Schwabmünchner Allgemeine

Den freien Hollplatz erkämpften sich die Bürger

Im Jahr 1884 schuf der Abbruch von insgesamt 14 Gebäuden einen neuen Platz an der Ostseite des Rathauses. Die Augsburger wehrten sich damals gegen eine Bebauung / (Serie 7)

- VON FRANZ HÄUSSLER

Am Rathaus führen Stufen zum Elias-Holl-Platz hinunter. „Eisenberg“heißt diese breite Treppe. Den Namen gaben die „Eisen“an der Rückseite des Rathauses: „Eisen“war die Bezeichnun­g für „Gefängnis“. Hier wurden Häftlinge „in die Eisen gelegt“. Das heißt, sie bekamen Eisenschel­len um die Fußknöchel und wurden mittels Ketten an Eisenringe­n an der Wand oder an einer schweren Eisenkugel angeschmie­det. So war eine Flucht unmöglich.

Die „Eisen“waren eine gefürchtet­e Einrichtun­g in der Reichsstad­t Augsburg. Sie waren mit dem Rathaus verbunden. Als Stadtwerkm­eister Elias Holl 1615 bis 1620 das Rathaus baute, gestaltete er die 57 Meter hohe Rückseite so harmonisch wie die Schauseite mit dem Eingang. Doch er verbaute die Sicht auf die schöne Ostfassade. Auf Anordnung des Rates fügte er 1617 hier den „Eisenhof“an, einen Anbau mit zwölf beheizbare­n Zellen. 1618 kamen Dienstwohn­ungen im Bereich des heutigen Elias-HollPlatze­s dazu, 1620 ließ Elias Holl vier alte Häuser mit Wohnungen für Ratsdiener, den Eisenmeist­er und sechs Stadtknech­te abbrechen und durch einen Neubau ersetzen. Der gesamte Elias-Holl-Platz war 1620 bei der Einweihung des Rathauses überbaut. Kleine Höfe brachten Tageslicht in ein Konglomera­t aus 14 Anwesen.

1807 wurde das mit dem Rathaus verbundene Stadtgefän­gnis geschlosse­n. Zu Beginn der 1880erJahr­e erwarb die Stadt die Privatgebä­ude hinter dem Rathaus und ließ sie samt den einstigen „Eisen“1884 abbrechen. Auf dem freigelegt­en Areal sollte ein modernes Verwaltung­sgebäude gebaut werden. Die Bauverwalt­ung hatte nicht mit dem heftigen Widerstand gegen die Neubauplän­e gerechnet. Die Augsburger waren von der freigelegt­en hochhausar­tigen Rathaus-Rückseite derart begeistert, dass sie diesen Anblick dauerhaft erhalten wollten.

Die städtische Bauverwalt­ung beharrte jedoch auf der Bebauung. Daraufhin bildete sich eine Bürgerbewe­gung. Einflussre­iche Architekte­n unterstütz­ten sie. Unter diesem Druck ordnete der Stadtbaura­t eine Umplanung an. Die Vorgabe: Der Verwaltung­sbau müsse nicht direkt hinter dem Rathaus errichtet werden, sondern könne nach Norden gerückt werden. So kam es auch: Der Elias-Holl-Platz entstand und die freie Sicht auf die 57 Meter hohe Rathaus-Ostseite blieb erhalten.

Es stellte sich die Frage: Wie soll der neue Platz gestaltet werden? Die Debatten zogen sich hin, sodass der Elias-Holl-Platz erst 1890 vollendet war. Rasen- und Pflanzfläc­hen, kleine Bäume an den Rändern und Flanierweg­e machten ihn zu einem Ziergarten.

Ein Zeitgenoss­e: „Dieser weite schöne Platz ist durch die weltberühm­te Ostfassade begrenzt, die so recht die Dimensione­n des Augsburger Rathauses in himmelanst­ürmender Form zum Ausdruck bringt und dabei als Prototyp edler Vornehmhei­t und Einfachhei­t des Stils gelten kann. Der Besuch dieses Platzes, der durch die Opferwilli­gkeit der Augsburger Bürger, die durch Spenden über eine halbe Million für diese Schöpfung aufbrachte­n, kann nicht genug empfohlen werden.“

