„Ich habe so viele Fehler gemacht“
Anthony Hopkins spielt in „The Father“einen Demenz-Kranken. Er spricht über die Vergänglichkeit, die Weisheit des Alters und seine Sorgen um all die jungen Menschen, mit denen er über die sozialen Medien in Kontakt ist
Sir Anthony, denkt man mit 83 Jahren an seine Sterblichkeit oder verdrängt man sie lieber?
Anthony Hopkins: Nun, ich hatte beim Dreh von „The Father“ein einschneidendes Erlebnis, das mir meine Vergänglichkeit sehr bewusst machte: Mein Blick traf auf einen Nachttisch neben dem Bett, wo eine Brille lag und ein Familienfoto. Da traf es mich wie ein Hieb, das Gefühl für die Vergänglichkeit des Lebens: Irgendwann muss jeder sterben, und was übrig bleibt, sind Fotos und vielleicht eine Brille. Das Konzept von Zeit hat nicht viel Bestand abseits des Moments. Ich spürte förmlich, wie vergänglich alles ist.
„The Father“behandelt das Thema Demenz wie ein Thriller, wie ein Rätsel, das von dem Älteren und auch den Zuschauern gelöst werden muss. Eine geniale Idee. Wie gefiel Ihnen das Drehbuch des Bühnenautors Florian Zeller?
Hopkins:
Ich war völlig begeistert davon. Ich musste mich auf die Rolle auch gar nicht vorbereiten, ich musste einfach nur meinen Text kennen und auf alles reagieren, was passiert. Wenn plötzlich ein Fremder vor mir steht, ist es nicht so schwer, überrascht zu sein!
Waren Sie selbst je von der Demenzerkrankung eines Angehörigen oder Freundes betroffen?
Hopkins: Oh ja. Vieles daran erinnerte mich an meinen eigenen Vater: Er litt im letzten Jahr seines Lebens an einer schweren Herzkrankheit, war dadurch depressiv, ungeduldig und streitsüchtig. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass ich jetzt meinen eigenen Vater spiele – mit seinem Schmerz, den er offenbar empfand, und den Verletzungen, die er bei uns allen verursachte. Vor allem bei meiner Mutter, er war oft rüde, schroff, unverschämt zu ihr. Heute weiß ich: Er war einfach verängstigt.
Angehörige leiden oft am stärksten unter dieser Situation. Ging es Ihnen damals ähnlich?
Hopkins: Selbstverständlich. Der Demenzkranke leidet natürlich, aber wenigstens ist er in seiner eigenen Welt. Es sind die Töchter und Söhne, die anderen Familienmitglieder, die lernen müssen, damit umzugehen. Es ist sehr schmerzhaft, dabei zuzusehen, wie ein geliebter Mensch langsam verloren geht. Auch mein Vater hat in den letzten Wochen seines Lebens abgebaut, und es war schrecklich, das miterleben zu müssen.
Was hat Ihnen Trost geschenkt?
Hopkins: Ich weiß noch, wie ich am Tag nach seinem Tod in einem Park in Wales spazieren ging. Und plötzlich waren die Bäume voller Blüten. Für mich war das ein Weckruf. Ich war damals ja noch recht jung, in meinen Vierzigern, aber als ich meinen Vater kurz vor seinem Tod sah, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich eines Tages auch dran sein werde. Und am nächsten Tag erblickte ich die Kirschblüten. Da habe eine tiefe Verbindung zum Kreislauf des Lebens gespürt.
Schauspieler sagen oft, dass sie für eine Szene „im Moment“leben müssen. Wie war es, eine Rolle zu spielen, die aufgrund der Krankheit tatsächlich nur im Moment lebt?
Hopkins:
Das war bei diesem Film einfach. Das Drehbuch war ja so gut wie eine Straßenkarte, die den Weg anzeigte. Mir war es nur wichtig, das Ganze nicht zu verkopft anzugehen. Sobald man etwas hinterfragt, hat man ein Problem. Also habe ich alles so einfach wie möglich gehalten.
Gilt das jetzt nur für diesen Film oder ist das auch Ihre Devise für Ihren Alltag?
Hopkins: Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass man die Dinge nicht überanalysieren muss. Viele junge Schauspieler möchten zum Beispiel bei ihren Figuren möglichst viele Ebenen herausarbeiten. Das kann ich verstehen, man hat dann das Gefühl, dass man für seinen Job richtig hart arbeitet und die Sache ernst nimmt. Aber ich weiß heute, dass man es sich auch einfacher machen kann! Ich kenne meinen Verstand, ich weiß, wie die Welt funktioniert – sofern man das überhaupt wissen kann – also lege ich einfach los. Mit der Überzeugung: Das wird schon!
