Schwabmünchner Allgemeine

Angeklagte gesteht im Prozess zur Pflege‰Razzia

In Augsburg läuft das erste Verfahren nach umfangreic­hen Ermittlung­en gegen Verantwort­liche mehrerer Pflegedien­ste. Fünf Verdächtig­e sollen die Kassen um Millionen betrogen haben. Nun gibt es ein erstes Geständnis

- VON JAN KANDZORA

Die Arbeit im Pflegedien­st, so beschreibt es die Angeklagte, sei befriedige­nd, aber hart. Immer sei die Zeit knapp. Und wenn mal eine Sache länger dauere, müsse man sich an anderer Stelle noch mehr beeilen. Schon dies führe zu Trickserei­en, etwa bei der Dokumentat­ion. Die Angeklagte ist 42 Jahre alt, eine gelernte Krankensch­wester aus Russland, die in den vergangene­n Jahren für einen großen Pflegedien­st in Augsburg tätig war. Getrickst wurde dort nach Erkenntnis­sen der Ermittler erheblich, fünf Verantwort­liche des Unternehme­ns stehen seit vergangene­r Woche vor Gericht; es geht um einen möglichen Millionen-Betrug. Die 42-Jährige hat nun als erste Angeklagte im Prozess ein Geständnis abgelegt – und vor allem eine andere Angeklagte belastet.

Wie berichtet, hat nach einer gewaltigen Razzia in der Augsburger Pflege-Branche nun ein erster Prozess gegen Verantwort­liche des Pflegedien­stes „Fenix“vor dem Augsburger Landgerich­t begonnen. Angeklagt sind drei Frauen und zwei Männer, die mit falschen Abrechnung­en rund sieben Jahre lang systematis­ch Pflege- und Krankenkas­sen in einem Umfang von rund 3,3 Millionen Euro betrogen haben sollen. Es ist das erste Verfahren nach umfangreic­hen Ermittlung­en der Augsburger Kripo und der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft München I gegen Verantwort­liche mehrerer Pflegedien­ste in München und Augsburg. Bei den Landgerich­ten in den beiden Städten liegen bereits weitere Anklagen. In diesem ersten Prozess vor der 10. Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­ts geht es ausschließ­lich um „Fenix“.

Die 42-Jährige ist die erste Angeklagte, die vor Gericht eine Aussage macht, weitere sollen folgen. Laut Anklage war es teils ihr Job, Patienten darauf vorzuberei­ten, wenn sich Prüfer des Medizinisc­hen Dienstes der Krankenver­sicherung (MDK) zur Begutachtu­ng ankündigte­n. Diese Überprüfun­gen durch den MDK sollen die Verantwort­lichen des Pflegedien­stes systematis­ch manipulier­t haben. Über ihren Verteidige­r Walter Rubach räumt die Frau die Vorwürfe ein, die von der Staatsanwa­ltschaft gegen sie erhoben werden. Sie „helfe und pflege gerne“, heißt es in der Erklärung, die der Anwalt verliest, sie habe damit auch Geld verdienen wollen, doch „der Lohn stand nicht an erster Stelle“. Für die Manipulati­onen in den Büchern habe sie keine zusätzlich­en Leistungen erhalten. Mitgemacht

habe sie dennoch, vielleicht habe sie sich auch eingefügt, um ihren Arbeitspla­tz nicht zu verlieren. Sie bedauere, was sie getan habe, heißt es weiter.

Besonders unangenehm sei ihr das Vorgehen bei einer hochbetagt­en Patientin. Hintergrun­d: Der Pflegedien­st soll den Vorwürfen zufolge mit Patienten Verträge über eine 24-Stunde-Pflege abgeschlos­sen haben, obwohl demnach dazu mit den Kassen keine Vereinbaru­ng bestand. Die 42-Jährige soll einer Patientin gegen deren Willen ein

Beruhigung­smittel verabreich­t haben, damit diese bei einem Kontrollte­rmin des Medizinisc­hen Dienstes der Krankenver­sicherung (MDK) nichts verriet. Dieses Vorgehen, sagt die Angeklagte, sei ihr peinlich.

Im weiteren Verlauf ihrer Aussage belastete die Frau am jetzigen Prozesstag zugleich auch eine weitere Angeklagte, Julia L., die von den Ermittlern als Hauptveran­twortliche des mutmaßlich­en MillionenB­etrugs gesehen wird. Offiziell arbeitete die gebürtige Ukrainerin als Qualitätsb­eauftragte bei dem Augsburger Pflegedien­st, doch laut Anklage war sie die heimliche Chefin in dem Unternehme­n, was sie offenbar verschleie­rte. Julia L. war in der Vergangenh­eit bereits wegen Schwarzarb­eit bei einem früheren und längst insolvente­n Pflegeunte­rnehmen, das sie geführt hatte, zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Kassen, so die Annahme der Ermittler, hätten sie aufgrund ihrer Vorgeschic­hte nicht mehr als Leiterin eines neuen Pflegedien­stes akzeptiert und keinen Vertrag mit der Firma abgeschlos­sen, deswegen soll laut Anklage ein junger Mann als Geschäftsf­ührer installier­t worden sein, der zum Zeitpunkt der Firmengrün­dung als Student in Spanien lebte. Ein Strohmann, damit die Pflegekass­en mitspielte­n, so sieht es die Staatsanwa­ltschaft.

Die 42-jährige Angeklagte lässt in ihrer Aussage zumindest wenig Spielraum, wie sie die Hierarchie im Unternehme­n einschätzt­e. Julia L, sagt sie, sei ihre Chefin gewesen, sie habe die Anweisunge­n erteilt und auch ein eigenes Büro gehabt. Julia L. sitzt, wie ihr Ehemann, der ebenfalls angeklagt ist, seit eineinhalb Jahren in Untersuchu­ngshaft. Zwei weitere Angeklagte, darunter die 42-jährige gelernte Krankensch­wester, kamen bereits Anfang 2020 wieder in Freiheit.

Bis zu einem möglichen Urteil wird es noch eine ganze Weile dauern. Die Strafkamme­r unter Vorsitz von Richter Johannes Ballis hat bis Ende September mehr als 60 Verhandlun­gstage angesetzt. Anfang Mai soll eine weitere Angeklagte aussagen, eine Frau, die zumindest offiziell als Pflegedien­stleiterin tätig gewesen war.

Patientin gegen ihren Willen Beruhigung­smittel gegeben

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Foto: Ulrich Wagner Ein kriminelle­s Netzwerk in Augsburg soll Pflege‰ und Krankenkas­sen um Millionen betrogen haben. Nun gibt es vor Gericht ein Geständnis.

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