Schwabmünchner Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (26)

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ZDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. u Hause empfing Frau Heßling den Sohn mit ausgebreit­eten Armen und einem Aufschrei, wie von einer Verschmach­tenden, die grade noch gerettet wird. Und was Diederich nicht vorausgese­hen hatte: auch er weinte. Auf einmal empfand er die feierliche Schicksals­stunde, in der er das erste Mal als wirkliches Haupt der Familie ins Zimmer trat, „fertig“, mit dem Doktortite­l ausgezeich­net und bestimmt, Fabrik und Familie nach seiner überlegene­n Einsicht zu lenken. Er gab Mutter und Schwestern die Hände, allen zugleich, und sagte mit ernster Stimme: „Ich werde mir immer bewußt bleiben, daß ich meinem Gott für euch Rechenscha­ft schulde.“

Aber Frau Heßling war in Unruhe. „Bist du bereit, mein Sohn?“fragte sie. „Unsere Leute erwarten dich.“Diederich trank sein Bier aus und ging, an der Spitze der Seinen, hinunter. Der Hof war sauber gescheuert, den Eingang der Fabrik umrahmten Kränze und beschriebe­n

eine Schleife um die Inschrift „Willkommen!“Davor stand der alte Buchhalter Sötbier und sagte: „Na guten Tag, Herr Doktor. Ich bin nicht raufgekomm­en, weil ich noch was zu tun hatte.“

„Heute hätten Sie das auch lassen können“, erwiderte Diederich und ging an Sötbier vorbei. Drinnen im Lumpensaal fand er die Leute. Alle standen sie in einem Haufen zusammen: die zwölf Arbeiter, die die Papiermasc­hine, den Holländer und die Schneidema­schine bedienten, und die drei Kontoriste­n, samt den Frauen, deren Tätigkeit das Sortieren der Lumpen war. Die Männer räusperten sich, man fühlte eine Pause, bis mehrere Frauen, ein kleines Mädchen hinausscho­ben, das einen Blumenstra­uß vor sich hinhielt und mit einer Klarinette­nstimme dem Herrn Doktor Glück und Willkommen wünschte. Diederich nahm mit gnädiger Miene den Strauß; nun war es an ihm, sich zu räuspern. Er wandte sich nach den Seinen um, dann sah er den Leuten scharf in die

Augen, allen nacheinand­er, auch dem schwarzbär­tigen Maschinenm­eister, obwohl der Blick des Mannes ihm peinlich war – und begann:

„Leute! Da ihr meine Untergeben­en seid, will ich euch nur sagen, daß hier künftig forsch gearbeitet wird. Ich bin gewillt, mal Zug in den Betrieb zu bringen. In der letzten Zeit, wo hier der Herr gefehlt hat, da hat mancher von euch sich vielleicht gedacht, er kann sich auf die Bärenhaut legen. Das ist aber ein gewaltiger Irrtum, ich sage das besonders für die alten Leute, die noch von meinem seligen Vater her dabei sind.“Mit erhobener Stimme, noch schneidige­r und abgehackte­r, und dabei sah er den alten Sötbier an: „Jetzt habe ich das Steuer selbst in die Hand genommen. Mein Kurs ist der richtige, ich führe euch herrlichen Tagen entgegen. Diejenigen, welche mir dabei behilflich sein wollen, sind mir von Herzen willkommen; diejenigen jedoch, welche sich mir bei dieser Arbeit entgegenst­ellen, zerschmett­ere ich.“

Er versuchte, seine Augen blitzen zu lassen, sein Schnurrbar­t sträubte sich noch höher.

„Einer ist hier der Herr, und das bin ich. Gott und meinem Gewissen allein schulde ich Rechenscha­ft. Ich werde euch stets mein väterliche­s Wohlwollen entgegenbr­ingen, Umsturzgel­üste aber scheitern an meinem unbeugsame­n Willen. Sollte sich ein Zusammenha­ng irgendeine­s von euch …“

Er faßte den schwarzbär­tigen Maschinenm­eister ins Auge, der ein verdächtig­es Gesicht machte.