Wenn man Sie hört, könnte man meinen, dass mit dem Alter tatsächlich die Weisheit kommt.
Hopkins: Früher dachte ich, ich wüsste alles besser – jetzt weiß ich, dass ich nichts weiß. Das gibt mir inneren Frieden. Ich habe in meinem Leben einen sehr zufriedenen, friedlichen Punkt erreicht. Ich bin mir meiner Sterblichkeit bewusst. Eines Tages ist alles vorbei. Ich hoffe aber, dass ich noch viele Jahre vor mir habe. Meine Arbeit hält mich am Leben. Ich liebe das Leben und genieße jeden Tag. Selbst im Lockdown.
Sie haderten nicht mit allen Be- und Einschränkungen?
Hopkins: Ich gab mir Mühe, das Beste daraus zu machen. Ich spielte Klavier, las, malte. Für mich ist das Leben ein großes Mysterium. Meine Frau traf einen meiner alten Lehrer, er war inzwischen Mitte 90. Er erzählte ihr, dass ich als Schüler nicht besonders klug oder schlau war. Ich kann mich nicht mal daran erinnern… War es nicht Schopenhauer, der gesagt hat, dass der Rückblick auf das eigene Leben oft wie ein Roman wirkt, den jemand anderes geschrieben hat?
Blicken Sie manchmal auf Ihr Leben zurück, auch auf Ihre weniger guten Phasen, zum Beispiel, als Sie vor 45 Jahren alkoholabhängig waren? Hopkins: Ja, aber ich kann mir das Glück, das ich jetzt erlebe, nicht selbst zuschreiben. Ich habe so viele Fehler gemacht – nur pünktlich war ich immer. Sollte ich alter Sünder wirklich die Anerkennung dafür bekommen? Wenn ich meditiere – ich mag das Wort „meditieren“eigentlich nicht – aber wenn ich nachdenke, wird mir klar: Ja, das Leben ist so viel größer, als ich es bin. Es ist mehr, als ich je verstehen könnte. Vielleicht ist Gott damit gemeint…
Es ist eine so große Erfahrung, einfach nur am Leben zu sein!
Während der Pandemie waren Sie geradezu rührend aktiv: In unzähligen Instagram-Posts zeigten Sie offen Ihr Zuhause, Ihre Privatsphäre, sogar Ihre Katze, setzen sich ans Klavier oder gaben sogar kleine Konzerte. Sie trösteten, alberten herum, sprachen Mut zu. Aber die Reaktionen waren herzzerreißend, Sie spendeten vielen Menschen offenbar ganz viel Trost! Hopkins: Ja, das hoffe ich. Jetzt merke ich, wie schön es ist, für andere da zu sein. Jetzt versuche ich, etwas zurückzugeben, besonders an die Menschen, die unsere Demokratie am Laufen halten, die sich um unseren Alltag, um unsere Gesundheit, um unseren Müll kümmern – alle, die dafür sorgen, dass wir ein gutes Leben haben! Die will ich glücklich machen, aufmuntern und Hoffnung geben. Ich bekomme auch viele Nachrichten von Menschen, die sehr einsam sind oder mit Depressionen kämpfen. Ich sage ihnen, dass sie nicht allein sind, dass sie einfach weitermachen müssen, weil auch wieder bessere Zeiten kommen. Wir brauchen Hoffnung. Ohne Hoffnung sterben wir.
Waren Sie auch schon vorher auf sozialen Medien so aktiv?
Hopkins: Ich habe vor vier oder fünf Jahren gemerkt, wie viel Gutes ich bewirken kann. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft der jungen Leute! Alle, die jetzt mit der Schule oder dem Studium fertig sind, stehen vor einer sehr ungewissen Zukunft. Ich hoffe, dass Präsident Biden sein Versprechen wahr macht und die Schulden der Studenten streicht. Die nächste Generation hat es verdient, neu anzufangen. Ich hatte ein so tolles Leben. Aber jetzt ist die nächste Generation dran.
Woher haben Sie solch einen engen Bezug zu den Jüngeren?
Hopkins: Ich verbringe viel Zeit in sozialen Medien. Ich merke, dass ich junge Menschen damit erreichen und aufmuntern kann. Ich verschicke auch viele persönliche Nachrichten, weil ich Menschen damit inspirieren und glücklich machen kann. Früher war ich viel selbstsüchtiger und habe in meiner eigenen Welt gelebt. Aber heute bin ich so dankbar für alles, was ich er- und gelebt habe. Termin „The Father“läuft am Don nerstag, 26. August in den Kinos an.
Anthony Hopkins, 83, bekannt durch seine Rolle als Hannibal Lecter in „Das „Schweigen der Läm mer“hat für die Darstellung in „The Father“seinen zweiten Oscar als bester Hauptdarsteller gewonnen.