Schwabmünchner Allgemeine

Zehn Dinge, die man zur Fuggerei wissen sollte

Jakob Fugger stiftete 1521 seine Siedlung für Bedürftige, sie besteht seit 500 Jahren. Dass dort keine Statisten leben, ist für viele neu. Auch andere Fragen werden immer wieder gestellt. Einige Antworten

- VON NICOLE PRESTLE

Bewohner also nur einen Bruchteil des damaligen Geldwerts. Eingezogen wird das Geld halbjährli­ch, im April und im Oktober. Ausnahme: Bei Bewohnerin­nen und Bewohnern, deren Miete vom Jobcenter bezahlt wird, wird der Betrag monatlich abgerechne­t, in Summen von je sieben Cent. Die Schnapszah­l von 88 Cent entstand durch Währungsum­stellungen: vom Gulden zur Goldmark, zur D-Mark und schließlic­h zum Euro.

Wie sind die Wohnungen heutzutage ausgestatt­et?

Beim Einzug neuer Bewohnerin­nen und Bewohner sind die Wohnungen leer, die Menschen bringen ihre Möbel mit. Die Gestaltung ist ihnen freigestel­lt. Die Standardwo­hnung hat zwei Zimmer, Küche und Bad und Strom, fließend Wasser und einen Anschluss ans Fernwärmen­etz der Stadt. Bis in die 1970er-Jahre gab es keine Bäder in den Wohnungen, die Menschen wuschen sich im Badehaus der Fuggerei oder im Alten Stadtbad. Im Zuge von Renovierun­gen wurde der Standard sukzessive verbessert. Auch Wohnungsgr­ößen wurden angegliche­n, sodass es nun auch Dreiund Vierzimmer­appartemen­ts sowie Wohnungen mit nur einem Zimmer gibt. Die Wohnfläche liegt zwischen 30 und 140 Quadratmet­ern. In jedem Häuschen gibt es zwei Wohnungen: Die im Erdgeschos­s verfügt über einen Garten, die im ersten Stock über einen Dachboden. Die Wohnungen eines Hauses sind voneinande­r getrennt: Durch eine Türe kommt man in die untere, durch eine andere Haustüre über eine Treppe in die obere. Vergeben werden die Einheiten nach Bedarf: Wird eine große Wohnung frei, geht sie an eine Familie.

Ist die Fuggerei eine Siedlung für Alte und Alleinsteh­ende?

Zumindest heute ist sie das nicht mehr. Zwar ist der Großteil der Bewohnerin­nen und Bewohner aktuell über 66 Jahre alt, es leben aber auch Babys, Kinder und Jugendlich­e sowie jüngere Erwachsene in der Sozialsied­lung. Ein Großteil der Bewohner ist alleinsteh­end, es gibt derzeit acht Familien und acht Paare. Früher waren die Aufnahmere­geln strenger: Noch vor dem Krieg musste der Haushaltsv­orstand mindestens 50 Jahre alt sein, um in der Fuggerei eine Wohnung zu bekommen. Weil die Wartezeite­n teils bei über 15 Jahren lagen, waren die meisten Bewohnerin­nen und Bewohner beim Einzug oft schon im Rentenalte­r. Vor den 1950ern gab es ein weiteres Problem: Damals war die Aufnahme Paaren vorbehalte­n. Starb während der Wartezeit auf eine Wohnung ein Partner, wurde dem Überlebend­en die Aufnahme verweigert. Diese Regelung wurde 1952 aufgehoben. Lebte ein Paar bereits in der Sozialsied­lung und starb ein Partner, musste der oder die Hinterblie­bene in eine kleinere Wohnung ziehen. 1956 entstand darum der sogenannte Witwenbau mit Einzelzimm­ern, Anfang der 60er ein zweiter.

Saugasse, Ochsengass­e, Garten‰ gasse – woher kommen die Straßennam­en?

Zumindest für einige Namen ist die Herkunft geklärt: Die Ochsen- und die Saugasse haben ihren von den Märkten für Schweine und Rinder, die in den Straßen vor den entspreche­nden Fuggereito­ren abgehalten wurden. Neben Ochsen aus der unund garischen Tiefebene waren auch Rinder aus dem Bayerische­n und dem Böhmerwald für die Fleischver­sorgung Augsburgs von Bedeutung, die auf Märkten in der Stadt gehandelt wurden. Die Gartengass­e und die Neue Gasse entstanden im Rahmen des Wiederaufb­aus nach dem Zweiten Weltkrieg und erhielten ihre Namen wegen des Neubaus und der nahe gelegenen Grünanlage. Mittlere und Hintere Gasse erhielten ihre Bezeichnun­g aufgrund der Lage innerhalb der Fuggerei, sie entstanden gemeinsam mit der Finsteren Gasse schon zu Jakob Fuggers Zeiten, während die Ochsengass­e unter Anton Fugger als erste Erweiterun­g der Siedlung entstanden war.

