Käpt’n Gündogan
Der Mittelfeldspieler von Manchester City befindet sich in der Form seines Lebens. Das kann er gegen Nordmazedonien sogar als Spielführer beweisen
Düsseldorf Dieses Mal kein Liedchen. Anders als zur Pressekonferenz vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Rumänien, als Joachim Löw heiter entschwebt, Low Barry Whites „You‘re the first, the last, my everything“vor sich hin sang, Kameras und Mikrofone ignorierte, war es gestern wieder ganz der Bundestrainer, der in dem dunklen Hoodie steckte. Konzentriert, verbindlich, aufmerksam – der Joachim Löw, wie ihn die Journalisten aus unzähligen Pressekonferenzen seit elf Jahren in diesem Amt kennen. Dessen Zeit bekanntlich im Sommer vorbei ist. Ob er mag oder nicht: Der 61-Jährige ist auf Abschiedstour. Das WM-Qualifikationsspiel gegen Nordmazedonien heute (20.45 Uhr/RTL), das dritte nach den Siegen gegen Island (3:0) und Rumänien (1:0) ist sein letztes als Bundestrainer. Wehmut? „Auf keinen Fall“, antwortet Löw streng. Wehmut ist keine seiner Kategorien. „Ich beschäftige mich jetzt nicht mit der Situation, dass ich nach der EM aufhöre“, sagt der 61-Jährige. Er ist im Hier und Jetzt und das heißt Nordmazedonien. Das Ziel waren neun Punkte aus den drei
Spielen. Dazu fehlt noch ein Sieg. Seit sich Löw mit den Nordmazedoniern beschäftigt hat, weiß er, „die sind mit allen Wassern gewaschen, technisch gut und keinen Deut schlechter als die Rumänen“.
Bei allem Respekt sollte die Nummer 65 der Fifa-Weltrangliste die deutsche Auswahl vor keine allzu großen Probleme stellen. Der einzige bekannte Spieler der Gäste ist deren nationales Idol Goran Pandev. Der Rekordspieler geht steil auf die 38 zu. Immerhin weiß er, wie man deutsche Teams besiegt. 2010 gewann der einstige Musterschüler von Jose Mourinho mit Inter Mailand gegen den FC Bayern die Champions League.
Deutlich beeindruckender ist die Statistik, die Jogi Löw dagegen setzen kann. Von seinen 33 WM-Qualifikationsspielen hat er keines verloren und nur dreimal unentschieden gespielt. Überhaupt ist Deutschland bei 96 Siegen und zwei Niederlagen so etwas wie der Qualifikationsweltmeister.
Deshalb verbreitete der Bundestrainer, auch ohne ein Lied auf den Lippen, gestern gute Stimmung. Sie speiste sich aus dem, was er in den vorausgegangenen Partien gesehen hatte. Und dann lobte er die „mannschaftliche Grundordnung, die Kompaktheit, die guten Abläufe in der Offensive und das Herausspielen der Chancen“. Dass seine Mannschaft gegen Rumänien viele Gelegenheiten liegen ließ, unterschlug er großzügig. Was das alles personell für Nordmazedonien oder gar die EM bedeutet? Für die Europameisterschaft sind zwei Monate noch reichlich Zeit, um sich in den Kader hinein- oder hinauszuspielen. Dem Frankfurter Rückkehrer Amin Younes, der bislang nur SekundenEinsätze hatte, könnte heute Abend sogar die Startformation winken. Ebenso Timo Werner. Möglicherweise muss Leroy Sane seinen Platz dafür räumen, den Löw für seine Defensivarbeit („Extraklasse“) besonders lobte. Sicher ist: Im Tor löst Andre ter Stegen Manuel Neuer ab. Kapitän ist Ilkay Gündogan. Eine Verbeugung vor dem 30-Jährigen, zumal nicht Gündogan, sondern Joshua Kimmich mit 52 Einsätzen dann der erfahrenste Nationalspieler ist. Gündogan aber ist in der Form seines Lebens, auch wenn er das nicht gerne hört. Er ist eine der zentralen Figuren im Spiel von Manchester City, des designierten englischen Meisters und der momentan mutmaßlich besten Vereinsmannschaft der Welt. Seit dieser Saison ist Gündogan nicht nur feinfüßiger Ballverteiler, sondern auch als Torschütze auffällig. Dass es so lange gedauert hat, bis der gebürtige Gelsenkirchener dort oben angelangt ist, hängt mit seinem Verletzungspech zusammen, das ihm einen früheren Karrieregipfel verbaut hat. Darum könnte die EM das erste Turnier sein, bei dem Gündogan groß in Erscheinung tritt. Das Trio mit dem wuchtigen Leon Goretzka und der Passmaschine Joshua Kimmich, wahlweise auch dem nicht weniger ballsicheren Toni Kroos, gilt als das Herzstück der deutschen Mannschaft. Während Gündogan früher der Ergänzungsspieler war, ist er heute Stammkraft. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich es verdiene in der Nationalelf zu spielen“, sagt Gündogan, und bevor es überheblich klingt, schiebt der eloquente Mittelfeldmann hinterher, „aber das haben andere auch“.
„Ich beschäftige mich jetzt nicht mit der Situation, dass ich nach der EM aufhöre.“
Joachim Löw