Schwabmünchner Allgemeine

„Die Stones werden nicht klingen wie bisher“

Der Mensch, der Stil, die Marke: Augsburger Schlagzeug­er sprechen nach dem Tod von Charlie Watts über das Besondere an ihm und seinem Spiel, auch für sie persönlich – und über die Folgen für die Rolling Stones

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF, SOPHIA HUBER UND STEFANIE WIRSCHING

Der Tod von Stones-Drummer Charlie Watts hat auch bei Augsburgs Schlagzeug­ern Betroffenh­eit ausgelöst – und manche Erinnerung heraufbesc­hworen.

„Honkey Tonk Woman, wenn da die Kuhglocken kommen, sehe ich immer Charlie Watts vor mir“, sagt Jazzschlag­zeuger Walter Bittner. Watts und auch Ringo Starr, dessen Kollege von den Beatles, seien seine musikalisc­he Sozialisat­ion gewesen, hält er fest. Dabei sei das Besondere an Charlie Watts nicht die technische Virtuositä­t gewesen, sondern der eigene Stil, den er geprägt habe. Nicht nur optisch habe sich der Gentleman mit den Maßanzügen unterschie­den, sondern auch musikalisc­h.

So habe er bei den Beats mal einen Schlag weggelasse­n oder anders betont – Eigenheite­n, die Bittner auffielen, wenn er versuchte, die Songs nachzuspie­len. „Wenn er anders gespielt hätte, hätte etwas gefehlt in den Songs der Stones, er war einfach eine Marke.“Und er verkörpert­e für Walter Bittner, der selbst in mehreren Formatione­n spielt, so etwas wie das Schlagzeug­er–Ideal: im Hintergrun­d bleiben, aber mit den Beats die Musik zusammenha­lten und das Tempo vorantreib­en.

So beschreibt es auch Michael Nigg, Schlagzeug­er der Augsburger Band The Seer: „Charlie Watts war kein Hero-Drummer, sondern ein Band-Drummer, der sich ganz in den Dienst des Songs und der Band gestellt hat. Sein Spiel war nicht spektakulä­r, aber genau der Schlüssel dazu, dass die Songs so gut funktionie­rt haben.“Was er an Watts und seiner Kunst auch bewundert hat: das Unperfekte im Perfekten, die eigene Handschrif­t, der eigene Stil samt Stockhaltu­ng, locker zwischen Daumen und Zeigefinge­r… und auch, dass da einer über 50 Jahre sein Equipment kaum geändert hat. „Das war ja immer ein kleines Drum-Kit. Das siehst du eher bei kleineren Jazz-Konzerten, aber er hat damit vor ganzen Stadien gespielt.“

Und nun? Dass die Stones aufhören, Michael Nigg glaubt nicht. Es werde einen Ersatz für Watts geben – und „das wird live auch sicher gut klingen“. Aber: „Watts hatte einen Stil und einen Sound, den kann man nicht kopieren. Ohne ihn werden die Rolling Stones nicht mehr so klingen wie bisher.“

Findet auch Tilman Herpichböh­m, meint aber auch, dass die Stones in den vergangene­n Jahren sowieso mehr vom Ruhm der ersten 20 Jahre gelebt hätten. „Da waren sie bahnbreche­nd, später standen einfach vier Legenden auf der Bühne.“Der Tod von

Charlie Watts setzt für den Augsburger Schlagzeug­er eine Zäsur und bedeutet das Ende der Band, einfach, weil sein Spiel so prägend für den Sound war.

„Das könnte ernst werden“hatte Herpichböh­m schon gedacht, als er vor einigen Wochen hörte, dass Charlie Watts die ab September geplante US-Tour absagen musste. Der Tod geht Herpichböh­m nun nahe, weil Charlie Watts und die Stones auch Teil seiner eigenen Musikgesch­ichte sind. „Sie waren die Band, die ich zwischen 14 und 18 am

gehört habe, und meine erste eigene Band war dann eine Stones-Cover-Band“, erzählt er und ahmt die ersten Töne von „Satisfacti­on“nach. „Das war ein Signature-Groove von Charlie Watts – einer von so vielen“, erklärt er und kommt sofort auf das Alleinstel­lungsmerkm­al des Stones-Drummers zu sprechen: Während man für gewöhnlich die Snare Drum mit der linken Hand und das Hi Hat mit der rechten Hand zusammensp­ielt, ließ Watts das Hi Hat oft einfach weg. „Eigentlich ein klassische­r Anfängerfe­hler“, sagt Herpichböh­m, aber bei Watts war es Methode.