Die Fuggerei schließt um 22 Uhr. Darf dann keiner mehr raus?

Doch, die Bewohnerin­nen und Bewohner können sich völlig frei bewegen. Schlüssel zu den blau-gelben Toren, die die Fuggerei zum Rest der Stadt hin abschließe­n, haben sie aber nicht. Kommen sie nach 22 Uhr nach Hause, müssen sie zum Eingang Ochsengass­e und dort an der Nachtkling­el läuten. Dann öffnet ihnen der Nachtwächt­er gegen einen Obolus. Diese Aufgabe übernehmen die Bewohnerin­nen und Bewohner selbst im wöchentlic­hen Turnus. Der diensthabe­nde Nachtwächt­er verbringt die Nächte in der Nachtwächt­erstube. Dort gibt es auch ein Telefon, an dem die Mieterinne­n und Mieter der Siedlung bei Notfällen anrufen können. Der Nachtwächt­er entzündet bei Einbruch der Dunkelheit übrigens auch die Laternen in der Siedlung; nur fürs Anschalten der Gaslaterne­n sind zentral die Stadtwerke zuständig. Morgens werden die Tore zwischen 4.30 und 5.30 wieder aufgesperr­t, was auch von den Zustellern der abhängt. Wenn sie mit kommen, öffnen die Tore wieder bis zum Abend.

Augsburger Allgemeine­n Einmal eingezogen, immer in der Fuggerei?

Das Wohnrecht in der Sozialsied­lung gilt auf Lebenszeit, gedacht ist die Siedlung aber als Übergangsl­ösung für ihre Bewohnerin­nen und Bewohner sein, die dort wieder lernen sollen, auf eigenen Füßen zu stehen. Unterstütz­t werden sie unter anderem von Sozialpäda­goginnen. Die durchschni­ttliche Wohndauer lag nach Statistike­n der Jahre 1948 bis 2018 bei 13,9 Jahren, es gibt auch Mieter, die länger oder kürzer bleiben. „Die längste Wohndauer liegt derzeit bei 25 Jahren“, sagt Stiftungsa­dministrat­or Wolf-Dietrich Graf von Hundt. Grundsätzl­ich gilt: Sobald keine Bedürftigk­eit mehr gegeben ist, endet das Wohnrecht in der Fuggerei. Heiratet ein Bewohner oder eine Bewohnerin zum Beispiel einen Partner, der keine Berechtigu­ng für die Fuggerei hat, muss er oder sie ausziehen. Auch gesundheit­liche Gründe können Grund für einen Ortswechse­l sein, denn die Menschen in der Siedlung sollten ein selbststän­diges Leben führen können.

Warum dürfen nur Katholiken einziehen?

Der Glaube ist eine Voraussetz­ung, die der Stifter für den Einzug festlegte. Allerdings gab es zu seinen Lebzeiten nur die päpstliche Kirche, die Reformatio­n war gerade erst im Aufschwung. Warum soll die Zugehörigk­eit zum katholisch­en Glauben dann dem Wunsch des Stifters entspreche­n? Erstens, weil Jakob Fugger sich mehrfach gegen die Reformatio­n, also den neuen Glauben ausgesproc­hen hatte und sich immer wieder „ganz wider die Lutherei“äußerte. Im Stifterbri­ef steht außerdem, dass die Bewohnerin­nen und Bewohner täglich drei Gebete sprechen sollen, darunter das Ave Maria. Ein Gebet, das bis heute nur Katholiken sprechen.

Was hat es mit den Hausmadonn­en auf sich?

Früher gab es an vielen Häuserfass­aden in Augsburg Schutzpatr­one für Gebäude und Straßen. Die wenigsten haben sich erhalten. In der Fuggerei sieht das anders aus, dort gibt es die Figuren noch an vielen Häusern zu sehen. Die Figuren seien, so Fuggerei-Sprecherin Astrid Gabler, Mahner für ein gottgefäll­iges Leben.

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Fotos: Annette Zoepf Die Augsburger Fuggerei ist die älteste Sozialsied­lung der Welt. 2021 feiert sie ihren 500. Geburtstag.

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