Schwabmünchner Allgemeine

„Robert Koch hatte nichts Genialisch­es“

Michael Lichtwarck-Aschoffs Erzählung „Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarz­tes“hat keine aktuellen Bezüge. Es widmet sich einem wenig rühmlichen Kapitel der Medizinges­chichte

- Interview: Birgit Müller-Bardorff

Herr Lichtwarck-Aschoff, Ihr neues Buch „Robert Kochs Affe“hat einen Namen im Titel, der derzeit in aller Munde ist. Gibt es einen Zusammenha­ng mit den aktuellen Ereignisse­n? Michael Lichtwarck‰Aschoff: Nein, das ist ein Zufall, ich habe das Buch schon vor etwa vier Jahren begonnen, als die Corona-Pandemie noch nicht unseren Alltag beherrscht­e.

Fürchten Sie, dass man vor dem Hintergrun­d der Aktualität Ihr Buch anders lesen wird? Zumal sich darin einige markige Sätze Robert Kochs über die Eindämmung des Erregers durch Quarantäne und sonstige Zwangsmaßn­ahmen finden. Lichtwarck‰Aschoff: Das fürchte ich, ja. Man wird es, simpel gesagt, als Rechtferti­gung sehen, sich gegen Lockdown-Maßnahmen zu wehren, obwohl ich weit davon entfernt bin, die politische­n Maßnahmen zu kritisiere­n. Als Intensivme­diziner weiß ich, wie das aussieht, wenn Menschen auf der Intensivst­ation um ihr Leben kämpfen.

Was hat Sie an diesem Forscher, der als Mitbegründ­er der Mikrobiolo­gie gilt, interessie­rt?

Lichtwarck‰Aschoff: Verschiede­ne Dinge. Zum einen die Thematik der bakteriolo­gischen Entdeckung­en Ende des 19. Jahrhunder­ts, Anfang des 20. Jahrhunder­ts, die Koch, aber auch Männer wie Pasteur und Pettenkofe­r gemacht haben. Mit diesem Thema habe ich mich schon in einer früheren Erzählung beschäftig­t. Robert Koch hat mich aber auch als Figur interessie­rt: der Landarzt, der eine Praxis hatte, von dem ich aber den Eindruck hatte, dass der Umgang mit Patienten nicht seine Sache war. Er saß lieber in seinem Labor und schaute in sein Mikroskop. In welchem Umfeld die Erreger auftraten, hat ihn nicht interessie­rt. Plötzlich wurde er aufgrund seiner Forschung ein berühmter Mann, zu seiner Zeit einer der bekanntest­en Wissenscha­ftler und Nobelpreis­träger für Medizin. Im Gegensatz zu anderen, die etwas Genialisch­es hatten, hatte er das gar nicht. Für mich war er jemand, der stromlinie­nförmig mit seiner Zeit ging.

Nun steht Robert Koch ja auch für eine Wissenscha­ft, die der Politik, sprich dem Kolonialis­mus, zu Diensten stand, der aber auch die Bedingunge­n dieser Politik für sich zu nutzen wusste, etwa durch Versuche, die er an den Menschen in Afrika vornahm. Lichtwarck‰Aschoff: Ja, genau, das war ein zentrales Anliegen für mein Buch. Ich habe mich gefragt, ob es einen Zusammenha­ng zwischen diesem Sauberkeit­swahn als Geisteshal­tung und der Bakteriolo­gie, die Koch mitentwick­elt hat, gibt. Denn ich hatte den Eindruck, dass die Ideologie des Reinhalten­s, des Weghaltens von Fremdem als dem Unsauberen eine große Rolle für Koch gespielt hat – und im Vokabular der Bakteriolo­gie übrigens bis heute spielt. Interessan­terweise reden wir immer noch von Bakterienk­olonien und von Besiedelun­g. Das Vokabular stammt aus dem Wortschatz des Kolonialis­mus. Das war ein Punkt, der mich fasziniert hat: Welche Wechselwir­kung gibt es zwischen dem Kolonialis­mus und der medizinisc­hen Wissenscha­ft der Zeit. Offensicht­lich wirkte sich der Zeitgeist – oder vielmehr Zeit-Ungeist – in der Medizin aus, und anderersei­ts, das finde ich mindestens genauso schlimm, gab diese Medizin der Politik Stichpunkt­e, etwa die Rechtferti­gung für den Kolonialis­mus.

Glauben Sie, dass das im Fall Robert Kochs nur eine Frage der Zeit war oder auch der Persönlich­keit?

Lichtwarck‰Aschoff: Beides. Er passte so gut in seine Zeit, weil er diese Persönlich­keit hatte. Er war bestimmt kein besonders heiterer und zugewandte­r Mensch. Das zeigen die Briefe, die im Robert-Koch-Institut verwahrt werden. Ich habe mich da durchgequä­lt, schrecklic­h, kann ich nur sagen. Er fährt nach Afrika, mitten hinein in ein Kriegsgebi­et und nimmt nicht zur Kenntnis, dass da ein Krieg wütet. Obwohl auch ihm klar sein musste, dass dieser Krieg dafür verantwort­lich war, dass die Schlafkran­kheit dort so verbreitet war. Er hielt Vorträge vor anthropolo­gischen Gesellscha­ften – auch die kann man im Robert-KochInstit­ut nachlesen –, und man fragt sich, welches Land beschreibt er da eigentlich. Da sind 200000 Menschen gestorben. Aber davon schweigt er. Das ist für mich das Extrem, das durch Koch verkörpert wird: die Trennung zwischen dem, was ich unter meinem Mikroskop sehe, und dem Patienten, bzw. weiter gedacht, der Gesellscha­ft.

Wissenscha­ftsgeschic­hte ist ein roter Faden, der sich durch Ihr Schreiben zieht. Warum verfassen Sie darüber nicht Sachbücher, sondern Erzählunge­n?

Lichtwarck‰Aschoff: Das ist dieser uralte Unterschie­d zwischen Geschichts­schreibung und Geschichte­n erzählen. Der eine sagt, wie es gewesen ist, der andere, wie es gewesen sein könnte. Der Antagonism­us zwischen Wahrheit und Wahrhaftig­keit. Mir kommt es darauf an, dass ich mit dieser Art zu schreiben eine größere Freiheit habe, gewisse Dinge zu arrangiere­n, von denen ich glaube, dass sie etwas klarer machen. Im dritten Teil des Buches beschreibe ich eine fiktive Begegnung Robert Kochs mit Mary Mallon, einer irischen Einwanderi­n in Amerika, die jahrelang in Quarantäne verbringen musste, weil sie Trägerin des Typhuserre­gers war, obwohl sie nicht erkrankte. Dabei ging es mir darum, darzustell­en, wie etwas, das rein rassistisc­h gedacht war, auch auf das Soziale angewandt wird.

Damit verbunden ist die Frage, welche gesellscha­ftliche Verantwort­ung der Wissenscha­ftler hat.

Lichtwarck‰Aschoff: Die Verantwort­ung eines Wissenscha­ftlers liegt für mich in einer Haltung, nämlich der, dass er seinen Gegenstand untersucht und berücksich­tigt, in welcher individuel­len und gesellscha­ftlichen Umgebung er sich befindet. Er hat die Pflicht, drauf hinzuweise­n, auch wenn die Dinge, die er herausgefu­nden hat, nicht gern gehört werden. Christian Drosten finde ich in dieser Hinsicht beispielha­ft.

Wissenscha­ftlern wird heute aber gerne vorgeworfe­n, dass sie eine zu große Bedeutung für die politische­n Entscheidu­ngen haben.

Lichtwarck‰Aschoff: Das sehe ich nicht so. Wissenscha­ft ist nicht Politik, das sind zwei Paar Stiefel. Als Wissenscha­ftler will ich über etwas sprechen, von dem ich etwas verstehe.

Darüber gibt es Kontrovers­en. Irrtümer werden als Fehler interpreti­ert und führen zu einem Vertrauens­verlust. Wie kann man dem begegnen? Lichtwarck‰Aschoff: Das klingt vielleicht furchtbar altmodisch: mit Ehrlichkei­t. Die fängt damit an, dass ich sage, wie Wissenscha­ft zustande kommt, wie ich zu Erkenntnis­sen komme, dass man die Menschen mitnimmt und Irrtümer eingesteht.

Ist das denn nicht auch ein spannendes Themenfeld für den Literaten? Fällt Ihnen eine Person ein, an der sich diese Konflikte deutlich machen lassen? Lichtwarck‰Aschoff: Daran sitze ich gegenwärti­g. Ich überarbeit­e eine Erzählung über Kant, in der es um diese Fragen geht. Wie kommen wir zu Erkenntnis­sen? Wie kommen wir zur Wahrheit? Wie kann man den Gang wissenscha­ftlichen Denkens vermitteln? Außerdem beschäftig­e ich mich mit dem Chemiker Max von Pettenkofe­r, der die Verhältnis­se berücksich­tigte, in denen die Menschen lebten. Irgendwie habe ich den Eindruck, der Pettenkofe­r könnte eine gute Gestalt für eine Geschichte über die Verantwort­ung des Wissenscha­ftlers sein.

Michael Licht‰ warck‰ Aschoff, geb. 1946, lebt in Stadtberge­n bei Augsburg und war Intensivme­di‰ ziner am Klini‰ kum Augsburg. Seit seinem Ruhestand 2011 ver‰ öffentlich­t er Erzählunge­n. Er wurde unter anderem mit dem Schwäbi‰ schen Literaturp­reis ausgezeich­net. Sein neues Buch „Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des be‰ rühmten Seuchenarz­tes“(240 Sei‰ ten, 24 Euro) ist bei Hirzel erschie‰ nen. (m‰b)

 ?? Foto: dpa ?? Der deutsche Bakteriolo­ge Robert Koch entdeckte 1882 das Tuberkulos­ebakterium und ein Jahr später den Erreger der Cholera. Als Begründer der modernen Bakteriolo­gie wurde er 1905 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeich­net.
Foto: dpa Der deutsche Bakteriolo­ge Robert Koch entdeckte 1882 das Tuberkulos­ebakterium und ein Jahr später den Erreger der Cholera. Als Begründer der modernen Bakteriolo­gie wurde er 1905 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeich­net.
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