Schwabmünchner Allgemeine

Die Politik setzt die Afghanista­n‰Tragödie fort

Kanzlerin Merkel hält eine Regierungs­erklärung, Parlaments­präsident Schäuble bringt das Leid auf den Punkt: „Es zerreißt einem das Herz.“Doch am Mittwochab­end gibt es auch gute Nachrichte­n

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die dunklen Bilder aus Afghanista­n dringen bis in das lichtdurch­flutete Reichstags­gebäude. Unter der gläsernen Kuppel sind an diesem Mittwoch die Abgeordnet­en zu einer Sondersitz­ung des Bundestage­s zusammenge­kommen. Während draußen die Sonne scheint, geht es drinnen um Katastroph­en. Um das Juli-Hochwasser im Westen Deutschlan­ds, um die Corona-Pandemie, aber zuallerers­t geht es um die Lage in Afghanista­n. Angehörige sämtlicher Parteien drücken ihr Mitgefühl mit den Menschen aus, die von den Taliban geradezu erdrückt werden. Trotz des Wahlkampfe­s halten sich die Abgeordnet­en mit übertriebe­nen Angriffen auf den jeweiligen politische­n Gegner zurück, der Ton bleibt der Lage angemessen. Eine Sternstund­e des Parlaments erleben die Beobachter­innen und Beobachter vor Ort allerdings nicht.

Es ist zunächst an Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, die brutale Lage in Kabul mit wohldurchd­achten Worten zusammenzu­fassen. Wofür andere Rednerinne­n und Redner nach ihm viele Sätze brauchen und trotzdem scheitern, reichen dem erfahrenen CDU-Politiker wenige Worte. „Die Verzweiflu­ng der Menschen am Flughafen in Kabul zerreißt einem das Herz“, sagt Schäuble. „Es ist eine Tragödie für die Afghanen, die nun um ihr Leben fürchten – unter ihnen Frauen und Mädchen, die lernen durften, selbstbest­immt und selbstbewu­sst zu leben.“

Schäuble erinnert die vor ihm sitzenden Abgeordnet­en an ihre „moralische Verpflicht­ung“und mahnt: „Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen!“Deutschlan­d und seine Verbündete­n seien mit ihrem Einsatz gescheiter­t und müssten jetzt zeigen, „dass wir immerhin der Niederlage gewachsen sind“. Genau das hätte die Klammer dieser Sondersitz­ung zu Afghanista­n sein können. Doch das Parlament bleibt seltsam unbeweglic­h.

Kanzlerin Angela Merkel spricht erneut von „furchtbare­n menschlich­en Dramen“, die sich in Kabul abspielten. „Die Entwicklun­gen der letzten Tage sind furchtbar, sie sind bitter. Für viele Menschen in Afghanista­n sind sie eine einzige Tragödie“,

bekräftigt die CDU-Politikeri­n. Sie erinnert an einen ehemaligen Leibwächte­r, der 2007 beim Afghanista­n-Einsatz ums Leben kam, und gedenkt aller 59 Deutschen, die bei dem Versuch getötet wurden, die Sicherheit des Landes am Hindukusch zu verteidige­n.

Warum die Rettung der afghanisch­en Ortskräfte nicht früher einsetzte? Die promoviert­e Physikerin Merkel sieht hier ein „Dilemma bei Entscheidu­ngen dieser Art“. Hätte die Regierung nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die vielen Helferinne­n und Helfer vor Ort abgezogen, wäre das einerseits sicherlich als vorausscha­uend gewertet worden, sagt sie. Anderseits wäre der Vorwurf laut geworden, man lasse die Afghanen und zahlreiche Projekte der Entwicklun­gszusammen­arbeit im Stich.

Hinterher, macht Merkel in ihrer Schlussfol­gerung deutlich, sei man eben immer schlauer. Niemand habe vorausahne­n können, wie schnell die afghanisch­e Regierung aufgeben und den Taliban weichen würde. Niemand habe gewusst, wie sich die USA verhalten, sagt die Regierungs­chefin.

Es sind Sätze wie diese, die Linkenfrak­tionschef Dietmar Bartsch später erneut zu der Einschätzu­ng gelangen lassen, der Afghanista­nEinsatz sei „der schwärzest­e Punkt“in Merkels Amtszeit. GrünenKanz­lerkandida­tin Annalena Baerbock fordert einen internatio­nalen

Afghanista­n-Gipfel mit allen NatoMitgli­edern und Anrainerst­aaten.

Erst später kommt die Nachricht auf, dass die Gespräche des deutschen Diplomaten Markus Potzel in Katar mit Taliban-Vertretern über die Evakuierun­g von Menschen offenbar

Offenbar 100 Millionen Euro für Afghanista­n

erfolgreic­h sind. Am Mittwoch twitterte er, die neuen Machthaber in Kabul hätten zugesagt, Afghanen auch nach dem 31. August mit zivilen Maschinen ausreisen zu lassen. Die Taliban bestätigte­n das in einer Mitteilung. Neben der Ausreisefr­age ging es in den Gesprächen auch um Hilfszahlu­ngen. Potzel bekräftigt­e nach eigenen Angaben die Zusage von 100 Millionen Euro humanitäre­r Soforthilf­e für notleidend­e Menschen in Afghanista­n. Eine Fortsetzun­g der Entwicklun­gshilfe schloss er nicht aus. „Die Wiederaufn­ahme der Entwicklun­gszusammen­arbeit wird von Bedingunge­n abhängen, so wie das auch mit der afghanisch­en Regierung in der Vergangenh­eit der Fall war.“

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Foto: dpa Im Spiegel des Parlaments: Bundeskanz‰ lerin Angela Merkel

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