Schwabmünchner Allgemeine

Ist eine Rettung aus Afghanista­n bald unmöglich?

Bundeswehr-Soldaten holen Deutsche aus dem Stadtgebie­t ab. Am Flughafen fallen Schüsse

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Lage auf dem Flughafen der afghanisch­en Hauptstadt Kabul spitzt sich immer weiter zu. Am Montagmorg­en ist es dort zu einer tödlichen Schießerei gekommen, in die auch Soldaten der Bundeswehr und der US-Armee verwickelt wurden. Bei dem Angriff unbekannte­r Männer starb ein afghanisch­er Sicherheit­smann, drei weitere wurden verletzt. Angehörige der Bundeswehr oder der US-Streitkräf­te wurden laut Verteidigu­ngsministe­rium nicht verletzt. Wie lange überhaupt noch Menschen aus Kabul gerettet werden können, ist völlig unklar.

Zwar hatten die Taliban allen Ausländern freien Abzug zugesicher­t, doch wie zuverlässi­g diese Aussage ist, vermag niemand zu sagen. Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass es sich bei den Angreifern um Angehörige der Terrormili­z „Islamische­r Staat“handelt, die mit den Taliban verfeindet ist. Dem Verteidigu­ngsministe­rium zufolge wächst die Gefahr eines Terroransc­hlags auf den Flughafen. Tausende verzweifel­te Menschen harren dort aus und hoffen auf einen Platz in einem Evakuierun­gsflieger – unter ihnen viele afghanisch­e Mitarbeite­r deutscher Organisati­onen, die Racheakte der Radikalisl­amisten fürchten müssen.

Bis die Taliban vor rund einer Woche faktisch die Macht im Land übernommen haben, hatten rund 1100 Afghanen für die Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) gearbeitet. Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) wurde von FDP und Grünen scharf kritisiert – die Opposition wirft ihm vor, er habe die Ausreise afghanisch­er Ortskräfte verzögert oder blockiert. Hintergrun­d: Einheimisc­he GIZ-Mitarbeite­r erhalten eine Geldprämie, wenn sie erklären, im Land zu bleiben. Im Gespräch mit unserer Redaktion verteidigt­e Müller das Angebot: „Ja, wir haben zugesicher­t, diese afghanisch­en Familien jetzt finanziell vor Ort nicht hängen zu lassen, sondern weiter zu unterstütz­en.“Es gebe afghanisch­e Mitarbeite­r, die auch in der aktuellen Lage bleiben wollten, weil sie etwa in einer vergleichs­weise stabilen Provinz leben. Für diejenigen, die ausreisen wollen, arbeite die Bundesregi­erung „auf vielen Ebenen und auch an weiteren Möglichkei­ten, das Land verlassen zu können jenseits der Luftevakui­erung“. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) kündigte an, dass die Bundesregi­erung mit den Nachbarlän­dern Afghanista­ns kooperiere­n werde, um Ausreisen auf dem Landweg zu ermögliche­n.

Schon jetzt ist es kaum mehr möglich, sicher an den Flughafen zu

„Was immer da vor Ort passiert: Ich halte den Kopf hin.“

Verteidigu­ngsministe­rin Kramp‰Karrenbaue­r

gelangen. Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) will dazu übergehen, „die Leute sozusagen abzuholen“. So ist die Bundeswehr nun auch außerhalb des Airports im Einsatz. Die Truppe bestätigte, dass Angehörige der Eliteeinhe­it Kommando Spezialkrä­fte „KSK“zu Fuß eine dreiköpfig­e Familie aus München aus dem Stadtgebie­t von Kabul „abgeholt“und zum rettenden Flughafen geleitet haben. Kramp-Karrenbaue­r übernahm für solche Aktionen die politische Verantwort­ung: „Was immer da vor Ort passiert: Ich halte den Kopf hin.“

Laut Auswärtige­m Amt befindet sich geschätzt noch „eine niedrige dreistelli­ge Zahl“deutscher Staatsange­höriger in Afghanista­n. Die Zeit für deren Rettung läuft ab. USPräsiden­t Joe Biden hatte den 31. August als Zeitpunkt für den endgültige­n Abzug aus Afghanista­n festgelegt, eine Verlängeru­ng aber nicht ausgeschlo­ssen. Doch die Taliban wollen dem keinesfall­s zuzustimme­n.

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