ist?
Bayas: Die Entwicklung wurde meiner Ansicht nach so publikumswirksam, weil in der dieses Jahr veröffentlichten Studie Biontech beteiligt ist und es sich um ein mRNA-Vakzin handelt – beides ist jetzt bekannt. Doch der Ansatz ist ein völlig anderer. Außerdem befindet sich die aus meiner Sicht interessante Entwicklung ganz am Anfang, also im Tiermodell der MS. Da wäre es viel zu früh, schon irgendeine Einschätzung für den Menschen abzugeben. Meiner Meinung nach gibt es momentan leider keine Aussicht auf einen Impfstoff gegen MS in den nächsten Jahren.
Antonios Bayas, 53, PD und Oberarzt in der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie am Uniklinikum Augsburg.