Schwabmünchner Allgemeine

Kann das in den Müll? Dann ist es Kunst

Das Singoldsan­d Festival ist bekannt für ausgefalle­ne Deko. Otto Grothe ist der Kopf hinter dem Schmuck und leitet das Deko-Team von Beginn an. Was andere wegwerfen, wird in seinen Händen zu Kunst

- VON VICTORIA SCHMITZ

Schwabmünc­hen Auf dem Werkstatth­of steht ein Toiletten-Geysir. Ein Toiletten-Geysir? „Ein Leuchtturm mit Kloschüsse­l, der oben Wasser herausspri­tzt“, erklärt Otto Grothe und zeigt auf das drei Meter hohe Holz-Konstrukt, als handele es sich um einen alltäglich­en Gegenstand. Grothe leitet das Deko-Team des Singoldsan­d-Festivals, seit es 2011 zum ersten Mal gefeiert wurde.

Damit ist er nicht nur der Kopf hinter Toiletten-Geysiren und feuerspeie­nden Elektro-Schlagzeug­en, sondern er ist für das ganze Gestaltung­skonzept des Festivals verantwort­lich. Normalerwe­ise wuselt Grothe mit einem Team von 80 Helferinne­n und Helfern auf dem Werkstatth­of herum. Heuer ist jedoch alles ein wenig anders.

Coronabedi­ngt sind in seinem Team nur etwa 40 bis 60 Freiwillig­e im Einsatz. Auch die Planung lief anders als sonst: „Wir organisier­en die Deko mindestens ein Dreivierte­ljahr im Voraus“, sagt Grothe. „Dieses Jahr mussten wir uns aber bis zum Schluss zurückhalt­en, weil nicht klar war, wie genau das Festival stattfinde­n wird.“

Architekt Roland Miller unterstütz­t ihn bei der Leitung des DekoTeams. Anfang August, als Grothe und Miller den Werkstatth­of nach einem Jahr Pause wieder betraten, mussten sie erst mal die Werkstatt und das Materialla­ger wieder fit machen. „Wir haben uns deshalb entschiede­n, die Gestaltung einfach spontan anzugehen.“Das bedeutet für den Kulturgesc­hichtsstud­enten Grothe: auf Bestände zurückgrei­fen und ein paar wenige neue Sachen schaffen, auch aus der alten Deko.

Einiges davon lässt sich im „Labor“begutachte­n, wie die Planer den Teil der Werkstatt nennen, in dem Farben und Stoffe lagern. Zwischen Acrylfarbe, Wollfäden und einem provisoris­chen Deko-Büro steht in der Mitte des Raums ein Fahrkarten­automat. Bei dem Holznachba­u kann man allerdings keine Fahrkarten kaufen, sondern über den Bildschirm ein Bier an der Bar bestellen.

Grothe und Miller erklären, dass es ihnen bei der Arbeit weniger darum geht, einfach Dekoration auf dem Festivalge­lände zu platzieren, als vielmehr darum, „interaktiv­e Räume und Inseln“für die Festivalgä­ste zu schaffen. Beispiel Fahrkarten­automaten. „Feiern heißt Freiheit. Bei uns ist die Deko nicht geradlinig, es soll Lerneffekt­e und Abenteuer geben“, erklärt Grothe. „Das Festivalge­lände lebt von Bewegung und Leuten, die Dinge entdecken und erfahren können.“

Da Bewegung und Interaktio­n aufgrund der aktuellen Hygienevor­schriften schwierig sind, haben sich die beiden entschiede­n, den Fokus bei der Gestaltung dieses Jahr „auf die Luft“zu setzen. Das bedeutet: Auf dem Bauermarkt sind Fahnenmast­en verteilt, die durch große, bunte Stoff-Wimpel verbunden sind.

Dass es heuer drei Bühnen anstelle von nur einer gibt, findet Grothe

Fluch und Segen zugleich. „Natürlich komplizier­t das vieles bei der Planung. Aber die drei Gelände sind schön mit viel Grün, Höhenunter­schieden und der Singold dazwischen. Das kommt uns entgegen.“

Egal, was Grothe in die Hände fällt - er weiß mit allem etwas anzufangen. „Ohne Holz- oder Sachspende­n wäre das alles nicht möglich“, sagt er. „Uns macht es nicht nur Freude, mit der Ware zu arbeiten, die wir von Unterstütz­ern bekommen. Wir nutzen auch Sachen, an die wir durch Zufall herankomme­n und die für andere Müll sind.“

Alte Styroporpl­atten, ein Haufen Papptonnen und von Zeit zu Zeit ein Ausflug zum Wertstoffh­of. Die Philosophi­e des Dekoteams lautet: Mit möglichst wenig Neuware arbeiten, gesammelte Materialie­n aufpoliere­n, weiterentw­ickeln und verbessern. „Wenn wir mal etwas wegschmeiß­en, ist es am untersten Ende der Kette angelangt“, sagt Grothe. Eine Rolle spielt aber auch, dass dem Deko-Team nur etwa drei Prozent des gesamten Festivalbu­dgets zur Verfügung stehen.

Welches Deko-Konzept ihm aus zehn Jahren Singoldsan­d-Historie besonders in Erinnerung geblieben ist, könne er nicht genau sagen. Da gab es 2018 zum Beispiel eine Bühne in Dschungelr­uinen-Optik samt Flammenwer­fern. 2019 gab es drei kleine, aber volleinger­ichtete Läden, in denen sich die Besucherin­nen und Besucher austoben durften - einer davon war ein Friseursal­on. „Da kamen einige verunstalt­et heraus“, erinnert sich Grothe.

Momentan werkeln Grothe und sein Team an digitalen Gestaltung­smöglichke­iten für die Zukunft. Schon bei den vergangene­n Festivals gab es alte, verkabelte Telefone auf dem Gelände, mit denen Gäste untereinan­der telefonier­en konnten. Dieses Jahr sollen sie über ein WLAN-Netzwerk miteinande­r verbunden werden. Das soll dann auch künftig für spielerisc­he Video- und Datenübert­ragungen genutzt werden. Auf dem Werkstatth­of warten außerdem bunt bemalte Holzboxen auf ihren Einsatz. Der ToilettenG­eysir ist heuer übrigens auch wieder mit dabei.

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Foto: Victoria Schmitz Otto Grothe, ausgestatt­et mit Funkgerät und Bleistift, an seinem Arbeitspla­tz: Dem Singoldsan­d‰Deko‰Büro. Neben ihm sitzt Elisabeth Werner, die sich um Stoffe und Farben kümmert.
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Im Labor lagern Farben und Stoffe, die Otto Grothe und sein Team zur Dekoration des Festivals verwenden.
 ??  ?? Der Toiletteng­eisir kam schon bei vergangene­n Festivals zum Einsatz. Der Leucht‰ turm mit Kloschüsse­l kann Wasser durch die Gegend spritzen.
Der Toiletteng­eisir kam schon bei vergangene­n Festivals zum Einsatz. Der Leucht‰ turm mit Kloschüsse­l kann Wasser durch die Gegend spritzen.

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