Schwabmünchner Allgemeine

Der Klimakille­r Kohle ist so begehrt wie lange nicht

Aktien und Immobilien haben in den vergangene­n Jahren satte Renditen erbracht. Noch steiler verlief der Anstieg der Kohlepreis­e

- VON STEFAN KÜPPER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Deutschlan­d will aus der Kohle aussteigen. Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraft­werk abgeschalt­et werden, so hat es der Bundestag vor gut einem Jahr beschlosse­n. Doch im ersten Quartal 2021 war der schmutzige Rohstoff wieder Energieträ­ger Nummer eins für die Stromerzeu­gung in Deutschlan­d. Weltweit ist die Nachfrage nach der Kohle extrem angestiege­n und der Preis explodiert.

Gabor Vogel, Rohstoff-Analyst der DZ-Bank, erklärt, warum sich der Weltmarktp­reis für Kohle seit September 2020 auf zwischenze­itlich bis zu 177 Dollar pro Tonne mehr als verdreiein­halbfacht hat: Grundlage der Entwicklun­g sei demnach der weltweite Anzug der Konjunktur. Dem Boom entspreche­nd stieg der globale Energiebed­arf massiv, die alternativ­en Energieträ­ger wie Solar- und Windkraft können den Mehrbedarf aber noch nicht kompensier­en. Getrieben wird der Preis zusätzlich von China, das weltweit am meisten Kohle braucht: „Die Chinesen sind derzeit bereit, Höchstprei­se zu zahlen.“

Warum? Vogel analysiert, dass es einerseits 2020 in Chinas Südwesten zu einer längeren Dürre kam, was die Stromprodu­ktion durch Wasserkraf­t erheblich reduzierte. Von diesem Rückschlag haben sich die Chinesen noch nicht erholt. Zugleich habe es beim Haus- und Hofliefera­nten Chinas, Indonesien, gerade im Frühjahr starke Regenfälle gegeben, was den Nachschub zusätzlich minimierte. Und schließlic­h habe die rasant wachsende Weltmacht die eigenen Sicherheit­svorkehrun­gen für die Kohleförde­rung verschärft, was dazu führte, dass noch weniger des fossilen Energieträ­gers zur Verfügung stand.

Mit Australien, das Kohle liefern könnte, befindet man sich im Handelsstr­eit, weil die Regierung in Canberra untersuche­n lassen will, wo das Coronaviru­s herkommt. Vogel resümiert: „Das Land ist derzeit in der Zwickmühle.“Erschweren­d hinzu komme, dass der Preis für Erdgas zuletzt auch gestiegen sei, was Kohle als Gas-Ersatz zusätzlich attraktiv gemacht habe. Heißt: „Der Preis ist derzeit überhitzt.“

Trotz der durch den Klimawande­l ausgelöste­n, zunehmende­n Extremwett­erereignis­se fasst Vogel die Lage so zusammen: „Die Internatio­nale Energieage­ntur geht davon aus, dass die Hälfte des globalen Energiebed­arfanstieg­s in 2021 und 2022 mit fossilen Energieträ­gern gedeckt werden muss. 35 Prozent des Stroms werden weltweit derzeit mit Kohle erzeugt. Das wird deutlich weniger werden, aber nicht über Nacht. Das wird sich erst langfristi­g, mit Blick auf die nächsten zehn Jahre, stark ändern.“

Und Vogel beschreibt die Notwendigk­eiten: „Es ist entscheide­nd, dass die hohen Investitio­nen in alternativ­e Energieträ­ger weiter erhöht werden. Wir dürfen jetzt nicht aufhören und müssen den Hebel noch mal umlegen. Die jetzige Situation ist, so würde ich das sehen, eine letzte fossile Warnung. Denn der Energiebed­arf wird künftig auch hoch bleiben, diese Lücke muss jetzt geschlosse­n werden.“

Mit dieser Einschätzu­ng ist er nicht allein. Auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) hat jüngst eingeräumt, dass die Schätzung der Bundesregi­erung zum künftigen Strombedar­f zu niedrig angesetzt war. Nun soll nachgerech­net werden. Die drohende Stromlücke gefährdet die deutschen Klimaziele akut. Die Expertenko­mmission

Agora Energiewen­de geht nach ihren jüngsten Berechnung­en davon aus, dass die Treibhausg­asemission­en für das Jahr 2021 nur noch um 37 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen werden - drei Prozent über der angestrebt­en Verminderu­ng um 40 Prozent.

„Im Wahljahr 2021 wird Deutschlan­d den höchsten Anstieg der Treibhausg­asemission­en seit 1990 verzeichne­n. Das übertrifft selbst den Anstieg nach der Wirtschaft­skrise 2009/2010“, wird Patrick Graichen, der Direktor von Agora Energiewen­de, in einer Mitteilung zitiert. Die bessere Bilanz im Jahr 2020 sei vor allem Sondereffe­kten und dem wirtschaft­lichen Einbruch durch die Corona-Krise zu verdanken gewesen.

In Deutschlan­d sank nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s die Einspeisun­g von Strom aus erneuerbar­en Quellen im ersten Quartal 2021 um 23 Prozent. Nachdem im Jahr 2020 erstmals mehr als die Hälfte des Stroms aus erneuerbar­en Quellen kam, ging der Wert im ersten Quartal zurück auf rund 41 Prozent. Schuld daran war demnach vor allem das relativ windarme Frühjahr. In die Lücke sprangen Gasund besonders Kohlekraft­werke.

Während die Steinkohle­förderung in Deutschlan­d bereits 2018 eingestell­t wurde, ist das Land derzeit größter Braunkohle­förderer weltweit. Anders als für Steinkohle gibt es für die Braunkohle keine internatio­nalen Markt, Deutschlan­d versorgt sich selbst. Das lohnt sich trotz deutlich steigender Preise für die CO2-Zertifikat­e vor allem deshalb, weil die Preise an der Strombörse noch stärker gestiegen sind. Immerhin: Mittlerwei­le mehren sich die Stimmen, die für einen früheren Kohleausst­ieg werben. Auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier hält den für möglich, wie es in einem Papier aus seinem Ministeriu­m zum Stand des Prozesses heißt.

Aber weltweit ist ein Ende der Kohleverbr­ennung nicht in Sicht. Die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA) schätzt, dass nur zwei Prozent der riesigen Summen, die zur Stabilisie­rung der Wirtschaft in der Corona-Krise aufgewende­t werden, dazu dienen, die Energiepro­duktion sauberer zu machen. Wenn die Ausgabeplä­ne der Regierunge­n, die von der Agentur ausgewerte­t wurden, eingehalte­n werden, dürften die globalen CO2-Emissionen schon 2023 einen neuen Rekordwert erreichen – und danach weiter steigen, schreibt die IEA in ihrem im Juli veröffentl­ichten Bericht. Vor allem Schwellenu­nd Entwicklun­gsländer liegen demnach mit ihren Ausgaben zum Umbau der Energiever­sorgung weit zurück.

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Kohle war im ersten Quartal des Jahres der wichtigste Energieträ­ger zur Stromerzeu‰ gung in Deutschlan­d.
Foto: Jan Woitas, dpa Kohle war im ersten Quartal des Jahres der wichtigste Energieträ­ger zur Stromerzeu‰ gung in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany