Jung und krebskrank. Und dann noch Pandemie
Die Diagnose einer Tumorerkrankung trifft Menschen in jedem Alter hart. Doch junge Erwachsene stehen vor anderen Problemen als Ältere. Zumal die Pandemie die Situation oft erschwert. Zwei Betroffene berichten
Augsburg Auf beiden Augen ist er zur Hälfte erblindet. Hinzu kommt eine Gesichtsfeldeinschränkung: „Alles, was links ist, sehe ich nicht.“Auch mit seinem Gedächtnis kämpft er immer wieder. „Gerade mein Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht immer so, wie es soll.“Der junge Mann ist 21. Acht Jahre war er alt, als bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert wurde. Ein Gangliogliom. Eigentlich ein gutartiger Tumor, der vor allem vollständig entfernt werden muss. Doch der junge Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kämpft bis heute mit großen Problemen. Die Diagnose eines komplizierten Tumors oder einer Krebserkrankung ist in jedem Alter eine Zäsur. Gerade junge Erwachsene stehen aber vor besonderen Herausforderungen, sagt Nadja Lang von der Augsburger Krebsberatungsstelle. Die jungen Leute wollen durchstarten. Privat und beruflich. Viele haben kleine Kinder. Und plötzlich bricht die eigene Welt zusammen.
Corona kommt erschwerend hinzu, hat Lang beobachtet: „Zwar liefen die Behandlungen in der Regel trotz Corona weiter“, sagt die 34-Jährige. „Aber die Angst, sich auch noch anzustecken, ist bisweilen riesig und führt nicht selten die ganze Familie an ihre Belastungsgrenze.“Tragische Geschichten haben sich, wie Lang erzählt, vor allem in Krankenhäusern abgespielt, als die Besuche so stark eingeschränkt wurden, „das setzte vielen Patienten extrem zu“.
Doch mit welchen Nöten kommen nun gerade junge Krebspatientinnen und Krebspatienten in die Beratungsstelle? „Sehr viele kommen mit finanziellen Fragen und Sorgen zu uns“, sagt Lang. Da sitzt dann die völlig erschöpfte junge Mutter in der Beratung und weiß nicht mehr, wie es weitergeht, wie sie das alles schaffen soll. Da sitzt der junge Familienvater in der Beratung, der bisher der finanzielle Alleinversorger war und das beim besten Willen nicht mehr schafft. Schließlich kämpfen viele Betroffene jeden Alters neben anderen Einschränkungen auch mit Fatigue, dieser tiefen Erschöpfung, die oft Arbeiten unmöglich macht. „Junge Menschen wollen in der Regel so schnell wie möglich zurück in den Beruf“, sagt Lang, „weil sie einfach glauben, dass sie müssen.“Aber so wichtig die Arbeit für viele ist, nicht nur des Geldes wegen, auch weil der soziale Kontakt gut tut, „viele gehen zu früh, weil der Druck als zu groß empfunden wird“. Das sieht Lang kritisch. Denn sie hat die Erfahrung gemacht, dass viele nach der Diagnose oft sogar Jahre brauchen, um wieder auf die Füße zu kommen.
Doch die Sorge um den Beruf ist nicht das einzige Problem, das gerade junge Krebspatienten umtreibt. Es gibt noch ein anderes Thema, sagt Lang. Eines, worüber nur ungern gesprochen wird: die Todesangst. Während die Altersgenossen sich treffen, feiern, Karriere machen, ihr Leben genießen, ist bei jungen Krebspatientinnen und Krebspatienten plötzlich der eigene Tod im Kopf. Das verändere Menschen. „Das Unbedarfte, das Leichte geht dann oft sehr früh verloren.“
Von einem Tag auf den anderen sei sie erwachsen geworden, sagt eine 33-Jährige: „War ich noch vor kurzem die kleine Tochter meiner Eltern, musste ich plötzlich existenzielle Fragen entscheiden. Und zwar alleine und sofort.“Es war der Abend des 30. Dezember 2019, als die junge Frau, die auch nur anonym von ihren Erfahrungen berichten will, im Uniklinikum Augsburg eine Diagnose erhielt, die ihr Leben für immer veränderte: Leukämie. „Das war so ein Schock. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt sie. „Und plötzlich weißt du nicht mehr, ob du die nächsten zwei Wochen überlebst, du wirst von einen Tag auf den anderen aus deinem Leben gerissen.“Ein kaum zu beschreibendes Gefühl sei das.
