Schwabmünchner Allgemeine

Der Schneider von Ulm – neu erzählt und schräg

Ein Musical auf der Ulmer Wilhelmsbu­rg trägt die Legende des abgestürzt­en Flugpionie­rs in die Gegenwart

- VON VERONIKA LINTNER

Burgau Diese Legende gehört zu Ulm wie sonst nur das Münster. Spektakulä­r geplumpst: 1811 versuchte Albrecht Ludwig Berblinger, Schneiderm­eister, vor den Augen der Stadt über die Donau zu gleiten, mit einem Flugappara­t Marke Eigenbau. Am Ende mussten sie ihn aus dem Wasser fischen. Also genial gescheiter­t? War das pure Angeberei? Pioniermut? Hermann Skibbe – Komponist, Producer und Rocker aus dem schwäbisch­en Burgau – hat seine eigene Theorie, was den Schneider antrieb: „Er wollte einfach rüber nach Bayern.“Klar, das war nur ein Scherz, eine Frotzelei gegen die baden-württember­gischen Schwaben. Aber tatsächlic­h sprang der Schneider einst auf Ulmer Seite ab, hin zum anderen Ufer – das heute bayerische. Außerddem hat sich jetzt ausgerechn­et in Bayerisch-Schwaben ein Dutzend Künstler zusammenge­tan, um den Schneider zu ehren. Gemeinsam bringen sie ein ureigenes, neues Musical auf die Bühne: „Ich bin ein Berblinger“. Am 26. August feiert das Stück Premiere auf der Ulmer Wilhelmsbu­rg. Skibbe verspricht: Es wird rockig, modern – und schräg.

Max Eyth widmete dem Schneider einst einen Roman, Bert Brecht später ein Gedicht, die Legende wuchs. Viele sind sich heute sicher: Das war kein Eddie the Eagle, sondern ein wahrer Visionär. Nur dass Genie oft dicht am Wahnsinn liegt, das treibt der Plot des neuen Musicals auf die Spitze: Ulm, 2021. Noch heute lacht mancher über den Berblinger. Ein direkter Nachfahre des Schneiders will den Ruf des Familienna­mens retten, den Ideen des Urahn’ neuen Aufwind geben. Er zerbricht daran. Und landet wirr in der Psychiatri­e. Hier rollt die krude Geschichte erst richtig los, verspreche­n die Macher.

Zu Besuch in Skibbes Tonstudio: Drei Herren feilen noch an Sounds,

Videos, Effekten, schicken sich Dateien hin und her. Ein „Medienspek­takel“mit Donner verspricht Sascha Lien. Auf großen Video-Wänden sollen die Spezialeff­ekte flimmern. Lien spielt den neuen Berblinger 2021 und kennt den Musical-Pomp. Er spielte über fünf Jahre die Hauptrolle

im „Queen“-Musical in Köln, Zürich, Wien und Berlin.

20 Songs haben Skibbe und Helmut Pusch für die acht Darsteller geschriebe­n. Funk mit Saxophon, Swing, Disco-Elektro und Streichqua­rtett. Viele Nummern krachen rockig. „Und da hat jeder Song seine Wertigkeit“, findet Lien.

Brix Schaumburg, Musical-Darsteller und Trans-Mann im wahren Leben, schlüpft in eine pompös-divenhafte Drag-Rolle: Für VideoAufna­hmen ist er im Kleid rund um den neuen Berblinger­turm in Ulm getanzt. In dieser Traumszene singt er die Kraft-Ballade „Ich bin ich“. Für die spektakulä­re Videoaufna­hme zum Song steuerte Lien sogar selbst die Kamera-Drohne. Ein Zeichen der Zeit, findet Skibbe: „Künstler haben in der Corona-Not begonnen, auch multidiszi­plinär zu arbeiten.“

Der Musiker und Techniker Benni Welz bastelt Spielereie­n: Für die Nummer „Wohin heut’ Nacht“hat er den Chor der Ulmer Spatzen engagiert und aufgenomme­n. Die singenden Mädchen lässt Welz in einer Video-Collage jetzt durchs Weltall gleiten und singen, wie Hologramme. „Die Spatzen im Weltall, das gab es noch nie“, scherzt er.

Krise, Misserfolg, Spott, Wahnsinn – das alles steckt im Berblinger Zweipunktn­ull. Das große Scheitern drohte auch schon dem Musical selbst: Verschoben, abgeändert, seit Jahren tüftelt Skibbe am Stoff. Jetzt winkt endlich die Premiere auf der Wilhelmsbu­rg. „Ich sehe das als ein Upgrade“, sagt Skibbe. Zuletzt gruselte hier noch „Dracula“im großen Sommermusi­cal des Theaters Ulm. Das Berblinger-Team plant etwas schmaler, mit weniger Publikum. „Die sichere Variante ist uns lieber“, sagt Skibbe. Sieben Vorstellun­gen sind geplant, der SWR Ulm überträgt die Premiere im Live-Stream.

Infos

auf der Seite berblinger.club.

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Foto: Lintner Team Berblinger: Hermann Skibbe, Ben‰ ni Welz, Sascha Lien.

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