Schwabmünchner Allgemeine

„Wir dürfen die Schulen nicht durchseuch­en“

Hat die Politik diesmal die Sommerferi­en genutzt, um die Schulen fit für eine neue Corona-Welle zu machen? Lehrerverb­andspräsid­ent Heinz-Peter Meidinger warnt vor Gefahren für die Schulkinde­r und den Unterricht

- Interview: Michael Pohl

Mit welchen Sorgen blicken die Lehrerinne­n und Lehrer auf den Start des neuen Schuljahre­s angesichts der viel ansteckend­eren Delta-Variante? Heinz‰Peter Meidinger: Natürlich treibt uns die Sorge um, dass die vierte Welle neuerliche starke Einschränk­ungen des Präsenzunt­errichts zur Folge haben wird. Während die Lehrkräfte inzwischen nach unseren Rückmeldun­gen zu über 90 Prozent vollständi­gen Impfschutz haben, sieht dies bei den Schülerinn­en und Schülern noch ganz anders aus. In der Altersgrup­pe bis zwölf Jahren ist derzeit noch niemand geimpft, weil es für diese Altersgrup­pe noch keinen zugelassen­en Impfstoff gibt. Bei den von 13- bis 17-Jährigen kam die allgemeine Impfempfeh­lung der Ständigen Impfkommis­sion so spät, dass wir trotz einer sehr großen Impfbereit­schaft der Eltern und Jugendlich­en, trotz großem Andrang bei den Kinderärzt­en bis zum Schulstart für die Mehrheit keinen vollständi­gen Impfschutz haben werden.

In Bundesländ­ern, in denen die Schule wieder begonnen hat, steigen die Infektions­zahlen überdurchs­chnittlich. In Nordrhein-Westfalen sind sie doppelt so hoch wie im Bundesschn­itt … Meidinger: fektionen nicht mehr zur Kontaktnac­hverfolgun­g genutzt werden, dann kann man die Tests gleich ganz sein lassen.

Experten warnen vor einem unverantwo­rtlichen Experiment einer „Durchseuch­ung“von Schulklass­en ...

Meidinger: Auch wenn Kinder seltener schwer erkranken, dürfen wir eine Durchseuch­ung der Schulen nicht zulassen. Neuere amerikanis­che Studien haben herausgefu­nden, dass die Hospitalis­ierungsquo­te bei infizierte­n Kindern zwischen 0,3 bis 1,7 Prozent liegt. Bezogen auf Deutschlan­d bei knapp elf Millionen Schülern hieße das, dass zwischen 30000 und 180000 in Krankenhäu­sern behandelt werden müssten, von eventuelle­n Long-Covid-Folgen mal völlig abgesehen. Das, glaube ich, darf kein Politiker verantwort­en.

Derzeit ringt die Politik um neue Regeln anstelle der Inzidenz für CoronaMaßn­ahmen. Gerät dabei die Lage der Schulen aus dem Blickwinke­l? Meidinger: Die Mehrzahl der Erwachsene­n ist bereits vollständi­g geimpft, insbesonde­re die gefährdete­n Gruppen. Deshalb habe ich Verständni­s dafür, dass man die bisherigen Inzidenzgr­enzen nach oben verschiebt. Sich jetzt aber an den Schulen vollständi­g von Inzidenzen zu verabschie­den und beispielsw­eise nur noch auf die Belegung von Intensivbe­tten abzustelle­n, halten wir als Lehrerverb­and für falsch. Inzidenzqu­oten sind ein Frühwarnsy­stem. Wenn die Krankenhäu­ser überquelle­n, ist es für Gegenmaßna­hmen meistens zu spät. Die These, dass Schulen am Infektions­geschehen keinen Anteil hätten, war noch nie zutreffend, auch wenn sie die Kultusmini­sterkonfer­enz in der Vergangenh­eit mantrahaft wiederholt hat. Jetzt, da eindeutig klar ist, dass sich die Deltavaria­nte am schnellste­n unter Jugendlich­en verbreitet, ist eher das Gegenteil richtig. Schulen sind auf jeden Fall mögliche Stätten der Weiterverb­reitung und haben bei mangelnder Vorsicht auch Supersprea­derpotenzi­al. Die Politik ist gut beraten, diese Gefahr sehr ernst zu nehmen.

Heinz‰Peter Meidinger, 66, stammt aus Regens‰ burg, war Gymnasiall­ehrer und ist seit Juli 2017 Prä‰ sident des Deutschen Leh‰ rerverband­s.

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 ?? Foto: Rumpenhors­t, dpa ?? Lüften und Wechselunt­erricht: Wie gut sind die Schulen für die vierte Welle gewappnet?
Foto: Rumpenhors­t, dpa Lüften und Wechselunt­erricht: Wie gut sind die Schulen für die vierte Welle gewappnet?
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