Was folgte, waren Monate in der Klinik, in denen sie nur immer wieder phasenweise nach Hause durfte. „Ohne meinen Freund hätte ich das nicht durchgestanden“, sagt sie. Bitter seien vor allem die Wochen auf der Intensivstation gewesen, in einer Zeit, als aufgrund von Corona niemand sie besuchen durfte. „Da hilft dir kein Telefon, weil du viel zu schwach zum Sprechen bist. Da willst du nur, dass jemand bei dir ist, jemand, den du kennst.“Zumal sie, wie sie erzählt, die immer wieder auftretende Panik zu sterben nur im Gespräch mit ihrem Freund bewältigen kann. Auch heute noch. „Wenn ich allein bin, dreht sich das Gedankenkarussell immer weiter.“
Auch die Angst vor Ansteckung sei enorm gewesen, ergänzt sie. „Durch die Chemotherapie war mein Immunsystem praktisch nicht mehr vorhanden. Corona war für mich lebensbedrohend.“
Heute kann die junge Frau wieder arbeiten gehen, 20 Stunden in der Woche. Krebszellen finden sich bei ihr aktuell keine mehr. „Doch ich weiß natürlich, dass die Krankheit zurückkommen kann.“Die Ärzte haben ihr abgeraten, so schnell wieder beruflich einzusteigen. „Doch das war für mich eine Kopfsache. Ich musste mich wieder mit anderen Themen beschäftigen.“Die Arbeit tut ihr gut, erzählt sie. Und es habe sich auch etwas zum Positiven verändert: „Ich achte heute viel mehr auf mich“, sagt sie. „Ich höre auf meinen Körper. Früher dachte ich immer, das muss ich alles schaffen, und habe mich oft so reingestresst, das mache ich heute nicht mehr.“
„Man nimmt, wenn man so viel durchgemacht hat, nichts mehr für selbstverständlich“, sagt auch der junge Mann, der noch heute mit den Folgen eines Hirntumors kämpft. Gleichwohl, so erzählt er, ist diese Unsicherheit, wie es weitergeht, ob man überhaupt eine Zukunft hat, in jungen Jahren nur sehr schwer auszuhalten. Der Kontakt mit anderen jungen Krebspatienten etwa in der Selbsthilfegruppe, die auch die Augsburger Beratungsstelle anbietet, helfe da schon, „weil es ein sachlicher Austausch ist, da weiß jeder, wovon der andere spricht“.
Der 21-Jährige leidet außerdem an einer Autismus-Spektrum-Störung. Sie habe sich aus seiner Sicht infolge der Trauma-Erfahrung verstärkt. Kurzfristig sei vor einigen Monaten sogar zu befürchten gewesen, erzählt er, dass sich bösartiges Gewebe in seinem Gehirn gebildet habe. „Da wusste ich wirklich nicht mehr weiter“, sagt er und gibt ehrlich zu, dass auch Gedanken an einen Selbstmord vorübergehend da waren. Doch er gibt nicht auf, obwohl auch die Suche nach medizinischen Experten gerade für seine spezielle Erkrankung alles andere als leicht sei. Der nächste Kontrolltermin ist jetzt im September. Es ist ein ständiges Hoffen und Bangen um das eigene Leben. Ein extrem belastender Zustand. Zumal sich der junge Mann als einen Menschen beschreibt, der sehr sicherheitsbedürftig ist. „Daher hilft mir alles, was mir Sicherheit gibt, vor allem die Mathematik.“Logische, klare Berechnungen also. Trotz seiner Einschränkungen hat er das Abitur bestanden und studiert Informatik.
Da er sehr geschwächt aufgrund seiner Erkrankung ist, bildet Corona für ihn eine große Gefahr. Er verbindet mit der Pandemie aber auch die Hoffnung, dass andere Menschen sensibler mit chronisch Kranken umgehen. Schließlich führe die Pandemie dazu, dass mehr Menschen sich Gedanken um Gesundheitsthemen machen. „Vielen ist doch gar nicht bewusst, wie schnell man selbst schwer krank sein kann.“
Ein Telefon hilft auf der Intensivstation wenig
OHilfe Die Psychosoziale Krebsbera tungsstelle Augsburg der Bayerischen Krebs gesell schafte. V. ist telefonisch unter 0821/9079190 oder EMail: kbs augsburg@ bayerische krebs gesell schaft.de zu erreichen. Dort wird auch eine Fatigue Sprechstunde angeboten und eine Selbsthilfe gruppe für junge Erwachsene. Weitere Informationen fin den sich im Internet unter www.bayeri schekrebsgesellschaft.de