„Sie ist das Maß der Dinge“
Isabell Werth über ihre Stute Bella Rose, die sie in den Ruhestand verabschieden will. Über langjährige Beziehungen zu Pferden. Und über die Fehler im Regelwerk des modernen Fünfkampfs
Frau Werth, Sie wollen Ihr Erfolgspferd Bella Rose beim CHIO in Aachen aus dem Sport verabschieden. Warum haben Sie sich diesen Zeitpunkt ausgewählt?
Isabell Werth: waren uns einig und fanden es sehr schön, dass Bella sich in Tokio vom Championats-Parkett verabschiedet und Weihegold dafür die Europameisterschaft bekommt.
Mit Bella Rose haben Sie OlympiaGold im Team und Olympia-Silber im Einzel gewonnen, sind zweimal TeamWeltmeisterin und einmal EinzelWeltmeisterin mit ihr geworden. 2019 haben Sie drei EM-Titel zusammen geholt. Was ist Ihr gemeinsames Erfolgsrezept?
Werth: das Pferd neun oder zehn Jahre alt ist, dass es den Grand-Prix-Level erreicht hat. Je nach Glück, Routine, Erfahrung und Temperament ist das Pferd in einem Alter zwischen etwa elf, zwölf und 16, 17 Jahren auf dem Zenit – wenn es von Verletzungen verschont bleibt.
Jessica von Bredow-Werndl ist mit Dalera spätestens mit den Leistungen in Tokio auf diesem Niveau angekommen. Was macht die beiden als Paar so stark?
Werth: Sie sind über die Jahre entsprechend zusammengewachsen. Das ist in der Dressur das Wichtigste. Man muss wie ein altes Ehepaar ein Team werden und die Stärken, Schwächen, Emotionen und Reaktionen kennenlernen. Das ist von Pferd zu Pferd sehr unterschiedlich. Das gelingt mal schneller und mal weniger schnell. Sie hat Rio knapp verpasst und war dann seit der Weltmeisterschaft 2018 in Tryon dabei, hat sich akribisch weiterentwickelt und ist jetzt Doppelolympiasiegerin.
Wenn man Jahre braucht, um mit einem Pferd zusammenzuwachsen: Wie bewerten Sie den Modernen Fünfkampf, der zum Ende der Olympischen Spiele durch den Vorfall mit Annika Schleu in die Kritik geraten ist? Werth: Man hat keine Verbindung zu einem Pferd, das man kurz vor dem Wettkampf ausgelost bekommt und dann 20 Minuten Zeit zum Warmreiten hat, um dann eine Prüfung zu absolvieren. Das ist ein ganz anderes
System, das ich nicht mehr für zeitgemäß halte. Dieses Ausmaß der teils unsachlichen und unfairen Kommentare, aber auch gerechtfertigten Kritiken trifft sie natürlich sehr hart. Meine Kritik gilt dem System, nicht der Athletin. Reiten ist im Fünfkampf lediglich eine Teildisziplin. Man muss darüber nachdenken, wie man das System überarbeitet, dass man allen und vor allem den Pferden gerecht wird. Denn in der Situation waren alle überfordert: Pferd, Reiterin und Trainerin.
Was muss sich im Regelwerk ändern?
Werth: Ich bin jetzt nicht damit beschäftigt, mir das Regelwerk des Modernen Fünfkampfes zu eigen zu machen. Es gibt Verantwortliche, die darüber nachdenken müssen, wie sie sich in der Zukunft wettbewerbsfähig halten. Eigene Pferde mitzubringen, ist aber sicher eine Variante. Weil das Springreiten aber eine Teildisziplin ist, weiß ich nicht, ob alle Teilnehmer eigene Pferde zur Verfügung haben. Wenn die meisten aus dem Schwimmen, Fechten oder Laufen kommen, dann ist Reiten eben nur ein Teil, den man mitabsolviert.
Isabell Werth, 52, ist sie benfache Olympiasiege rin im Dressurreiten. Dazu kommen neun WM und 20 EMTitel. (AZ)