Stolz und kritisch: Das Außenamt und seine Chefs
Die Amtsführung von Außenminister Heiko Maas wird im Auswärtigen Amt schon lange skeptisch verfolgt. Jetzt kommt das beispiellose Chaos in Afghanistan hinzu. Doch der Frust vieler Beamter und Diplomaten hat tiefere Wurzeln
Berlin Unzufriedenheit und triste Stimmung im Auswärtigen Amt. Das gab es immer wieder. Böse Zungen würden an diesem Punkt anmerken, dass gerade die hervorragend ausgebildeten, traditionsbewussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes und deutsche Diplomaten dazu neigen, an jeder Ecke Bedeutungsverlust und Zurücksetzung zu vermuten. Das mag ein Klischee sein. Doch dass gerade das Personal des Außenministeriums besonders sensibel auf Veränderungen oder Führungsschwäche reagiert, kann als gesichert gelten.
So ist es auch heute. Die Stimmung im Auswärtigen Amt sei schon früh in der Amtszeit von Heiko Maas „deutlich gedämpft gewesen“, sagt der Politikwissenschaftler Gunther Hellmann im Gespräch mit unserer Redaktion. „Jetzt kommen massive Frustrationen über die zögerlichen und zu späten Entscheidungen in Afghanistan hinzu. So etwas bleibt natürlich am Minister persönlich hängen“, fügt der Experte für deutsche Außenpolitik hinzu. „Maas ist auf Ausgleich bedacht, er ist nicht der Politiker, der Kontroversen sucht, und er scheut das Risiko.“In der Krise um den Durchmarsch der Taliban auf Kabul und die chaotischen Versuche, eigenes Personal und afghanische Ortskräfte zu retten, agierte Maas blutleer, unentschlossen, ja fahrig.
Da verblasst, dass Maas, der ja erst zum Zuge kam, nachdem 2017 der gerade als SPD-Kanzlerkandidat gescheiterte Martin Schulz auf den Einzug ins Kabinett Merkel verzichtet hatte, auch Verdienste hat: Hellmann nennt sein „starkes Engagement und Plädoyer für Multilateralismus im Allgemeinen und in der Pandemie im Besonderen oder seine klare Haltung gegen die aggressive Politik Russlands“.
Eine Mischung aus Skepsis und Erwartungen schlug Frank-Walter Steinmeier entgegen, als er Ende 2013 zu seiner zweiten Amtszeit als Chef des Außenamtes antrat. Einerseits hatte der SPD-Politiker von 2005 bis 2009 als Außenminister viele Hoffnungen enttäuscht – er sei zu sehr geprägt von seiner langjährigen Tätigkeit als hoher Beamter, hieß es. Andererseits waren viele im Auswärtigen Amt nie warm geworden mit Vorgänger Guido Westerwelle, der sehr lange brauchte, um Fuß zu fassen. Doch es gab auch Gründe für eine Desillusionierung im Außenamt, die nicht nur an Per
festzumachen sind: Der Kampf gegen die dramatische EuroKrise beispielsweise lief fast völlig am Auswärtigen Amt vorbei. Für viele ein Beweis dafür, dass Brüssel noch mehr Kompetenzen an sich reißen würde.
In dieser Situation reagierte Steinmeier mit einer groß angelegten Kampagne für eine Strukturreform für das Amt am Werderschen Markt in Berlin, „Review 2014“genannt. Das Auswärtige Amt sollte flexibler, schneller und effektiver werden. Steinmeier umgab sich mit klugen Köpfen, war gesprächsbereit, duldete, ja förderte Widerspruch. Tatsächlich gelang es ihm, auf diese Weise so etwas wie Auf
in sein Haus zu zaubern. „Steinmeier hatte großen Rückhalt im Ministerium – Maas hat diesen Rückhalt nicht“, fasst Hellmann zusammen.
Wer nach den goldenen Zeiten des Auswärtigen Amtes, das bereits 1870 zur Zeit des Norddeutschen Bundes gegründet wurde, fragt, der landet automatisch bei Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Joschka Fischer (Grüne). Entscheidend für die politischen Spielräume ist die Amtsführung der Kanzlerin oder des Kanzlers. Angela Merkel beispielsweise machte die Außenpolitik in ihrer bald 16-jährigen Amtszeit immer häufiger zur Chefsache und grenzte damit die Bewegungsfreisonen heit des Außenamtes ein. Eine Parallele zur Amtsführung von Bundeskanzler Helmut Kohl: „Er war am Anfang unsicher auf der internationalen Bühne. Aber er wurde später auch außenpolitisch immer dominanter. In Hans-Dietrich Genscher hatte er bis 1992 einen erfahrenen Außenminister als Widerpart, der sein Amt sehr machtbewusst führte. Genschers Nachfolger Kinkel musste als Neuling seinerseits mit einem außenpolitisch versierten Kanzler Kohl klarkommen, der sich nach der deutschen Vereinigung stärker denn je fühlte.“
Joschka Fischer gilt bis heute als einer der intellektuell stärksten Chefs des Auswärtigen Amtes. Verbruchsstimmung gessen wird oft, dass dem GrünenPolitiker und früheren linken Straßenkämpfer dort zunächst großes Misstrauen entgegenschlug. Das Unbehagen verstärkte sich noch, als Fischer kurzerhand die Nachrufe für Diplomaten, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, aus der Hauszeitschrift verbannte. Dass der Zorn verrauchte, hatte gute Gründe: „Der damalige Staatssekretär und heutige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, half ihm, ins Amt zu finden. Doch auch Fischer selbst lernte schnell – im Unterschied zu Maas war er ein Naturtalent im Umgang mit politischer Macht.“
Natürlich ist das Auswärtige Amt wie alle Ressorts stark auf den Chef ausgerichtet. Doch es gibt einige Punkte, die dazu geführt haben, dass die „heutigen Diplomaten realisieren, dass ihre Stellung in der internationalen Politik insgesamt und in der Außenpolitik der jeweiligen Länder schwächer geworden ist“, wie Hellmann formuliert. „Das hängt mit der Ökonomisierung der internationalen Politik zusammen,
Diplomatie ist ein „spezielles Geschäft“
mit Internet und sozialen Medien und der Tatsache, dass die klassischen Kanäle, über die diplomatische Kommunikation funktionierte, ihr Monopol eingebüßt haben.“Zudem habe das Auftauchen von Whistleblowern wie Edward Snowden „die Vertraulichkeit diplomatischer Kommunikation alles andere als gesichert“. Hinzu kommt, dass „nahezu jedes Ministerium heute bei außenpolitischen Themen“mitrede. Was wiederum die zentrale Position des Außenamtes weiter schmälert.
Gleichzeitig bleibt kluge Außenpolitik und Diplomatie gerade in Zeiten, in denen internationale Konflikte immer komplizierter werden, wichtig: „Ich würde nicht so weit gehen, dass die Reputation der Diplomatie so weit unterminiert wird, dass sich die Frage ihrer Daseinsberechtigung stellt. Die diplomatische Vertretung nach außen ist ein spezielles Geschäft und sie bleibt, gerade auch in ihrer ritualisierten Form, für die internationale Politik existenziell wichtig. Zudem gibt es in den Außenministerien nach wie vor viele kluge Köpfe, die das Große und Ganze im Blick haben und einzuordnen verstehen“, sagt Gunther Hellmann.