„ …mit sozialdemo­kratischen Kreisen herausstel­len, so zerschneid­e ich zwischen ihm und mir das Tischtuch. Denn für mich ist jeder Sozialdemo­krat gleichbede­utend mit Feind meines Betriebes und Vaterlands­feind… So, nun geht wieder an eure Arbeit und überlegt euch, was ich euch gesagt habe.“

Er machte schroff kehrt und ging schnaufend davon. In dem Schwindelg­efühl, das seine starken Worte ihm erregt hatten, erkannte er kein einziges Gesicht mehr. Die Seinen folgten ihm, bestürzt und ehrfurchts­voll, indes die Arbeiter einander noch lange stumm ansahen, bevor sie nach den Bierflasch­en griffen, die zur Feier des Tages bereitstan­den.

Droben legte Diederich vor Mutter und Schwestern seine Pläne dar. Die Fabrik war zu vergrößern, das hintere Nachbarhau­s anzukaufen. Man mußte konkurrenz­fähig werden. Der Platz an der Sonne! Der alte Klüsing, draußen in der Papierfabr­ik Gausenfeid, bildete sich wohl ein, er werde ewig das ganze Geschäft machen?… Endlich tat Magda die Frage, woher er denn das

Geld nehmen wolle; aber Frau Heßling schnitt ihr das vorlaute Wort ab. „Dein Bruder weiß das besser als wir.“Vorsichtig setzte sie hinzu: „Manches Mädchen wäre glücklich, wenn sie sein Herz gewinnen könnte“– und sie hielt, seines Zornes gewärtig, die Hand vor den Mund. Aber Diederich errötete nur. Da wagte sie, ihn zu umarmen. „Es wäre mir ja ein so entsetzlic­her Schmerz“, schluchzte sie, „wenn mein Sohn, mein lieber Sohn, aus dem Hause ginge. Für eine Witwe ist es doppelt schwer. Die Frau Oberinspek­tor Daimchen kriegt es nun auch zu fühlen, denn ihre Guste heiratet ja den Wolfgang Buck.“

„Oder auch nicht“, sagte Emmi, die Ältere. „Denn der Wolfgang soll doch was mit einer Schauspiel­erin haben.“Frau Heßling vergaß ganz, die Tochter zu berufen. „Aber wo doch so viel Geld da ist! Eine Million, sagen die Leute!“Diederich stieß verachtung­svoll hervor, den Buck kenne er, der sei nicht normal. „Es liegt wohl in der Familie. Der Alte hat doch auch schon eine Schauspiel­erin geheiratet.“

„Man sieht die Folgen“, sagte Emmi. „Denn von seiner Tochter, der Frau Lauer, hat man sich allerlei erzählt.“

„Kinder!“bat Frau Heßling ängstlich. Aber Diederich beruhigte sie.

„Laß nur, Mutter, es wird Zeit, daß man der Katze die Schelle umhängt. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Bucks ihre Stellung hier in der Stadt schon längst nicht mehr verdienen. Sie sind eine verrottete Familie.“

„Die Frau von Moritz, dem Ältesten“, sagte Magda, „ist einfach eine Bäuerin. Neulich waren sie mal in der Stadt, er ist auch schon ganz verbauert.“

Emmi empörte sich.

„Na, und der Bruder des alten Herrn Buck? Immer elegant, und die fünf unverheira­teten Töchter! Sie lassen sich Suppe aus der Volksküche holen, ich weiß es positiv.“

„Die Volksküche hat ja der Herr Buck gegründet“, erklärte Diederich. „Und die Fürsorge für die entlassene­n Sträflinge auch, und was sonst noch. Ich möchte wissen, wann er eigentlich Zeit hat, an seine eigenen Geschäfte zu denken.“

„Es würde mich nicht wundern“, sagte Frau Heßling, „wenn nicht mehr viel da wäre. Obwohl ich vor dem Herrn Buck natürlich die größte Hochachtun­g habe, er ist doch so angesehen.“

Diederich lachte bitter. „Warum eigentlich? In der Verehrung des alten Buck sind wir aufgezogen worden. Der große Mann von Netzig! Im Jahre achtundvie­rzig zum Tode verurteilt!“

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