Viel ist jetzt von Charlie Watts’ Liebe zum Jazz die Rede. Dass sie sich auch in dessen Spiel mit den Rolling Stones niedergesc­hlagen habe, findet Tilman Herpichböh­m, der auch künstleris­cher Leiter des Internatio­nalen Jazzsommer­s ist, aber nicht: „Alle Schlagzeug­er, die in den 50er und 60er Jahren zu spielen begonnen haben, hörten sich so an, einfach weil es damals nur den Jazz gab, der für moderne Musik als Vorbild dienen konnte.“Charakteri­stisch für den Jazzschlag­zeuger sei sein freies melodiöses Spiel, das gleichbere­chtigt mit den anderen Instrument­en ist. „Charlie Watts war der klassische Hintergrun­dmusiker.“

Eigentlich ist er gar kein StonesFan, erzählt Raimund Martin, Schlagzeug­er und Musiklehre­r an der Sing- und Musikschul­e in Augsmeiste­n burg. Der Tod von Charlie Watts hat ihn dennoch getroffen: „Das war einer, der sich bis zuletzt fit in seiner Musik gehalten hat. Denn das Schlagzeug­spielen kann man auch verlernen.“Besonders im Ohr geblieben sind Martin, der auch an der Universitä­t in Augsburg Pauke und Schlagzeug lehrt, die „legendären Fill-ins“. Auch für seine Schülerinn­en und Schüler nutzt Martin Stones-Hits für sogenannte „Play Alongs“, also Stücke, bei denen der Schüler selbst mitspielen kann. „Ich würde sagen, etwa 70 Prozent meiner Schülerinn­en und Schüler zwischen zehn und 20 Jahren kennen die Stones, obwohl es eine andere Generation ist. Und viele junge Schlagzeug­erinnen und Schlagzeug­er versuchen, sich von Watts Einmaligke­it etwas abzuschaue­n.“Doch es sei gar nicht so leicht, das

„Er hat sich nie aufgedräng­t, immer dienlich gespielt“

„Geniale in der Einfachhei­t“, wie der Augsburger Dozent es nennt, ins eigene Spiel zu integriere­n.

Mittlerwei­le ist er 31 Jahre alt, doch keinesfall­s zu alt für die Stones: Nick Herrmann ist Drummer bei der Augsburger Rockband John Garner. Mit sechs Jahren hat er angefangen, Schlagzeug zu spielen – mit acht Jahren hat er das erste Mal die Musik von Charlie Watts und seinen Bandkolleg­en gehört. „Ich war damals bei einem Freund und wir haben eine Stones-Kassette bei seinem Vater gefunden“, erzählt Herrmann. Er sei „geflasht“gewesen, auch wenn er sich später als jugendlich­er Schlagzeug­er eher an „komplizier­tere Schlagzeug­stücke“heranwagte. Was ihn jedoch bis heute prägt: „Charlie Watts hat sich nie aufgedräng­t. Er hat immer dienlich gespielt, der Band ein Fundament gegeben und den Rücken gestärkt. Diese Rolle hat mich sehr inspiriert.“Denn so will auch Herrmann in seiner Band wirken.

Dass jeder Musiker solange Musik machen kann, wie er möchte, das würde der Augsburger Schlagzeug­er jedem wünschen – auch dem Rest der Band. „Es wäre schön, wenn die Stones weitermach­en würden. Vielleicht sogar noch mit einem neuen Drummer oder einer letzten, ruhigen Nummer“, meint Herrmann. Was er sich aber genauso gut vorstellen kann: „Vielleicht hat mit Watts Tod das letzte Kapitel der Stones seinen Anfang genommen.“

 ?? Foto: Carsten Rehder, dpa ?? Am Dienstag im Alter von 80 Jahren gestorben: der Schlagzeug­er Charlie Watts.
Foto: Carsten Rehder, dpa Am Dienstag im Alter von 80 Jahren gestorben: der Schlagzeug­er Charlie Watts.
 ??  ?? Wolfgang Bittner
Wolfgang Bittner
 ??  ?? T. Herpichböh­m
T. Herpichböh­m
 ??  ?? Michael Nigg
Michael Nigg
 ??  ?? Nick Herrmann
Nick Herrmann

Newspapers in German

Newspapers from Germany