Mama im Rollstuhl
Josepha Wagner sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Nun hat sie ein Kind bekommen und meistert den Alltag mit ihrer kleinen Tochter auch dank professioneller Hilfe. Was sie Frauen in ihrer Situation rät
Der Kinderwunsch reifte bei Josepha Wagner etwa zehn Jahre lang. Von Geburt an querschnittsgelähmt, ist die 35-Jährige nun aber seit Februar Mutter einer Tochter, Amelie. Und das, wie sie selbstbewusst sagt, auf völlig natürlichem Weg. Als der „passende Mann“kam und die Möglichkeit von Unterstützung im Alltag in Aussicht stand, begrub sie den vielleicht letzten Zweifel und entschied sich für die Schwangerschaft. Die Zeit seit der Geburt hat sie dank der Hilfe einer Augsburger Beratungsstelle gut gemeistert.
Vor der Entbindung per Kaiserschnitt habe sie noch ihren Bachelor in Wirtschaftspsychologie geschrieben. Nach der Geburt sei sie mit ihrem Mann, 39, und dem Töchterchen noch übers Wochenende im Familienzimmer der Uniklinik Augsburg geblieben, bis die kleine Familie schon am darauffolgenden Montag nach Hause gehen durfte. Dann kam Hilfe ins Haus, um Vater und Mutter bei der täglichen Versorgung des Babys zu unterstützen.
Das am Alten Postweg Ecke Schertlinstraße untergebrachte EUTB (kurz für Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) ist eine von inzwischen vielen Anlaufstellen, die das Bundesministerium für Familie und Soziales im Sinne der Inklusion seit 2018 in Deutschland betreibt. Drei Wochen lang blieb Josepha Wagners Mann zu Hause, nahm Urlaub und Überstunden, bevor die erste Assistenz zur Unterstützung ins Haus kam.
Die Kennenlernphase zwischen Mutter und Kind sei schwierig gewesen, sagt die 35-Jährige, die sich in dieser ungewohnten Situation mit Fremden im Haus „einfach angespannt“fühlte. Es brauchte einige Wochen, bis sich die Beziehung im Dreiecksverhältnis Mutter, Assistenten und Säugling einspielte. Doch die Helferinnen brachten ihr
auch die gewünschte „Sicherheit und Entlastung“. Mit ihnen verschwand die Angst, wegen ihrer eingeschränkten Mobilität womöglich in entscheidenden Momenten nicht schnell genug reagieren zu können. Diese Bedenken äußern ihr gegenüber auch andere schwerbehinderte Frauen, denen Wagner jetzt selbst ehrenamtlich zur Seite steht, indem sie ihnen von ihren Erfahrungen berichtet.
Unter anderem gibt sie zu, dass sie bei einem zweiten Kind manches anders, gelassener machen würde. Josepha Wagner fände es schön, könnte Amelie mit einem Geschwisterchen aufwachsen. In den ersten drei Monaten drifteten Vorstellung und Realität nach Erfahrung der jungen Mutter auseinander, bis sich eine gewisse Routine einzustellen begann. Inzwischen helfen ihr drei Assistentinnen im Alltag mit Wischnell ckeln, Waschen und Einkaufen. Eine vierte werde sie bald bekommen. Im Durchschnitt greift Familie Wagner momentan auf acht Stunden Assistenz an fünf Tagen zurück, die je nach Bedarf reduziert oder verlängert werden könnten. Der Verein „Gemeinsam leben – Gemeinsam lernen Augsburg“rechnet die in Anspruch genommene Leistung mit dem Bezirk Schwaben als Kostenträger ab. Auch Angehörige oder Freunde können sich geringfügig beschäftigen lassen.
EUTB-Beraterinnen Monika Balz und ihre Kollegin Kundry Stern helfen auch bei Antragstellungen und dabei, herauszufinden, was der Klient tatsächlich braucht. Dabei sei die EUTB „Eine für Alle“egal, ob wie bei Josepha Wagner eine physische oder eine psychische Beeinträchtigung zugrunde liege. Nicht immer wisse der Ratsuchende genau, wo seine „Bedarfe“liegen, sagt Balz. Deren Beratung bestehe im Anschluss darin, zu sehen, wie die Bedürfnisse zu befriedigen sind. Immer mittwochs zwischen 15 und 17 Uhr können sich Betroffene in den Räumen des EUTB des Diakonischen Werkes (DWA) von Ehrenamtlichen wie Josepha Wagner nach vorheriger telefonischer Anmeldung (Rufnummer: 0821/45019-6310) am Alten Postweg 6 beraten lassen. Seit einem Jahr gibt es dort die sogenannten Peer-Sprechstunden, in denen auch Josepha Wagner ehrenamtlich über ihr Leben mit Baby und Elternassistenz erzählt. Damit will sie Zweiflerinnen Mut machen und das Vertrauen geben, dass auch sie sich den Kinderwunsch erfüllen können.
Josepha Wagner ist eine zierliche Person, die gegen die Begleiterscheinungen ihrer Querschnittslähmung sehr früh zu kämpfen gelernt hat. Das wird deutlich, wenn sie erzählt, dass ihr „straffer Trainingsplan“schon im Alter von drei Monaten begann. Sie fährt sich mit der rechten Hand über den Hals, um die Stelle für die Ursache ihres Handicaps
Die Mutter kommt als Assistenz zu Hilfe
zu lokalisieren. Im Mutterleib hatte sich ein Aneurysma im Spinalkanal gebildet und die Nerven zwischen dem sechsten und siebten Halswirbel verletzt. Um den Bewegungsapparat dennoch zu stabilisieren und dessen Verschleiß wegen ihrer permanent sitzenden Haltung zu minimieren, hatte schon ihre Mutter auf regelmäßige Physio- und Ergotherapie geachtet.
Die Mutter kommt Josepha Wagner jetzt auch als Assistenz zu Hilfe. In dieser Funktion darf die Oma vor allem die schönen Dinge, wie den Zoobesuch, mit ihrer Enkeltochter erleben. Die junge Mutter, die eine bewundernswert positive Ausstrahlung und Lebenseinstellung an den Tag legt, überlässt diese Assistenzen am liebsten der eigenen Mutter. Denn deren Fürsorge kennt und schätzt sie aus ihrer eigenen, ganz persönlichen Wahrnehmung.