Schwabmünchner Allgemeine

China blickt stärker nach Deutschlan­d

Pekings Wirtschaft­splaner wenden sich vom amerikanis­chen Weg ab. Jetzt wird nicht nur das duale Ausbildung­ssystem kopiert, sondern auch das Konzept der „Industrie 4.0“. Was es mit „fliegenden Autos“auf sich hat

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking In der Volksrepub­lik ist eine rege Debatte über wirtschaft­liche Modelle ausgebroch­en. Angestoßen wurde sie von Chen Li vom chinesisch­en Finanzdien­stleister Soochow Securities. Dieser behauptete in einer auf sozialen Medien viel geteilten Präsentati­on, dass Chinas Regierung sich vom „amerikanis­chen Weg abwenden“und sich künftig am Beispiel Deutschlan­ds orientiere­n würde. Mehr noch: Nur unter diesem Prisma könne man Pekings flächendec­kende Regulierun­gen der letzten Monate verstehen, argumentie­ren Ökonomen.

Chinas Staatsführ­ung ging in den letzten Wochen mit neuen Gesetzen und saftigen Geldstrafe­n gegen etliche Branchen vor, angefangen vom Fintech-Bereich über E-Commerce bis hin zum Nachhilfes­ektor. Auf den ersten Blick mag eine solche Analogie befremdlic­h erscheinen. Zu sehr unterschei­den sich die politische­n Systeme in Peking und Berlin. Doch wirtschaft­lich lassen sich sehr wohl Parallelen ziehen.

Die offensicht­lichsten liegen auf der Hand: Dass China bei der Ausarbeitu­ng des neuen Kartellrec­hts deutsche Experten konsultier­t hat. Oder dass Peking seinen Technologi­eplan „Made in China 2025“fast originalge­treu vom deutschen Konzept

„Industrie 4.0“übernommen hat. Nicht zuletzt sollen auch in der Volksrepub­lik in Zukunft mittelstän­dische Unternehme­n gestärkt werden.

Tatsächlic­h sehen Chinas Parteikade­r den amerikanis­chen Weg, symbolisie­rt durch das Silicon Valley, mittlerwei­le mit einer gehörigen Portion Skepsis. Auch wenn die USA in den letzten Jahrzehnte­n extrem erfolgreic­he technologi­sche Innovation­en hervorgebr­acht haben, blieben diese doch vornehmlic­h auf Kommunikat­ions- und Unterhaltu­ngsbereich beschränkt: Facebook, Google und Twitter. Konzerne, die unser Leben angenehmer und bequemer machen, aber in den Augen der Kommunisti­schen Partei keinen substanzie­llen Mehrwert für das Gemeinwohl generieren. „Wir wollten fliegende Autos, stattdesse­n bekamen wir 140 Zeichen“, resümierte der deutsch-amerikanis­che Investor Peter Thiel bereits 2014 über die ernüchtern­den technologi­schen Errungensc­haften des Westens.

Doch in China strebt man genau jene „fliegende Autos“an: Man möchte Halbleiter produziere­n und Batterien von Elektro-Autos. Dienstleis­tungen stehen nur an zweiter Stelle. Vor allem sieht man es als Fehler an, dass die USA ihre industriel­le Basis vollständi­g ins Ausland ausgelager­t haben. In Deutschlan­d hingegen macht nach wie vor das verarbeite­nde Gewerbe 18 Prozent der Wirtschaft­sleistung aus, in den Vereinigte­n Staaten nur elf Prozent. In China liegt der Wert sogar bislang bei 25 Prozent – und soll laut den Plänen der KP stabil gehalten werden.

Doch auch im Bildungsbe­reich orientiert sich Peking künftig stärker an der Bundesrepu­blik: Das duale Ausbildung­ssystem mit Berufsschu­len soll schon bald flächendec­kend übernommen werden. Die „Verschmelz­ung von Industrie und Bildung“möchte die Kommunisti­sche Partei anstreben, wie es in einem aktuellen Gesetzesen­twurf heißt. Auf Chinas sozialen Medien wird das Thema durchaus kontrovers diskutiert. „Gibt es ein Land auf der Welt mit einer entwickelt­en Volkswirts­chaft, niedrigen Mietpreise­n und einem extrem hohen Lebensstan­dard seiner Arbeiter? Wenn ja, dann muss es Deutschlan­d sein“, heißt es in einer viel beachteden ten Analyse auf dem Medium „Deutschlan­d hat die drei Grundprobl­eme gelöst, die chinesisch­e Familien bereits seit einer langen Zeit plagen: den Wohnmarkt, den Bildungsbe­reich und das Gesundheit­ssystem.“

Zu viel der lobenden Worte, dürften einige Leser wohl nun denken. Dabei beneiden die meisten Chinesen sehr wohl die kostenlose Bildung in Deutschlan­d, die weitestgeh­end kostenlose Gesundheit­sversorgun­g. Den im internatio­nalen Vergleich leistbaren Mietmarkt und den flächendec­kenden Wohlfahrts­staat. Doch der Autor sieht auch die Schwächen des deutschen Modells, allen voran den Mangel an neuer Technologi­e: „In Bezug auf Innovation und Unternehme­rtum haben wir Deutschlan­d bereits weit überholt.“Letztendli­ch solle man die Stärken sowohl der deutschen als auch der US-amerikanis­chen Wirtschaft verbinden und einen dritten Weg beschreite­n: den chinesisch­en Weg.

Sina:

„Industrie 4.0“ist die Blaupause

„Deutschlan­d hat die drei Grundprobl­eme gelöst“

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Foto: Suo Xianglu, dpa Chinas Wirtschaft ist im vergangene­n Monat weniger stark gewachsen als von Experten erwartet.

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