Vorreiter der digitalen Sparte
Die Pandemie hat die deutschen Bühnen dazu gezwungen, das Internet mit all seinen Möglichkeiten viel stärker zu nutzen. Das Augsburger Staatstheater geht innovativ voran
Augsburg Die Corona-Krise hat die deutschen Theater grundsätzlich mit den Möglichkeiten und der Notwendigkeit der Digitalisierung konfrontiert. Eine eigene Seite mit einer Premieren-Übersicht, dem Spielplan, der Vorstellung des Ensembles und der Möglichkeit zum Kartenkauf, das war vor der Pandemie der digitale Standard deutscher Theater. Hinzu kamen Social-Media-Kanäle auf Facebook, Instagram und Twitter, die zu Marketing-Zwecken genutzt worden sind. Die künstlerische Arbeit der Häuser fand auf der Bühne und vor Publikum statt. Wer dann und wann eine ins Netz übertragene Inszenierung anbot, gehörte schon zu den Vorreitern. Im Internet gezeigt wurde dabei, was für die Bühne entstanden war. Eine B-Lösung fürs digitale Publikum, weil Bühnenproduktionen ja in allererster Linie an den Zuschauer im Saal denken und nicht an den zu Hause vor dem Bildschirm.
Dann stand alles still wegen der Corona-Pandemie. Als den Verantwortlichen dämmerte, dass es so schnell kein zurück zu dem Vor-Corona-Zustand geben würde, reagierten fast alle Häuser gleich, sie suchten verstärkt künstlerische Präsenz im Netz, um dort die eigene künstlerische Arbeit fortsetzen zu können.
Was für viele anfangs wie eine Zwischenlösung erschien, scheint sich nun, ein Jahr nach dem Ausbruch von Corona, aber zu verstetigen. Einfach wieder zurück auf den digitalen Vor-Corona-Stand möchten viele nicht mehr gehen. Das wird jetzt zum Beispiel in einem Zusammenschluss von 15 Theatern zum theaternetzwerk.digital deutlich – maßgeblich initiiert von der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund, dem Theater Dortmund und dem Staatstheater Augsburg. Unter den Teilnehmern befinden sich die Münchner Kammerspiele, das Wiener Volkstheater, das Schauspiel Köln, aber auch kleine Bühnen wie das Zimmertheater Tübingen.
Dass das Staatstheater Augsburg zu den Vorreitern digitaler Projekte in Deutschland gehört, liegt auch daran, dass es bereits vor Corona mit neuen visuellen Konzepten experimentieren wollte. Für die OpernInszenierung „Orfeo ed Euridice“ließ Intendant André Bücker Virtual-Reality-Brillen anschaffen, ursprünglich dazu gedacht, das Publikum im Saal damit auszustatten und dieses auf eine zusätzliche, rein virtuelle Bühne zu führen.
Die Inszenierung musste Coronabedingt verschoben werden, die VR-Brillen allerdings kamen nicht in den Fundus, sondern dienten gleich während des ersten Lockdowns dazu, Theaterproduktionen zum Publikum nach Hause zu brinDazu nahm das Staatstheater anfangs bereits bestehende Produktionen, inszenierte diese neu für die Aufnahme mit Spezialkameras, überspielte die Filme auf die Brillen, schuf dazu einen Lieferdienst und bot dem Publikum ein neues Theatererlebnis: zu Hause in den eigenen vier Wänden, allein mit dieser Brille,
die einen sehr schnell dazu bringt, sich öfter um die eigene Achse zu bewegen, um das 360-GradSeherlebnis voll auszukosten.
Das war neu und innovativ und etwas anderes als eine abgefilmte und ins Netz übertragene Inszenierung und unterschied sich dadurch auch von den vielen WohnzimmerStücken und Projekten, die vergangenes Frühjahr als künstlerische Reaktion auf den Lockdown zu sehen waren. Das Staatstheater Augsburg hatte sich damit allerdings selbst überholt. „Ich hatte zu Beginn der vergangenen Spielzeit angekündigt, perspektivisch eine digitale Sparte zu gründen und plötzlich war sie bereits da“, sagt Bücker, der Intendant des Staatstheaters. Deshalb folgte an seiner Bühne auf den zweiten auch der erste Schritt, nämlich diesen Prozess zu institutionalisieren. Die Sparte bekam eine Leiterin – Tina Lorenz – und mit ihr wiederum ein Bündel an neuen Ideen. Das Staatstheater entdeckte für sich eine Internet-Plattform, auf der sich sonst Computerspieler tummeln, die dort anderen beim Computerspielen zuschauen. Dort – auf twitch – etablierte das Haus ein neues Serienformat, das stark von seiner Interaktivität mit dem Publikum lebt. „Das wollen wir weiter ausbauen“, sagt Bücker. Er erzählt auch, dass gerade ein bundesweiter Theater-Hub am Entstehen ist, ein richtiges, rein digitales Theater, in dem sich Schauspieler und Publikum virtuell treffen können.
Nun hat sich auch das eingangs erwähnte Netzwerk gegründet, vorangetrieben auch durch das Staatstheater Augsburg. Darin sollen die Erfahrungen mit verschiedenen Formen der Digitalisierung ausgetauscht werden. In der gemeinsagen. men Gründungserklärung heißt es, dass die Digitalisierung zentrale Grundfesten des Kulturbereichs grundsätzlich infrage stelle, etwa wie inszeniert werde, aber auch, wie und wo Kultur von den Menschen genutzt werde. Dem wollen sich die Theater vorwärtsgewandt stellen. „Wir wollen den digitalen Wandel aktiv und mit den Mitteln der Kunst gestalten; wir möchten uns neue Spiel- und Handlungsräume erschließen, wollen den physischen Bühnenraum ins Digitale erweitern und neue Formen der Zusammenarbeit testen“, heißt es auf der Internetseite des Netzwerks.
Für das Staatstheater Augsburg werden die neuen digitalen Formate, die in der Corona-Pandemie entstanden sind, kein Zwischenspiel sein. „Wir haben uns eine zusätzliche künstlerische Spielart und ein neues Experimentierfeld geschaffen“, sagt Bücker, auf das sich sein Haus weiter einlassen wolle. Allerdings müsse niemand Angst haben, dass das Haus deshalb seine Bühnen vernachlässigen werde. „Wir werden deshalb nicht weniger klassisches Theater spielen.“
Das Staatstheater Augsburg hat sich selbst überholt