„Die Stones werden nicht klingen wie bisher“
Der Mensch, der Stil, die Marke: Augsburger Schlagzeuger sprechen nach dem Tod von Charlie Watts über das Besondere an ihm und seinem Spiel, auch für sie persönlich – und über die Folgen für die Rolling Stones
Der Tod von Stones-Drummer Charlie Watts hat auch bei Augsburgs Schlagzeugern Betroffenheit ausgelöst – und manche Erinnerung heraufbeschworen.
„Honkey Tonk Woman, wenn da die Kuhglocken kommen, sehe ich immer Charlie Watts vor mir“, sagt Jazzschlagzeuger Walter Bittner. Watts und auch Ringo Starr, dessen Kollege von den Beatles, seien seine musikalische Sozialisation gewesen, hält er fest. Dabei sei das Besondere an Charlie Watts nicht die technische Virtuosität gewesen, sondern der eigene Stil, den er geprägt habe. Nicht nur optisch habe sich der Gentleman mit den Maßanzügen unterschieden, sondern auch musikalisch.
So habe er bei den Beats mal einen Schlag weggelassen oder anders betont – Eigenheiten, die Bittner auffielen, wenn er versuchte, die Songs nachzuspielen. „Wenn er anders gespielt hätte, hätte etwas gefehlt in den Songs der Stones, er war einfach eine Marke.“Und er verkörperte für Walter Bittner, der selbst in mehreren Formationen spielt, so etwas wie das Schlagzeuger–Ideal: im Hintergrund bleiben, aber mit den Beats die Musik zusammenhalten und das Tempo vorantreiben.
So beschreibt es auch Michael Nigg, Schlagzeuger der Augsburger Band The Seer: „Charlie Watts war kein Hero-Drummer, sondern ein Band-Drummer, der sich ganz in den Dienst des Songs und der Band gestellt hat. Sein Spiel war nicht spektakulär, aber genau der Schlüssel dazu, dass die Songs so gut funktioniert haben.“Was er an Watts und seiner Kunst auch bewundert hat: das Unperfekte im Perfekten, die eigene Handschrift, der eigene Stil samt Stockhaltung, locker zwischen Daumen und Zeigefinger… und auch, dass da einer über 50 Jahre sein Equipment kaum geändert hat. „Das war ja immer ein kleines Drum-Kit. Das siehst du eher bei kleineren Jazz-Konzerten, aber er hat damit vor ganzen Stadien gespielt.“
Und nun? Dass die Stones aufhören, Michael Nigg glaubt nicht. Es werde einen Ersatz für Watts geben – und „das wird live auch sicher gut klingen“. Aber: „Watts hatte einen Stil und einen Sound, den kann man nicht kopieren. Ohne ihn werden die Rolling Stones nicht mehr so klingen wie bisher.“
Findet auch Tilman Herpichböhm, meint aber auch, dass die Stones in den vergangenen Jahren sowieso mehr vom Ruhm der ersten 20 Jahre gelebt hätten. „Da waren sie bahnbrechend, später standen einfach vier Legenden auf der Bühne.“Der Tod von
Charlie Watts setzt für den Augsburger Schlagzeuger eine Zäsur und bedeutet das Ende der Band, einfach, weil sein Spiel so prägend für den Sound war.
„Das könnte ernst werden“hatte Herpichböhm schon gedacht, als er vor einigen Wochen hörte, dass Charlie Watts die ab September geplante US-Tour absagen musste. Der Tod geht Herpichböhm nun nahe, weil Charlie Watts und die Stones auch Teil seiner eigenen Musikgeschichte sind. „Sie waren die Band, die ich zwischen 14 und 18 am
gehört habe, und meine erste eigene Band war dann eine Stones-Cover-Band“, erzählt er und ahmt die ersten Töne von „Satisfaction“nach. „Das war ein Signature-Groove von Charlie Watts – einer von so vielen“, erklärt er und kommt sofort auf das Alleinstellungsmerkmal des Stones-Drummers zu sprechen: Während man für gewöhnlich die Snare Drum mit der linken Hand und das Hi Hat mit der rechten Hand zusammenspielt, ließ Watts das Hi Hat oft einfach weg. „Eigentlich ein klassischer Anfängerfehler“, sagt Herpichböhm, aber bei Watts war es Methode.
Viel ist jetzt von Charlie Watts’ Liebe zum Jazz die Rede. Dass sie sich auch in dessen Spiel mit den Rolling Stones niedergeschlagen habe, findet Tilman Herpichböhm, der auch künstlerischer Leiter des Internationalen Jazzsommers ist, aber nicht: „Alle Schlagzeuger, die in den 50er und 60er Jahren zu spielen begonnen haben, hörten sich so an, einfach weil es damals nur den Jazz gab, der für moderne Musik als Vorbild dienen konnte.“Charakteristisch für den Jazzschlagzeuger sei sein freies melodiöses Spiel, das gleichberechtigt mit den anderen Instrumenten ist. „Charlie Watts war der klassische Hintergrundmusiker.“
Eigentlich ist er gar kein StonesFan, erzählt Raimund Martin, Schlagzeuger und Musiklehrer an der Sing- und Musikschule in Augsmeisten burg. Der Tod von Charlie Watts hat ihn dennoch getroffen: „Das war einer, der sich bis zuletzt fit in seiner Musik gehalten hat. Denn das Schlagzeugspielen kann man auch verlernen.“Besonders im Ohr geblieben sind Martin, der auch an der Universität in Augsburg Pauke und Schlagzeug lehrt, die „legendären Fill-ins“. Auch für seine Schülerinnen und Schüler nutzt Martin Stones-Hits für sogenannte „Play Alongs“, also Stücke, bei denen der Schüler selbst mitspielen kann. „Ich würde sagen, etwa 70 Prozent meiner Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 20 Jahren kennen die Stones, obwohl es eine andere Generation ist. Und viele junge Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger versuchen, sich von Watts Einmaligkeit etwas abzuschauen.“Doch es sei gar nicht so leicht, das
„Er hat sich nie aufgedrängt, immer dienlich gespielt“
„Geniale in der Einfachheit“, wie der Augsburger Dozent es nennt, ins eigene Spiel zu integrieren.
Mittlerweile ist er 31 Jahre alt, doch keinesfalls zu alt für die Stones: Nick Herrmann ist Drummer bei der Augsburger Rockband John Garner. Mit sechs Jahren hat er angefangen, Schlagzeug zu spielen – mit acht Jahren hat er das erste Mal die Musik von Charlie Watts und seinen Bandkollegen gehört. „Ich war damals bei einem Freund und wir haben eine Stones-Kassette bei seinem Vater gefunden“, erzählt Herrmann. Er sei „geflasht“gewesen, auch wenn er sich später als jugendlicher Schlagzeuger eher an „kompliziertere Schlagzeugstücke“heranwagte. Was ihn jedoch bis heute prägt: „Charlie Watts hat sich nie aufgedrängt. Er hat immer dienlich gespielt, der Band ein Fundament gegeben und den Rücken gestärkt. Diese Rolle hat mich sehr inspiriert.“Denn so will auch Herrmann in seiner Band wirken.
Dass jeder Musiker solange Musik machen kann, wie er möchte, das würde der Augsburger Schlagzeuger jedem wünschen – auch dem Rest der Band. „Es wäre schön, wenn die Stones weitermachen würden. Vielleicht sogar noch mit einem neuen Drummer oder einer letzten, ruhigen Nummer“, meint Herrmann. Was er sich aber genauso gut vorstellen kann: „Vielleicht hat mit Watts Tod das letzte Kapitel der Stones seinen Anfang genommen.“