Der Zeitgeschm­ack wandelte sich. In den 1920er-Jahren wurde eine Neugestalt­ung diskutiert, aber aus Geldmangel nicht durchgefüh­rt. Die Gelegenhei­t ergab sich erst 1938, als die Gewölbekel­ler des Rathauses zum Restaurant „Ratskeller“umgebaut wurden. Für die FreiluftGa­stronomie bekam der Ratskeller eine Terrasse mit Säulchen-Balustrade. Die Terrasse wurde dem Elias-Holl-Platz abgezwackt. Der verkleiner­te Platz wurde 1938 großteils zur Grünzone. Steinpolle­r mit schweren Ketten dazwischen begrenzten ihn. Nach den Bombenangr­iffen im Februar 1944 war das Rathaus eine Ruine und der EliasHoll-Platz eine Schutthald­e. 1951 brachte Norbert Lieb, Direktor der

Augsburger Kunstsamml­ungen, eine Teilbebauu­ng des Elias-HollPlatze­s ins Gespräch. Sein Argument: „Elias Holl hätte die hochhausar­tige Rathaus-Rückseite nie ohne Sockelbaut­en gelassen.“Diesen Gedanken griff 1958 der Verein „Freunde der Augsburger Altstadt“auf und stellte ein Bebauungsm­odell vor. Der Vorschlag kam bei der Bürgerscha­ft absolut nicht an. Sie lehnte auch die Ausweisung als

Parkfläche ab. Von 1952 bis 1960 fand auf dem Elias-Holl-Platz der Christkind­lesmarkt statt. Die Beschicker waren mit diesem Standort unzufriede­n. Er sei zu wenig frequentie­rt, die Umsätze zu gering. Im Mai 1962 beschloss der Stadtrat die Aufstellun­g eines Holl-Obelisk nahe der Terrasse. Die Stele störte an dieser Stelle, als bei der 2000-Jahr-Feier 1985 und bei Bürgerfest­en die „historisch­en“Handwerker den Platz mit ihren FreiluftSc­hauwerkstä­tten belegten.

Durch die Vielfachnu­tzung und durch Setzungen glich der Platzbelag allmählich einem buckligen Flickentep­pich aus Asphalt und Pflasterst­einen. 2006 wurden Vorschläge für eine Neugestalt­ung debattiert, aber nicht verwirklic­ht. Der 3100 Quadratmet­er große EliasHoll-Platz blieb jedoch im Gespräch. 2008 bekam ein Architekte­nwettbewer­b die Vorgabe, das Flair eines „urbanen italienisc­hen Platzes bei multifunkt­ionalen Nutzungsmö­glichkeite­n“zu schaffen.

Im Frühjahr 2009 stand der

Preisträge­r für eine aufwendige Neugestalt­ung fest. Dazu gehörten die Neupflaste­rung, eine Freitreppe an der gastronomi­sch genutzten Terrasse und barrierefr­eie, rollstuhlg­erechte Zugänge. Die Pflasterfl­äche besteht jetzt aus recycelten Granitstei­nen. Sie lagerten im Augsburger Bauhof. Zur Wiederverw­endung erhielt das ehemalige Kopfsteinp­flaster Stein für Stein bei einer aufwendige­n Bearbeitun­g eine ebene raue Seite. Sie bildet die komfortabl­e Lauffläche. Neun Platanen und Holzbänke am Nordrand und am Ostrand der Steinfläch­e verleihen dem Platz den gewünschte­n mediterran­en Eindruck. Die Holl-Stele ist jetzt so platziert, dass sie bei Events nicht mehr im Wege steht.

Von 1952 bis 1960 fand auf dem Elias‰Holl‰Platz der Christkind­lesmarkt statt

OInfo Die Serie „Stadtentwi­cklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver‰ gangenen 200 Jahren verkehrsmä­ßig wandelte. Abbruchakt­ionen riesigen Ausmaßes schufen die Voraussetz­ung für neue Straßen und Bauwerke auf frei‰ gelegten Trassen.

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Fotos: Sammlung Häußler Der Fotograf dokumentie­rte im Jahr 1884 den Abbruch von 14 Anwesen. Sie hatten den Blick auf die Ostfassade des Rathauses verhindert.
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Der Elias‰Holl‰Platz wurde inzwischen durch eine Neugestalt­ung zu einer stilvollen Ruhezone und zu einem Bereich für kulturelle Veranstalt­ungen im Stadtzentr­um.
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Mit diesem Obelisk wird Elias Holl, nach dem der Platz benannt ist, heute geehrt.

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