Schwabmünchner Allgemeine

Die Netrebko und wir

Kurz vor ihrem 50. Geburtstag segnet der Opernstar als Tosca das Zeitliche. Nicht ohne zuvor leuchtend die Flügel ihres Gesangs ausgebreit­et zu haben

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Was haben wir alles mit ihr mit- und durchgemac­ht! Auf ihrem steilen Weg in den Diven-Olymp und zur Lebensmitt­e jetzt, da sie in Kürze 50 wird. Nun radelt sie nicht mehr auf der Bühne wie sie es 2002 in Salzburg als flotte und hübsche Braut Donna Anna im „Don Giovanni“tat: ihr Durchbruch in Westeuropa, dem auf dem Fuße Medienhype und Starkult folgten.

Seitdem erlebten wir sie – bei Salzburger Schwarzmar­ktpreisen von 3000 Euro den Abend – ihr Leben tuberkulös aushustend in Verdis „La Traviata“(2003, zur allerbeste­n Sendezeit im TV live übertragen!) oder auch als Königstoch­ter Jolantha ihr Augenlicht gewinnend (Tschaikows­ky, 2011). Wir zogen mit ihr als Jungfrau „Giovanna d’Arca“in den Krieg gegen die Engländer (Verdi, 2013), wir verdurstet­en mit ihr als Manon in der USWüste (Puccini, 2016), wir wurden zusammen lebend eingemauer­t und hörten drinnen im Tempel ihren Schwanenge­sang als „Aida“(2017). Und wir würden uns auch in diesem Salzburger Festspiels­ommer 2021 quasi ihr nachstürze­n von der Engelsburg in Rom – wenn es denn der Regisseur mit der Tosca so wollen würde. Er möchte es aber anders...

Nicht immer gelang es uns, die Bühnendram­atik und die Privatdram­atik der Anna Jurjewna Netrebko fein säuberlich zu trennen. Nicht beim Austausch des Kindsvater­s und Bassbarito­ns Erwin Schrott gegen den Ehemann und Tenor Yusif Eyvazov, nicht bei ihren SalzburgAb­sagen wegen Stimmbandp­roblemen, etwa 2007, nachdem ihr Christine Schäfer als Cherubino fast die Schau gestohlen hatte im MozartJubi­läums-„Figaro“2006. Und auch 2016 gerieten wir ins Schleudern, als sie, wie schon bemerkt, in der US-Wüste verdurstet­e – und zwar mit einem sündteuren Collier über dem Dekolleté, das ihr vor dem Gefangenen­transport nach Amerika niemand hatte abnehmen wollen.

Kein Zweifel: Anna Netrebko liebt das Geschmeide. Man darf sie, die in ihrer vokalen Schönheit zuletzt mitunter erstarrte auf der Bühne, auch als eine Ambassador­in für Brillies und Bijouterie betrachten. Nun singt sie also im Großen Festspielh­aus von Salzburg wieder Puccini, nun gibt die russische Opernsänge­rin Anna die italienisc­he Opernsänge­rin Floria Tosca. Von daher Idealbeset­zung; man kennt sich aus im Gewerbe. Diesmal aber nicht mit Collier von Chopard, diesmal mit 50000 Swarovski-Glaskrista­llen auf Handtäschc­hen und rot glühendem Satin-Kleid. War der Festspiel-Presseabte­ilung eine eigene ausführlic­he Aussendung wert.

Das blinkt und funkelt und putzt zur Dolch-Notwehr aus ihrer Hand – gegen Baron Scarpia, dieses perfide Schwein, das eine Nacht mit ihr erpressen will für die Freilassun­g ihres Liebhabers Mario. Der Regisseur Michael Sturminger – ja, genau, der vom „Jedermann“– erzählt die grausige Geschichte zwar als einen Mafia-Thriller unserer Tage, bleibt aber – mit vielen Nonnen, mit viel Klerus – insgesamt doch sehr den üblichen „Tosca“-Konvention­en verhaftet. Man sieht in dieser wiederaufg­enommenen Oster-Festspiel-Produktion von 2018 ein paar zeitgenöss­ische Akzente an historisch­en Schauplätz­en – etwa eine Tiefgarage­n-Schießerei als Vorspiel unter der Kirche Sant’Andrea, einen Fahrrad-Heimtraine­r im Palazzo Farnese, eine Art Parkdeck vis-à-vis des Petersdoms.

Dort wird Mario vom MafiaNachw­uchs erschossen – und nach ihm auch Floria Tosca. Scarpia, der Toscas Stich offenbar doch überlebte, übernimmt den Mord persönlich. Kein Sturz also von der Engelsburg, aber einmal mehr ein letaler Ausgang für Anna Netrebko, die diese Tosca erschlankt und damit wieder beweglich-realistisc­h spielt.

Freilich: In erster Linie zählen Kehle und Gurgel. Und da fehlt nichts kurz vor dem 50. – und kurz nach einer Erkältung, die erst mal bangen ließ um die wirkliche Erscheinun­g Anna Netrebkos zum Luxus-Festspiela­bend. Wir haben mit ihr ja auch die Wandlung vom lyrischen, kolorature­numkränzte­n Sopran zum jugendlich-dramatisch­en Sopran durchgemac­ht und hernach die Wandlung zu den großen dramatisch­en italienisc­hen Partien wie Aida, Turandot, Tosca. Und nun also verströmt sie sich mit langem Atem auf den Flügeln des Gesangs wieder im Festspielh­aus – in der einzigen Rollendars­tellung, die den handfest, gelegentli­ch auch krachert unter Marco Armiliato aufspielen­nun den Wiener Philharmon­ikern wirklich Paroli bieten kann. Es tönt aus dem Graben öfter ziemlich plakativ denn künstleris­ch überhöhend.

Aber die Netrebko wenigstens liegt drüber, weich, rund, voluminös, leuchtend – und liefert in „Vissi d’Arte“auch die ersehnte fromme Einfühlsam­keit. Das kann ihr Partner Yusif Eyvazov als Maler Mario Cavaradoss­i auch, allerdings nur in der mezza voce. Sobald er darüber hinaus und ins Forte geht, schwinden die Farben und seinem Tenor droht Verwechsel­barkeit. Stark gebremst mithin der Applaus. Doch macht Ludovic Tézier als Scarpia Furore; suggestiv lässt er erschauern als Sängerdars­teller einer infam gespielten Anteilnahm­e hier, Bluthundsc­härfe dort. Das packende Paar des Abends hieß nicht Tosca/ Mario, es hieß Tosca/Scarpia. Weitere Vorstellun­gen am 24., 27., 31. August

 ?? Foto: Marco Borelli/Salzburger Festspiele ?? Das rot glühende Satinkleid glitzert mit Swarovski‰Kristallen, Operndiva Anna Netrebko glänzt als tragisch endende Tosca bei den Salzburger Festspiele­n.
Foto: Marco Borelli/Salzburger Festspiele Das rot glühende Satinkleid glitzert mit Swarovski‰Kristallen, Operndiva Anna Netrebko glänzt als tragisch endende Tosca bei den Salzburger Festspiele­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany