Bayern, ein Sonnenland?
Um die Energiewende zu meistern, will die Staatsregierung die Erzeugung von Wärme und Strom durch Solarenergie voranbringen. Kritiker beklagen, die Ziele seien zu niedrig gesteckt. Sie fordern: Es muss viel mehr passieren / Folge 4
In seiner jüngsten Regierungserklärung hat Ministerpräsident Markus Söder sich eindeutig zum „vorsorgenden Klimaschutz“bekannt. Bayern soll schon 2040, also fünf Jahre früher als Deutschland, klimaneutral werden. In einer Serie von Artikeln beleuchtet unsere Redaktion die wichtigsten Aspekte des Themas einzeln. Heute geht es um den Ausbau von Photovoltaik.
München Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wählt deutliche Worte, um die Menschen im Freistaat auf mehr Klimaschutz einzustimmen: „Bayern ist im Klimastress. Wir stehen an der Schwelle epochaler Veränderungen. Wir müssen noch einen Zahn zulegen.“Einen drauflegen, die Anstrengungen verstärken, mehr in den Klimaschutz investieren also, fordert Söder. Was will er nun konkret unternehmen?
In Sachen Energiewende jedenfalls – ohne die Klimaschutz nicht gelingen kann, da sind sich Wissenschaft und Politik einig – hat die Staatsregierung genaue Vorstellungen, was zu tun ist. Vor allem, wenn es um den Ausbau von Photovoltaik (PV) geht – Anlagen, die mithilfe von Sonnenenergie Strom erzeugen können.
Söders Plan sieht folgendermaßen aus: Staatliche Dächer sollen mithilfe von Bürgerfonds mit viermal so viel Solarflächen versehen werden. Bislang sind es 340 Gebäude, Söder will 1300. „Daneben ist unser Ziel, doppelt so viele private Dächer wie bisher zu fördern.“Auf Bundesebene will sich Söder zudem für eine Solarpflicht auch für Neubauten starkmachen – auf eine bayerische Lösung hatte sich der Ministerpräsident mit seinem Koalitionspartner, den Freien Wählern, nicht einigen können. Darüber hinaus will sich die Staatsregierung überall für Photovoltaik einsetzen, wo dies möglich ist: bei normalen Gebäuden, aber auch an Verkehrswegen wie Autobahnen, auf Fahrbahnen, an Lärmschutzwänden oder auf Einhausungen, so Söder. „Bayern ist Sonnenland, und Bayern baut seinen Vorsprung bei der Sonnenenergie aus. Das ist unsere Stärke, hierin liegen unsere besonderen Möglichkeiten.“
Der Plan der Staatsregierung klingt zunächst recht konkret. Doch wie realistisch ist er tatsächlich, und reicht er aus, um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen? Fragen, mit denen sich auch Andreas Henze vom Solarverband Bayern – dem Dachverband der Solarvereine, Solarbetreiber, Solarfirmen und der Solarindustrie – intensiv auseinandersetzt und deshalb eine Einschätzung zum angestrebten Photovoltaik-Ausbau der Staatsregierung geben kann. Sein Fazit: „All diese Vorschläge sind grundsätzlich ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber wenn wir auf erneuerbare Energien umstellen wollen, um die Erderwärmung zu bremsen, ist das viel zu wenig.
Es muss mehr passieren“, sagt er und verdeutlicht seine Forderung mit einem Beispiel: „Wir nutzen in Bayern und in Deutschland aktuell nur einen Bruchteil der möglichen Flächen für PV-Anlagen. Ich schätze nur etwa ein Sechstel bis ein Achtel von dem, was wir tatsächlich brauchen, um die Energiewende zu schaffen. Klar ist aber: Das Potenzial in Bayern ist da.“Darin ist sich Andreas Henze mit Markus Söder einig, und er legt sogar noch eins drauf: „Photovoltaik ist die günstigste Form der Stromerzeugung überhaupt. Eine schnelle Energiewende ist die günstigste Möglichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, da Schäden in immenser Höhe drohen.“
Als Vertreter seines Dachverbands formuliert Henze eigene Vorstellungen, was in Sachen Photovoltaik-Ausbau passieren müsste „Aktuell schätzen wir, dass in Bayern nur zehn Prozent aller möglichen Dachflächen überhaupt genutzt werden. Unsere Ziele müssen aber viel ambitionierter sein.“Henze spricht von etwa 50 Prozent aller möglichen Flächen, um dem aktuellen Strombedarf gerecht zu werden. Von 100 Prozent sogar, um den zukünftigen Bedarf zu decken.
