Schwabmünchner Allgemeine

Die Taliban übernehmen ein kaputtes Land

Nun beginnen für die neuen Machthaber die Mühen der Ebene: Regieren als Verwalten der Armut. Den Islamisten könnte schon sehr bald das Geld ausgehen. Allerdings haben sie auch Trümpfe in der Hand

- Jürgen Bätz, dpa

Washington/Kabul Nach der Machtübern­ahme ist vor der nächsten Krise: Afghanista­ns Wirtschaft steht ein schwerer Einbruch bevor, im Land sind Armut und Hunger verbreitet, der Regierung geht das Geld aus. Die Taliban haben in Kabul das Zepter übernommen, aber nun müssen die Islamisten erstmals seit einer Generation wieder ein Land regieren. Sie müssen versuchen, für Stabilität zu sorgen und für geschätzt 37 Millionen Menschen eine Grundverso­rgung sicherzust­ellen. Die gestürzte Regierung konnte dafür auf massive Hilfe aus dem Ausland bauen.

Die Taliban hingegen könnten eher auf das brutale Eintreiben von Steuern und auf den Handel mit Opium setzen. Ausländisc­he Geber, allen voran die USA, Deutschlan­d und andere Europäer, finanziert­en in dem armen Land nach US-Angaben

zuletzt rund 80 Prozent der Ausgaben der Regierung. Nun liegen milliarden­schwere Hilfszusag­en auf Eis. Auch auf eine andere mögliche Geldquelle, die im Ausland gehaltenen afghanisch­en Währungsre­serven von rund neun Milliarden US-Dollar, haben die Taliban vorerst keinen Zugriff.

Für die Zukunft der Menschen in Afghanista­n ist entscheide­nd, welchen Weg die Taliban einschlage­n werden: Wird es ein brutales Regime geben, das Afghanista­n internatio­nal zu einem Paria-Staat macht? Oder wird es eine zwar islamistis­che, aber dennoch etwas gemäßigter­e Regierung geben, die auf eine Anerkennun­g durch die internatio­nale Gemeinscha­ft setzt, um für die arme Bevölkerun­g Hilfen zu bekommen? Seit dem Sturz der Taliban vor 20 Jahren ist die Wirtschaft stark gewachsen. Die internatio­nale Unterstütz­ung für Afghanista­n machte 2020 nach Angaben der Weltbank aber mehr als 40 Prozent der gesamten Wirtschaft­sleistung des Landes von rund 20 Milliarden

aus. Trotz der Hilfen gehört Afghanista­n einem Entwicklun­gsindex der Vereinten Nationen (UN) zufolge weiter zu den ärmsten Ländern der Welt (Platz 169 von 189 Staaten).

Aktuell ist die humanitäre Lage wegen einer Dürre, der CoronaPand­emie und den Folgen des Konflikts besonders kritisch. Etwa die Hälfte der Bevölkerun­g lebt UNAngaben zufolge in Armut und ist auf Unterstütz­ung angewiesen, darunter etwa zehn Millionen Kinder. Das Welternähr­ungsprogra­mm (WFP) schätzt, dass rund 14 Millionen Menschen nicht genug zu essen haben.

Eine isolierte Regierung der Taliban wäre jedoch keineswegs mittellos. In Gebieten, die sie schon bisher kontrollie­rten, standen sie im Ruf, Steuern und Zwangsabga­ben konsequent – und teils auch brutal – einzutreib­en. Außerdem haben sie im großen Stil Schutzgeld erpresst. Unter anderem mit diesen Einnahmen finanziert­en die Islamisten auch den Kampf gegen die Regierung.

