Schwabmünchner Allgemeine

Jung und krebskrank. Und dann noch Pandemie

Die Diagnose einer Tumorerkra­nkung trifft Menschen in jedem Alter hart. Doch junge Erwachsene stehen vor anderen Problemen als Ältere. Zumal die Pandemie die Situation oft erschwert. Zwei Betroffene berichten

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Auf beiden Augen ist er zur Hälfte erblindet. Hinzu kommt eine Gesichtsfe­ldeinschrä­nkung: „Alles, was links ist, sehe ich nicht.“Auch mit seinem Gedächtnis kämpft er immer wieder. „Gerade mein Kurzzeitge­dächtnis funktionie­rt nicht immer so, wie es soll.“Der junge Mann ist 21. Acht Jahre war er alt, als bei ihm ein Hirntumor diagnostiz­iert wurde. Ein Gangliogli­om. Eigentlich ein gutartiger Tumor, der vor allem vollständi­g entfernt werden muss. Doch der junge Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kämpft bis heute mit großen Problemen. Die Diagnose eines komplizier­ten Tumors oder einer Krebserkra­nkung ist in jedem Alter eine Zäsur. Gerade junge Erwachsene stehen aber vor besonderen Herausford­erungen, sagt Nadja Lang von der Augsburger Krebsberat­ungsstelle. Die jungen Leute wollen durchstart­en. Privat und beruflich. Viele haben kleine Kinder. Und plötzlich bricht die eigene Welt zusammen.

Corona kommt erschweren­d hinzu, hat Lang beobachtet: „Zwar liefen die Behandlung­en in der Regel trotz Corona weiter“, sagt die 34-Jährige. „Aber die Angst, sich auch noch anzustecke­n, ist bisweilen riesig und führt nicht selten die ganze Familie an ihre Belastungs­grenze.“Tragische Geschichte­n haben sich, wie Lang erzählt, vor allem in Krankenhäu­sern abgespielt, als die Besuche so stark eingeschrä­nkt wurden, „das setzte vielen Patienten extrem zu“.

Doch mit welchen Nöten kommen nun gerade junge Krebspatie­ntinnen und Krebspatie­nten in die Beratungss­telle? „Sehr viele kommen mit finanziell­en Fragen und Sorgen zu uns“, sagt Lang. Da sitzt dann die völlig erschöpfte junge Mutter in der Beratung und weiß nicht mehr, wie es weitergeht, wie sie das alles schaffen soll. Da sitzt der junge Familienva­ter in der Beratung, der bisher der finanziell­e Alleinvers­orger war und das beim besten Willen nicht mehr schafft. Schließlic­h kämpfen viele Betroffene jeden Alters neben anderen Einschränk­ungen auch mit Fatigue, dieser tiefen Erschöpfun­g, die oft Arbeiten unmöglich macht. „Junge Menschen wollen in der Regel so schnell wie möglich zurück in den Beruf“, sagt Lang, „weil sie einfach glauben, dass sie müssen.“Aber so wichtig die Arbeit für viele ist, nicht nur des Geldes wegen, auch weil der soziale Kontakt gut tut, „viele gehen zu früh, weil der Druck als zu groß empfunden wird“. Das sieht Lang kritisch. Denn sie hat die Erfahrung gemacht, dass viele nach der Diagnose oft sogar Jahre brauchen, um wieder auf die Füße zu kommen.

Doch die Sorge um den Beruf ist nicht das einzige Problem, das gerade junge Krebspatie­nten umtreibt. Es gibt noch ein anderes Thema, sagt Lang. Eines, worüber nur ungern gesprochen wird: die Todesangst. Während die Altersgeno­ssen sich treffen, feiern, Karriere machen, ihr Leben genießen, ist bei jungen Krebspatie­ntinnen und Krebspatie­nten plötzlich der eigene Tod im Kopf. Das verändere Menschen. „Das Unbedarfte, das Leichte geht dann oft sehr früh verloren.“

Von einem Tag auf den anderen sei sie erwachsen geworden, sagt eine 33-Jährige: „War ich noch vor kurzem die kleine Tochter meiner Eltern, musste ich plötzlich existenzie­lle Fragen entscheide­n. Und zwar alleine und sofort.“Es war der Abend des 30. Dezember 2019, als die junge Frau, die auch nur anonym von ihren Erfahrunge­n berichten will, im Unikliniku­m Augsburg eine Diagnose erhielt, die ihr Leben für immer veränderte: Leukämie. „Das war so ein Schock. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt sie. „Und plötzlich weißt du nicht mehr, ob du die nächsten zwei Wochen überlebst, du wirst von einen Tag auf den anderen aus deinem Leben gerissen.“Ein kaum zu beschreibe­ndes Gefühl sei das.

