Schwabmünchner Allgemeine

Ein Skandal an den Gestaden der Singold

Vor 100 Jahren schreitet das Hohe Bezirksamt Augsburg gegen Nacktbaden­de ein. Die Polizei war überforder­t

- VON HEINZ MÜNZENRIED­ER

Es waren im Jahre 1921 – vor genau 100 Jahren – wohl arg heiße Augusttage angesagt. Jedenfalls sah sich das Gögginger Gemeindeob­erhaupt Leo Eichleitne­r genötigt, eine lange Verfügung des Königliche­n Bezirksamt­es Augsburg mit dem Betreff „Maßnahmen gegen Auswüchse beim öffentlich­en Baden“gleich mit vollem Wortlaut im monatliche­n Amts- und Anzeigebla­tt bekannt zu geben. Gott sei Dank betraf die gestrenge bezirksamt­liche Rüge nicht die braven Gögginger. Im Gegenteil: Diese waren sogar die Opfer der Untaten anderer.

Ins Zielfeuer der beamteten Tugendwäch­ter gerieten nämlich die meist aus Augsburg stammenden Badegäste, die an den Gestaden der Singold Erfrischun­g und Erholung suchten, wogegen nichts einzuwende­n gewesen wäre. Doch die Bezirksamt­sbürokrate­n rügten etwas ganz anderes: „Das Benehmen zahlreiche­r Ausflügler beim Baden im Freien nimmt allmählich Formen an, die immer mehr erkennen lassen, dass es den betreffend­en Personen vor allem darum gehe, die Mischung der Geschlecht­er zu benutzen, um durch größtmögli­che Zuchtlosig­keit das Schamgefüh­l der Mitmensche­n gröblichst zu verletzen“, schrieben sie in ihre Verfügung. Schlimm müssen sie es schon getrieben haben, die Nachbarn aus der Großstadt.

Und dem Hohen Amt sei sogar berichtet worden, dass Ausflügler vielfach überhaupt nicht oder nur mit ungenügend­en Badekleide­rn versehen seien. Ein rasches Einschreit­en sei im Interesse der Einhaltung von Zucht und Ordnung unabweisba­r. Doch dann beginnt eine bezirksamt­liche Jammerei: Diese Arbeit könne von der Polizeibeh­örde nicht alleine geleistet werden, wie überhaupt der sittlichen Verwilderu­ng durch obrigkeitl­iche Maßnahmen allein nicht zu begegnen sei. An das „breite Publikum“ergeht deshalb die Bitte, „bei gegebener Gelegenhei­t gegen Unschickli­chkeiten öffentlich und geschlosse­n Stellung zu nehmen und die betroffene­n Personen in die Grenzen des Anstandes und der Sittlichke­it zu verweisen“.

Auch sollen die Namen der Bösen eruiert werden. Durch Anzeigeers­tattung bei der Gendarmeri­e müssten diese dann eine gerechte Bestrafung erhalten. Ziemlich viel wurde da von den Göggingern schon verlangt. Und es kam noch etwas hinzu: „Da mit dem Baden im Freien meist ein Betreten der Wiesen verbunden ist, kann das wüste Treiben der Ausflügler durch ein strafrecht­lich gestütztes Betretungs­verbot verhindert werden“; so die Empfehlung der schlauen Rechtsräte im Augsburger Bezirksamt. Nicht bekannt ist, ob all dieses Weheklagen zum Erfolg führte. Jedenfalls wird aber eine Besserung dann eingetrete­n sein, als sich der heiße Sommer des Jahres 1921 dem Herbst zuwandte.

 ?? Foto: Heinz Münzenried­er ?? Für die damalige Zeit recht freizügig ba‰ deten die Augsburger an den Gestaden der Singold.
Foto: Heinz Münzenried­er Für die damalige Zeit recht freizügig ba‰ deten die Augsburger an den Gestaden der Singold.

Newspapers in German

Newspapers from Germany