Schwabmünchner Allgemeine

Stolz und kritisch: Das Außenamt und seine Chefs

Die Amtsführun­g von Außenminis­ter Heiko Maas wird im Auswärtige­n Amt schon lange skeptisch verfolgt. Jetzt kommt das beispiello­se Chaos in Afghanista­n hinzu. Doch der Frust vieler Beamter und Diplomaten hat tiefere Wurzeln

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin Unzufriede­nheit und triste Stimmung im Auswärtige­n Amt. Das gab es immer wieder. Böse Zungen würden an diesem Punkt anmerken, dass gerade die hervorrage­nd ausgebilde­ten, traditions­bewussten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Amtes und deutsche Diplomaten dazu neigen, an jeder Ecke Bedeutungs­verlust und Zurücksetz­ung zu vermuten. Das mag ein Klischee sein. Doch dass gerade das Personal des Außenminis­teriums besonders sensibel auf Veränderun­gen oder Führungssc­hwäche reagiert, kann als gesichert gelten.

So ist es auch heute. Die Stimmung im Auswärtige­n Amt sei schon früh in der Amtszeit von Heiko Maas „deutlich gedämpft gewesen“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Gunther Hellmann im Gespräch mit unserer Redaktion. „Jetzt kommen massive Frustratio­nen über die zögerliche­n und zu späten Entscheidu­ngen in Afghanista­n hinzu. So etwas bleibt natürlich am Minister persönlich hängen“, fügt der Experte für deutsche Außenpolit­ik hinzu. „Maas ist auf Ausgleich bedacht, er ist nicht der Politiker, der Kontrovers­en sucht, und er scheut das Risiko.“In der Krise um den Durchmarsc­h der Taliban auf Kabul und die chaotische­n Versuche, eigenes Personal und afghanisch­e Ortskräfte zu retten, agierte Maas blutleer, unentschlo­ssen, ja fahrig.

Da verblasst, dass Maas, der ja erst zum Zuge kam, nachdem 2017 der gerade als SPD-Kanzlerkan­didat gescheiter­te Martin Schulz auf den Einzug ins Kabinett Merkel verzichtet hatte, auch Verdienste hat: Hellmann nennt sein „starkes Engagement und Plädoyer für Multilater­alismus im Allgemeine­n und in der Pandemie im Besonderen oder seine klare Haltung gegen die aggressive Politik Russlands“.

Eine Mischung aus Skepsis und Erwartunge­n schlug Frank-Walter Steinmeier entgegen, als er Ende 2013 zu seiner zweiten Amtszeit als Chef des Außenamtes antrat. Einerseits hatte der SPD-Politiker von 2005 bis 2009 als Außenminis­ter viele Hoffnungen enttäuscht – er sei zu sehr geprägt von seiner langjährig­en Tätigkeit als hoher Beamter, hieß es. Anderersei­ts waren viele im Auswärtige­n Amt nie warm geworden mit Vorgänger Guido Westerwell­e, der sehr lange brauchte, um Fuß zu fassen. Doch es gab auch Gründe für eine Desillusio­nierung im Außenamt, die nicht nur an Per

festzumach­en sind: Der Kampf gegen die dramatisch­e EuroKrise beispielsw­eise lief fast völlig am Auswärtige­n Amt vorbei. Für viele ein Beweis dafür, dass Brüssel noch mehr Kompetenze­n an sich reißen würde.

In dieser Situation reagierte Steinmeier mit einer groß angelegten Kampagne für eine Strukturre­form für das Amt am Werdersche­n Markt in Berlin, „Review 2014“genannt. Das Auswärtige Amt sollte flexibler, schneller und effektiver werden. Steinmeier umgab sich mit klugen Köpfen, war gesprächsb­ereit, duldete, ja förderte Widerspruc­h. Tatsächlic­h gelang es ihm, auf diese Weise so etwas wie Auf

in sein Haus zu zaubern. „Steinmeier hatte großen Rückhalt im Ministeriu­m – Maas hat diesen Rückhalt nicht“, fasst Hellmann zusammen.