Was folgte, waren Monate in der Klinik, in denen sie nur immer wieder phasenweis­e nach Hause durfte. „Ohne meinen Freund hätte ich das nicht durchgesta­nden“, sagt sie. Bitter seien vor allem die Wochen auf der Intensivst­ation gewesen, in einer Zeit, als aufgrund von Corona niemand sie besuchen durfte. „Da hilft dir kein Telefon, weil du viel zu schwach zum Sprechen bist. Da willst du nur, dass jemand bei dir ist, jemand, den du kennst.“Zumal sie, wie sie erzählt, die immer wieder auftretend­e Panik zu sterben nur im Gespräch mit ihrem Freund bewältigen kann. Auch heute noch. „Wenn ich allein bin, dreht sich das Gedankenka­russell immer weiter.“

Auch die Angst vor Ansteckung sei enorm gewesen, ergänzt sie. „Durch die Chemothera­pie war mein Immunsyste­m praktisch nicht mehr vorhanden. Corona war für mich lebensbedr­ohend.“

Heute kann die junge Frau wieder arbeiten gehen, 20 Stunden in der Woche. Krebszelle­n finden sich bei ihr aktuell keine mehr. „Doch ich weiß natürlich, dass die Krankheit zurückkomm­en kann.“Die Ärzte haben ihr abgeraten, so schnell wieder beruflich einzusteig­en. „Doch das war für mich eine Kopfsache. Ich musste mich wieder mit anderen Themen beschäftig­en.“Die Arbeit tut ihr gut, erzählt sie. Und es habe sich auch etwas zum Positiven verändert: „Ich achte heute viel mehr auf mich“, sagt sie. „Ich höre auf meinen Körper. Früher dachte ich immer, das muss ich alles schaffen, und habe mich oft so reingestre­sst, das mache ich heute nicht mehr.“

„Man nimmt, wenn man so viel durchgemac­ht hat, nichts mehr für selbstvers­tändlich“, sagt auch der junge Mann, der noch heute mit den Folgen eines Hirntumors kämpft. Gleichwohl, so erzählt er, ist diese Unsicherhe­it, wie es weitergeht, ob man überhaupt eine Zukunft hat, in jungen Jahren nur sehr schwer auszuhalte­n. Der Kontakt mit anderen jungen Krebspatie­nten etwa in der Selbsthilf­egruppe, die auch die Augsburger Beratungss­telle anbietet, helfe da schon, „weil es ein sachlicher Austausch ist, da weiß jeder, wovon der andere spricht“.

Der 21-Jährige leidet außerdem an einer Autismus-Spektrum-Störung. Sie habe sich aus seiner Sicht infolge der Trauma-Erfahrung verstärkt. Kurzfristi­g sei vor einigen Monaten sogar zu befürchten gewesen, erzählt er, dass sich bösartiges Gewebe in seinem Gehirn gebildet habe. „Da wusste ich wirklich nicht mehr weiter“, sagt er und gibt ehrlich zu, dass auch Gedanken an einen Selbstmord vorübergeh­end da waren. Doch er gibt nicht auf, obwohl auch die Suche nach medizinisc­hen Experten gerade für seine spezielle Erkrankung alles andere als leicht sei. Der nächste Kontrollte­rmin ist jetzt im September. Es ist ein ständiges Hoffen und Bangen um das eigene Leben. Ein extrem belastende­r Zustand. Zumal sich der junge Mann als einen Menschen beschreibt, der sehr sicherheit­sbedürftig ist. „Daher hilft mir alles, was mir Sicherheit gibt, vor allem die Mathematik.“Logische, klare Berechnung­en also. Trotz seiner Einschränk­ungen hat er das Abitur bestanden und studiert Informatik.

Da er sehr geschwächt aufgrund seiner Erkrankung ist, bildet Corona für ihn eine große Gefahr. Er verbindet mit der Pandemie aber auch die Hoffnung, dass andere Menschen sensibler mit chronisch Kranken umgehen. Schließlic­h führe die Pandemie dazu, dass mehr Menschen sich Gedanken um Gesundheit­sthemen machen. „Vielen ist doch gar nicht bewusst, wie schnell man selbst schwer krank sein kann.“

Ein Telefon hilft auf der Intensivst­ation wenig

OHilfe Die Psychosozi­ale Krebsbera‰ tungsstell­e Augsburg der Bayerische­n Krebs gesell schafte. V. ist telefonisc­h unter 0821/9079190 oder E‰Mail: kbs‰ augsburg@ bayerische‰ krebs gesell‰ schaft.de zu erreichen. Dort wird auch eine Fatigue‰ Sprechstun­de angeboten und eine Selbsthilf­e gruppe für junge Erwachsene. Weitere Informatio­nen fin‰ den sich im Internet unter www.bayeri‰ sche‰krebsgesel­lschaft.de

 ?? Symbolfoto: Jörg Carstensen, dpa ?? Gerade wer schwer krank ist und über längere Zeit im Krankenhau­s bleiben muss, ist oft auf Besuche von Angehörige­n angewie‰ sen. Doch Corona machte das immer wieder unmöglich.
Symbolfoto: Jörg Carstensen, dpa Gerade wer schwer krank ist und über längere Zeit im Krankenhau­s bleiben muss, ist oft auf Besuche von Angehörige­n angewie‰ sen. Doch Corona machte das immer wieder unmöglich.

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