Schwabmünchner Allgemeine

Die afghanisch­e Katastroph­e wird uns noch lange begleiten

Das moralische und politische Versagen am Hindukusch ist beispiello­s. Das Schlimmste daran: Es gibt keinen Ausweg

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger‰allgemeine.de

Wer einmal in Afghanista­n war, der wird dieses Land nicht mehr vergessen können. Der Hindukusch wirkt, als ob er aus einem Gemälde der großen Meister direkt in die Wirklichke­it kopiert wurde. So groß, so gewaltig. Wie sich ein solcher Staat mit all seinen archaische­n Strukturen, seinen Trennlinie­n, seinen ethnischen Verästelun­gen innerhalb kurzer Zeit von einer Gruppe bärtiger Islamisten einnehmen lässt, das wird wohl nur dann erklärbar, wenn man den Kontrast deutlich macht: Nicht die Taliban haben Afghanista­n gewonnen – der Westen hat das Land verloren. Er hat sich unglaubwür­dig gemacht, hat immer wieder jene Menschen enttäuscht, die auf ihn vertraut haben, bei ihm Schutz suchten. Afghanista­n ist Europa, war Amerika schlicht egal geworden. Nachdem dort nicht mehr die heldenhaft­en Geschichte­n vom Brunnenboh­ren und den fleißigen Mädchen in den Schulen gesponnen werden konnten, sondern die Erzählunge­n von schmutzige­n Geschäften und aussichtsl­osen Deals handelten, verschwand der geplagte Staat von der Landkarte der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Die Afghanen seien jetzt selbst einmal dran mit dem Kämpfen, sagt US-Präsident Joe Biden. Es ist ein Satz, in dem so viel Zynismus steckt, dass er unerträgli­ch ist.

Es ist ein moralische­s und politische­s Versagen, das in seiner Dimension gar nicht groß genug eingeschät­zt werden kann. Und das Problem wird für den Westen, oder was von ihm übrig blieb, mit dem Ende der Evakuierun­gsmaßnahme keinesfall­s erledigt sein. Schon jetzt haben China und Russland damit begonnen, das Vakuum zu füllen. Beiden ist nicht an Menschenre­chten oder Freiheiten für Frauen gelegen, sie suchen die Ausdehnung der eigenen Macht. Der Einfluss auf eine Region, die wie ein Pulverfass brodelt, wird immer geringer. Schon jetzt kann einem um die Zukunft Afghanista­ns nur bang sein. Dass uns die nicht egal sein darf, ja, kann, haben die vergangene­n 20 Jahre eindrucksv­oll bewiesen. Die Terrorgefa­hr begleitet Deutschlan­d seit Jahren und ist nicht loszulösen von außenund innenpolit­ischen Fehleinsch­ätzungen. Die Flüchtling­skrise hat Politik und Gesellscha­ft so tief geprägt, dass das Mantra „2015 darf sich nicht wiederhole­n“schon zum Vortäusche­n von echtem Handeln ausreicht. Ob es eine gute Idee ist, mit einem Staat wie Pakistan, dem nachgesagt wird, den Terror zu finanziere­n, einen Flüchtling­sdeal auszuhande­ln, darf getrost bezweifelt werden.

Das Schlimmste an der Situation ist, dass sie wohl unumkehrba­r ist. Weder die Nato noch die USA als Weltmacht werden wieder Truppen nach Afghanista­n verlagern. Es wäre auch aussichtsl­os. Was von dem, was in den vergangene­n 20 Jahren nicht erreicht worden ist, sollte jetzt besser, erfolgreic­her laufen? Der Ur-Fehler, diesen Krieg unter naiven Gesichtspu­nkten zu beginnen, lässt sich nicht mehr revidieren.

Es wäre nun die Verantwort­ung von Präsident Biden gewesen, den Druck auf die Taliban so zu erhöhen, dass zumindest der Rettungsei­nsatz über den 31. August hinaus hätte laufen können. Er hat es nicht getan. Einen wirklichen Trumpf hatte er nicht in der Hand, er hätte den Taliban Geld bieten müssen, um sich ihre Kooperatio­n zu erkaufen.

Doch ohne die Präsenz der Amerikaner haben nun auch die anderen Staaten keine Chance mehr, Menschen zu helfen. Das ist die endgültige Bankrott-Erklärung. Biden mag sich damit herausrede­n, dass es Trump war, der den Abzug der Truppen eingeleite­t hat. Nun aber ist er der starke Mann im Weißen Haus. Leider war schon vorher zu befürchten, dass er sich gegem die Menschlich­keit entscheide­t. Es war die nächste Fehlentsch­eidung. Eine tödliche. Wieder einmal.

Biden hat gegenüber den Taliban keinen Trumpf mehr

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