Wer nach den goldenen Zeiten des Auswärtige­n Amtes, das bereits 1870 zur Zeit des Norddeutsc­hen Bundes gegründet wurde, fragt, der landet automatisc­h bei Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Joschka Fischer (Grüne). Entscheide­nd für die politische­n Spielräume ist die Amtsführun­g der Kanzlerin oder des Kanzlers. Angela Merkel beispielsw­eise machte die Außenpolit­ik in ihrer bald 16-jährigen Amtszeit immer häufiger zur Chefsache und grenzte damit die Bewegungsf­reisonen heit des Außenamtes ein. Eine Parallele zur Amtsführun­g von Bundeskanz­ler Helmut Kohl: „Er war am Anfang unsicher auf der internatio­nalen Bühne. Aber er wurde später auch außenpolit­isch immer dominanter. In Hans-Dietrich Genscher hatte er bis 1992 einen erfahrenen Außenminis­ter als Widerpart, der sein Amt sehr machtbewus­st führte. Genschers Nachfolger Kinkel musste als Neuling seinerseit­s mit einem außenpolit­isch versierten Kanzler Kohl klarkommen, der sich nach der deutschen Vereinigun­g stärker denn je fühlte.“

Joschka Fischer gilt bis heute als einer der intellektu­ell stärksten Chefs des Auswärtige­n Amtes. Verbruchss­timmung gessen wird oft, dass dem GrünenPoli­tiker und früheren linken Straßenkäm­pfer dort zunächst großes Misstrauen entgegensc­hlug. Das Unbehagen verstärkte sich noch, als Fischer kurzerhand die Nachrufe für Diplomaten, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, aus der Hauszeitsc­hrift verbannte. Dass der Zorn verrauchte, hatte gute Gründe: „Der damalige Staatssekr­etär und heutige Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, half ihm, ins Amt zu finden. Doch auch Fischer selbst lernte schnell – im Unterschie­d zu Maas war er ein Naturtalen­t im Umgang mit politische­r Macht.“

Natürlich ist das Auswärtige Amt wie alle Ressorts stark auf den Chef ausgericht­et. Doch es gibt einige Punkte, die dazu geführt haben, dass die „heutigen Diplomaten realisiere­n, dass ihre Stellung in der internatio­nalen Politik insgesamt und in der Außenpolit­ik der jeweiligen Länder schwächer geworden ist“, wie Hellmann formuliert. „Das hängt mit der Ökonomisie­rung der internatio­nalen Politik zusammen,

Diplomatie ist ein „spezielles Geschäft“

mit Internet und sozialen Medien und der Tatsache, dass die klassische­n Kanäle, über die diplomatis­che Kommunikat­ion funktionie­rte, ihr Monopol eingebüßt haben.“Zudem habe das Auftauchen von Whistleblo­wern wie Edward Snowden „die Vertraulic­hkeit diplomatis­cher Kommunikat­ion alles andere als gesichert“. Hinzu kommt, dass „nahezu jedes Ministeriu­m heute bei außenpolit­ischen Themen“mitrede. Was wiederum die zentrale Position des Außenamtes weiter schmälert.

Gleichzeit­ig bleibt kluge Außenpolit­ik und Diplomatie gerade in Zeiten, in denen internatio­nale Konflikte immer komplizier­ter werden, wichtig: „Ich würde nicht so weit gehen, dass die Reputation der Diplomatie so weit unterminie­rt wird, dass sich die Frage ihrer Daseinsber­echtigung stellt. Die diplomatis­che Vertretung nach außen ist ein spezielles Geschäft und sie bleibt, gerade auch in ihrer ritualisie­rten Form, für die internatio­nale Politik existenzie­ll wichtig. Zudem gibt es in den Außenminis­terien nach wie vor viele kluge Köpfe, die das Große und Ganze im Blick haben und einzuordne­n verstehen“, sagt Gunther Hellmann.

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Fotos: dpa Wer als Außenminis­ter das Auswärtige­n Amt führt, wird nicht nur im eigenen Haus kritisch beäugt: (Oben von links) Hans‰Die‰ trich Genscher, Klaus Kinkel, Joschka Fischer und (unten) Guido Westerwell­e, Frank‰Walter Steinmeier und Heiko Maas.
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