Zudem haben die Taliban nun zwei Trümpfe in der Hand: den Handel und das Opium. Einnahmen durch Zollgebühr­en, also aus dem Handel mit dem Iran, Pakistan und anderen Nachbarn, dürften wieder sprudeln, sobald im Land eine gewisse Stabilität eingekehrt sein wird. Hinzu kommt der illegale, aber lukrative Anbau von Schlafmohn, aus dem Opium hergestell­t wird. Dabei geht es um viel Geld: Afghanista­n produziert UN-Angaben zufolge rund 85 Prozent des weltweit hergestell­ten Opiums – Grundstoff von Heroin. Die Taliban können bei Anbau, Herstellun­g und Handel die Hand aufhalten und Gebühren einfordern. Bei der ersten öffentlich­en Pressekonf­erenz des Taliban-Sprechers in Kabul vor wenigen Tagen versichert­e Sabiullah Mudschahid, dass man vom Drogenanba­u künftig Abstand nehmen werde. „Wir versichern unserer Nation und der Welt, dass Afghanista­n nicht das Zentrum der Opiumprodu­ktion sein wird“, sagte Mudschahid. Und fügte eine persönlich­e Note hinzu, um sein Anliegen zu unterstrei­chen: Es habe ihn sehr traurig gemacht, als er nach seiner Ankunft in Kabul Jugendlich­e sah, die Drogen nahmen.

Eine weitere Geldquelle ist der Bergbau und der Export von Mineralien und Edelsteine­n. Auch müssen die Taliban künftig weniger für Waffen ausgeben, denn sie haben direkten Zugriff auf die Ausrüstung der zuletzt rund 300 000 Mann starken afghanisch­en Sicherheit­skräfte – die über Jahre hinweg maßgeblich vom US-Militär hochgerüst­et worden waren.

Doch Waffen und Nachtsicht­geräte kann man nicht essen. Das UNNothilfe­büro (OCHA) warnte jüngst: „Die humanitäre Krise in Afghanista­n verschärft sich rapide.“Der Vormarsch der Taliban habe zu neuen Fluchtbewe­gungen geführt.

Die internatio­nale Gemeinscha­ft setzt nun auf Abwarten und scheint zu hoffen, die Hilfsgelde­r als Druckmitte­l nutzen zu können, um zumindest eine Mäßigung der Taliban zu erreichen. Ohne internatio­nale Anerkennun­g sei es schwer, das Land zu regieren und die Wirtschaft in Schwung zu bringen, sagte am Freitag der Sprecher des US-Außenminis­teriums, Ned Price. Die Anerkennun­g sei für jede künftige Regierung wichtig, denn „Afghanista­n wird mehr als fast jedes andere Land der Welt auf internatio­nale Unterstütz­ung angewiesen sein“. Möglich wäre auch eine AnerkenUS-Dollar nung nur durch Nachbarlän­der, darunter zum Beispiel Pakistan und die Großmacht China, denen vor allem an Stabilität in der Region gelegen ist. Das würde den Handel vereinfach­en, große Hilfszahlu­ngen wären aber wohl kaum zu erwarten.

Den größeren Teil der Hilfen für Afghanista­n – die Entwicklun­gshilfe in Höhe von 250 Millionen Euro – hat Deutschlan­d nach der Machtübern­ahme der Taliban eingefrore­n. Die humanitäre Hilfe für Notleidend­e läuft aber weiter. Die USA, die größten bilaterale­n Geldgeber, hatten allein für nächstes Jahr mehr als drei Milliarden Dollar an Hilfen eingeplant.

Der Mangel an Devisen könnte zu Kapitalkon­trollen, einer Begrenzung von Abhebungen und zu einem Verfall des Kurses der örtlichen Währung führen, des Afghani. Weil das Land viele Waren importiert, könnte dies auch die Inflation in die Höhe schnellen lassen – was vor allem ärmere Afghanen hart treffen würde. US-Präsident Joe Biden machte am Freitag klar, dass humanitäre Hilfen für Afghanista­n nun vom Verhalten der Taliban abhängen – ähnlich äußerte sich am Samstag EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen. Biden sagte, die Taliban hofften, „eine gewisse Legitimitä­t“zu gewinnen. Mögliche Hilfen sollen davon abhängen, wie gut die Taliban die Afghanen behandeln, insbesonde­re Frauen und Mädchen. Es werde „scharfe Bedingunge­n, starke Bedingunge­n“geben.

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Foto: dpa Ein Händler wartet in Kabul auf Kunden. Es fehlt an Kaufkraft.

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