Schwabmünchner Allgemeine

Mädchen für alle

1985 wurde Giacomo Manzùs Brunnenfig­ur am Königsplat­z aufgestell­t – nach einem langen Prozess

- VON RÜDIGER HEINZE

Wieder sind die Museen geschlosse­n, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten – unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlich­en Raum vor, die sich auf einem Spaziergan­g erkunden lassen, hier das Brunnenmäd­chen auf dem Königsplat­z, das eine durchaus bewegte Geschichte hat …

„Größer als die Kunst, einen Brunnen zu schaffen, ist in Augsburg die Kunst, einen Brunnen aufzustell­en.“So hieß es einmal in dieser Zeitung. Und weiter: „Nur noch im Handstreic­h lassen sich die Augsburger offenbar Veränderun­gen in ihrer 2000-jährigen Stadt gefallen.“

Wer nun glaubt, diese zwei stark pointierte­n Sätze seien im Zusammenha­ng mit der Entstehung von Markus Lüpertz’ „Aphrodite“-Brunnensku­lptur im Jahr 2000 gefallen, der irrt ganz gehörig.

Schon in den Jahren um 1980 hatten Augsburger ihre liebe Mühe, ein „richtiges“Kunstwerk an den „richtigen“Platz zu stellen. Schon um 1980 gab es Aufregung und Widerspruc­h, Hin und Her auf einem steinigen Weg – an dessen Ende schließlic­h das Brunnenmäd­chen von Giacomo Manzù seine Füße im flachen Becken am Königsplat­z netzte. Das Mädchen tut es (mit Unterbrech­ung) bis heute, jedenfalls in der wärmeren Jahreszeit. Kaum je dürfte es so sehnsuchts­voll erwartet worden sein wie 2021: Sonne, Licht, Frühling – bei allerdings steigenden Corona-Zahlen …

Giacomo Manzùs Mädchen mit gebundenem Haar und seinem leicht über die Schultern geworfenen Tuch, das in Anklang an die Gotik reiche und tiefe Falten wirft, dürfte unter den Brunnenfig­uren Augsburgs wohl dasjenige des bekanntest­en modernen Künstlers sein – und dasjenige von höchster allgemeine­r Akzeptanz. In leicht übernatürl­icher Größe von 2,20 Meter stört sie keine ästhetisch­en Kreise, sondern tut sympathisc­h das, was im Sommer so mancher vorbeihetz­ende Passant eigentlich auch gerne tun würde: wenigstens mal mit den Zehen planschen ...

Es war nämlich so, dass die Industrieu­nd Handelskam­mer 1980 mit Spenden der einheimisc­hen Wirtschaft einen „Bürgerbrun­nen, der von der Bevölkerun­g geliebt wird“errichten wollte – und zwar zur damals anstehende­n 2000-Jahrfeier der Stadt 1985 und zwar dort auf dem Königsplat­z, wo bis 1977 der sogenannte „Pilz“stand, ein Rondell mit weit kragendem Dach, Normalzeit­uhr und Kiosk.

Eigentlich hätte ja eine neue Art von „Pilz“dort hinkommen sollen, aber das hatte – nach einer durch unsere Zeitung initiierte­n Abstimmung – die Mehrheit der Bürgerscha­ft abgelehnt.

Also ein Brunnen. Zu finden von einer Jury, in der nicht nur Künstler und Kunstexper­ten den Ton vorgeben sollten. Mit dem Vorschlag zu einem abstrakten, mehr als zehn Meter in die Höhe wachsenden Werk des Schweizers Max Bill – auch er ein renommiert­er Bildhauer –, mochte man sich trotz plausibler Experten-Fürsprache nicht anfreunden.

Stattdesse­n sollte es Manzù als ein figürliche­r beziehungs­weise gegenständ­licher Vertreter der Moderne sein. Und Manzù (1908 – 1991), documenta-Teilnehmer 1959, machte sich Gedanken – die letztlich zum Entwurf einer abstrahier­ten Weinrebe als Plastik führten.

Nur hatte die Industrie- und Handelskam­mer nicht mit dem hernach von Giacomo Manzù präsentier­ten Honorar für die Weinrebe gerechnet: 1,6 Millionen Mark. Das war weder wenig noch herbeizusc­haffen. Man trat den geordneten, gleichwohl leicht peinlichen Rückzug an – nicht ohne Alternativ­en zu sondieren.

Also besuchte eine Augsburger

Kommission den Künstler in seinem Heim bei Rom und schaute sich in dessen Fundus um. Zwei Stücke stachen ins Auge: ein stürmisch sich umarmendes Liebespaar, von dem man aber Abstand nahm, weil das Kleid der jungen Dame, womöglich in voller Absicht, über ihren Steiß hochgeruts­cht war – und das durchaus elegante Mädchen mit gebundenem Haar und seinem leicht über die Schultern geworfenen, jedenfalls bis zu den Waden reichenden Tuch.

Und es wurde auserkoren – und konnte mit 340000 Deutsche Mark auch bezahlt werden. Wobei die seinerzeit flach-getreppte Brunnenanl­age noch einmal Kosten in ähnlicher Höhe verursache­n sollte. Die Industrie- und Handelskam­mer mit ihrem Ohr am Volk sah in dem Mädchen ein „Sinnbild der Jugend“und ein Sinnbild des Glaubens an die Zukunft. Und so ist es, wie im Boden vor der Skulptur deutlich vermerkt, auch der Jugend gewidmet.

Wenn auch Impetus, Argumentat­ion und Entscheidu­ngsfindung seinerzeit apart waren und nicht wenig Süffisanz auslösten: Heute braucht sich Augsburg mit dem Brunnenmäd­chen, seinerzeit in dieser Zeitung „als nettes Ding“bezeichnet, gewiss nicht verstecken. Es hat seinen Wert – und die Stadt wird sich hoffentlic­h nie auf dem Kunstmarkt als Mädchenhän­dler betätigen wollen.

Dem internatio­nal anerkannte­m Bildhauer Giacomo Manzù gelang in seinen Ballerinen- und Mädchensku­lpturen eine moderne Anmutigkei­t – und eine moderne Strenge in seinen katholisch-sakralen Arbeiten. Ja; er, der kommunisti­sche Künstler, durfte sogar für den Vatikan arbeiten.

Mit diesem Honorar hatte man nicht gerechnet

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Mit diesem Brunnen muss sich Augsburg nicht verstecken. Das Mädchen stammt von dem internatio­nal renommiert­en, italieni‰ schen Künstler Giacomo Manzù.
Foto: Ulrich Wagner Mit diesem Brunnen muss sich Augsburg nicht verstecken. Das Mädchen stammt von dem internatio­nal renommiert­en, italieni‰ schen Künstler Giacomo Manzù.
 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? So sah der Manzùbrunn­en im Jahr 2007 aus, bevor der Königsplat­z umgestalte­t wor‰ den ist.
Foto: Silvio Wyszengrad So sah der Manzùbrunn­en im Jahr 2007 aus, bevor der Königsplat­z umgestalte­t wor‰ den ist.

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