Was das Thema Solarpflicht für Neubauten angeht, erhebt Henze schwere Kritik gegenüber der Staatsregierung. „Diese Pflicht finden wir in jedem Fall richtig. Doch ich frage mich, warum die CSU, die die vergangenen 16 Jahre mit in der Bundesregierung war, das immer noch nicht umsetzen konnte. Und warum schafft es Herr Söder nicht, sich in seiner eigenen Koalition durchzusetzen, wenn es bei Corona doch auch immer geklappt hat?“
Kritik gegenüber der Staatsregierung äußert auch Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz der Grünen im Landtag: „Beim ersten Hören dieser ganzen Ankündigungen des Ministerpräsidenten denkt man: Das ist Fortschritt. Aber wenn man sich näher damit beschäftigt, entpuppt sich das Ganze als viel zu kleiner Schritt, wenn nicht sogar als Rückschritt.“Beispiel staatliche Dächer: Im Schnitt gebe es derzeit auf jedem 25. staatlichen Gebäude eine PV-Anlage. „Das ist lächerlich. Eigentlich bräuchten wir die auf jedem Dach.“
Stutzig wird Stümpfig auch, was die Förderung von privaten Dächern anbelangt. „Wir wissen ehrlich gesagt nicht, was Söder damit meint. Denn für private Anlagen gibt es überhaupt keine staatliche Förderung.“Die gleiche Auskunft gibt auch ein Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums: „Zentrales Instrument der Förderung von Photovoltaik-Anlagen ist das bundesweit geltende Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Eine Förderung auf Länderebene neben dem EEG ist aus rechtlichen Gründen nur in engen Grenzen möglich.“Er verweist jedoch auf ein bayerisches Programm, mit dem die Installation eines neuen Stromspeichers in Verbindung mit einer neuen PV-Anlage mit 500 bis 3200 Euro gefördert wird.
Für die Grünen-Fraktion ist dennoch eines klar: Die Staatsregierung bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, sagt Stümpfig und stellt deshalb eigene Forderungen auf. „Wenn es nach uns ginge, würden wir zum Beispiel in Bayern bis 2030 die bisher installierte Leistung, das sind etwa 14 Gigawatt, vervierfachen auf 50 Gigawatt.“Ähnlich wie in Baden-Württemberg setzen die Grünen auf eine Solarpflicht – das heißt Photovoltaik, aber auch Solarthermie, die Wärme produziert – für Neubauten sowie für sanierte Dächer, Parkplätze und an Lärmschutzwänden. Freiflächen sind für die Grünen ein ebenfalls wichtiger Faktor. „Auf Bundesebene wollen wir uns aber dafür einsetzen, dass die Förderung entrümpelt und entbürokratisiert wird. Unsere Forderung an die neue Bundesregierung ist: Das muss alles viel, viel einfacher gehen.“
Eine lange Liste an Forderungen hat auch Andreas Henze vom Solarverband Bayern: „Der Freistaat sollte mit geschwellter Brust vorangehen und alle staatlichen Gebäude – wo möglich – mit PV-Anlagen decken lassen.“Solarparks und PVFreiflächen sollten schneller genehmigt werden. Die Solarpflicht für Neubauten muss kommen. Und auch die Einspeise-Vergütungen müssen verbessert werden. „In den vergangenen 24 Monaten beispielsweise sind diese um über 30 Prozent gesunken.“Gleichzeitig seien die Einkaufspreise angestiegen. Damit seien die Einnahmen aller PV-Anlagen deutlich gesunken und ihre Wirtschaftlichkeit gefährdet.
„Das sind eine Menge Hürden, die wir da sehen“, sagt Andreas Henze. „Dabei müsste der Anreiz für die Bevölkerung doch so eindeutig sein, dass klar ist: Wer ein Dach hat, wäre doch blöd, keine PV-Anlage draufzumachen.“Deutschland als Industrieland trage ohnehin schon einen großen Rucksack an CO2-Schuld und müsste deshalb noch entschiedener vorangehen, fordert Henze. „Andere Länder müssen sehen: Wenn Deutschland die Energiewende schafft, dann können wir das auch.“
GrünenPolitiker sagt: „Das ist lächerlich“