Kann das in den Müll? Dann ist es Kunst
Das Singoldsand Festival ist bekannt für ausgefallene Deko. Otto Grothe ist der Kopf hinter dem Schmuck und leitet das Deko-Team von Beginn an. Was andere wegwerfen, wird in seinen Händen zu Kunst
Schwabmünchen Auf dem Werkstatthof steht ein Toiletten-Geysir. Ein Toiletten-Geysir? „Ein Leuchtturm mit Kloschüssel, der oben Wasser herausspritzt“, erklärt Otto Grothe und zeigt auf das drei Meter hohe Holz-Konstrukt, als handele es sich um einen alltäglichen Gegenstand. Grothe leitet das Deko-Team des Singoldsand-Festivals, seit es 2011 zum ersten Mal gefeiert wurde.
Damit ist er nicht nur der Kopf hinter Toiletten-Geysiren und feuerspeienden Elektro-Schlagzeugen, sondern er ist für das ganze Gestaltungskonzept des Festivals verantwortlich. Normalerweise wuselt Grothe mit einem Team von 80 Helferinnen und Helfern auf dem Werkstatthof herum. Heuer ist jedoch alles ein wenig anders.
Coronabedingt sind in seinem Team nur etwa 40 bis 60 Freiwillige im Einsatz. Auch die Planung lief anders als sonst: „Wir organisieren die Deko mindestens ein Dreivierteljahr im Voraus“, sagt Grothe. „Dieses Jahr mussten wir uns aber bis zum Schluss zurückhalten, weil nicht klar war, wie genau das Festival stattfinden wird.“
Architekt Roland Miller unterstützt ihn bei der Leitung des DekoTeams. Anfang August, als Grothe und Miller den Werkstatthof nach einem Jahr Pause wieder betraten, mussten sie erst mal die Werkstatt und das Materiallager wieder fit machen. „Wir haben uns deshalb entschieden, die Gestaltung einfach spontan anzugehen.“Das bedeutet für den Kulturgeschichtsstudenten Grothe: auf Bestände zurückgreifen und ein paar wenige neue Sachen schaffen, auch aus der alten Deko.
Einiges davon lässt sich im „Labor“begutachten, wie die Planer den Teil der Werkstatt nennen, in dem Farben und Stoffe lagern. Zwischen Acrylfarbe, Wollfäden und einem provisorischen Deko-Büro steht in der Mitte des Raums ein Fahrkartenautomat. Bei dem Holznachbau kann man allerdings keine Fahrkarten kaufen, sondern über den Bildschirm ein Bier an der Bar bestellen.
Grothe und Miller erklären, dass es ihnen bei der Arbeit weniger darum geht, einfach Dekoration auf dem Festivalgelände zu platzieren, als vielmehr darum, „interaktive Räume und Inseln“für die Festivalgäste zu schaffen. Beispiel Fahrkartenautomaten. „Feiern heißt Freiheit. Bei uns ist die Deko nicht geradlinig, es soll Lerneffekte und Abenteuer geben“, erklärt Grothe. „Das Festivalgelände lebt von Bewegung und Leuten, die Dinge entdecken und erfahren können.“
Da Bewegung und Interaktion aufgrund der aktuellen Hygienevorschriften schwierig sind, haben sich die beiden entschieden, den Fokus bei der Gestaltung dieses Jahr „auf die Luft“zu setzen. Das bedeutet: Auf dem Bauermarkt sind Fahnenmasten verteilt, die durch große, bunte Stoff-Wimpel verbunden sind.
Dass es heuer drei Bühnen anstelle von nur einer gibt, findet Grothe
Fluch und Segen zugleich. „Natürlich kompliziert das vieles bei der Planung. Aber die drei Gelände sind schön mit viel Grün, Höhenunterschieden und der Singold dazwischen. Das kommt uns entgegen.“
Egal, was Grothe in die Hände fällt - er weiß mit allem etwas anzufangen. „Ohne Holz- oder Sachspenden wäre das alles nicht möglich“, sagt er. „Uns macht es nicht nur Freude, mit der Ware zu arbeiten, die wir von Unterstützern bekommen. Wir nutzen auch Sachen, an die wir durch Zufall herankommen und die für andere Müll sind.“
Alte Styroporplatten, ein Haufen Papptonnen und von Zeit zu Zeit ein Ausflug zum Wertstoffhof. Die Philosophie des Dekoteams lautet: Mit möglichst wenig Neuware arbeiten, gesammelte Materialien aufpolieren, weiterentwickeln und verbessern. „Wenn wir mal etwas wegschmeißen, ist es am untersten Ende der Kette angelangt“, sagt Grothe. Eine Rolle spielt aber auch, dass dem Deko-Team nur etwa drei Prozent des gesamten Festivalbudgets zur Verfügung stehen.
Welches Deko-Konzept ihm aus zehn Jahren Singoldsand-Historie besonders in Erinnerung geblieben ist, könne er nicht genau sagen. Da gab es 2018 zum Beispiel eine Bühne in Dschungelruinen-Optik samt Flammenwerfern. 2019 gab es drei kleine, aber volleingerichtete Läden, in denen sich die Besucherinnen und Besucher austoben durften - einer davon war ein Friseursalon. „Da kamen einige verunstaltet heraus“, erinnert sich Grothe.
Momentan werkeln Grothe und sein Team an digitalen Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft. Schon bei den vergangenen Festivals gab es alte, verkabelte Telefone auf dem Gelände, mit denen Gäste untereinander telefonieren konnten. Dieses Jahr sollen sie über ein WLAN-Netzwerk miteinander verbunden werden. Das soll dann auch künftig für spielerische Video- und Datenübertragungen genutzt werden. Auf dem Werkstatthof warten außerdem bunt bemalte Holzboxen auf ihren Einsatz. Der ToilettenGeysir ist heuer übrigens auch wieder mit dabei.