Sie geben Straßenhunden ein neues Zuhause
Marion Unger und Iris Kolbenschlag kümmern sich im Bärenkeller um Hunde aus Bosnien und Rumänien. Manche bleiben für immer bei ihnen, andere vermitteln sie an ausgesuchte Interessenten
Bei Marion Unger und Iris Kolbenschlag hätten Einbrecher sehr schlechte Karten. Das große Grundstück der Schwestern im Stadtteil Bärenkeller wird nicht nur von einem, sondern von gut 20 Hunden aller Größen bewacht. Und so ist die Klingel am Eingang kaum betätigt, als von der anderen Seite bereits mehrstimmiges Gebelle ertönt. Hier erwartet die Gäste geballte Frauenpower: Neben den beiden Hausherrinnen komplettieren drei Hündinnen das Begrüßungskomitee. Während die Zweibeiner ganz Coronakonform im ausreichenden Abstand voneinander Platz nehmen, gehen die Vierbeiner auf Kuschelkurs. Der kleine Pekinesenmix Tascha hüpft auf den Sitz neben dem Fotografen, während Herdenschutzhündin Paula ihre Schnauze mitten auf den Schreibblock legt.
So viel Zutrauen Fremden gegenüber ist nicht selbstverständlich. Schon gar nicht, wenn man weiß, was die Tiere vor ihrer Zeit am Gablinger Weg alles erlebt beziehungsweise erlitten haben. Die meisten der Hunde sind über Tierschutzorganisationen in Bosnien und Rumänien in den Bärenkeller gekommen. Davon wiederum hat das Gros dauerhaft ein neues Zuhause bei den Schwestern gefunden. „Das sind unsere Gnadenhofhunde, die wegen ihres Alters oder aus anderen Gründen nicht mehr vermittelt werden können“, sagt Unger. So wie Garo, der von seinem Zwingerdasein noch so traumatisiert ist, dass er sich nicht einmal ein Halsband anlegen lässt.
Die anderen Tiere verbringen nur eine gewisse Zeit im Bärenkeller, bevor sie zu Einzelpersonen oder in eine neue Familie vermittelt werden. Marion Unger legt Wert darauf, die Straßenhunde nicht direkt nach dem Transport aus Bosnien oder Rumänien weiterzugeben. Auch wenn sie bereits im Her
geimpft, gechipt und untersucht worden seien, wolle sie sich selbst in Ruhe ein Bild von deren Zustand machen und gegebenenfalls noch einen Tierarzt aufsuchen.
Bei den Vermittlungshunden handelt es sich nach Angaben der Augsburgerin in der Regel um jüngere Hunde. Welpen, die gerade von der Mutter getrennt wurden, gibt es bei ihr nicht. Aufgrund des notwendigen Mindestalters für die Tollwutimpfung, die noch im Herkunftsland erfolgen muss, seien ihre jüngsten Neuankömmlinge viereinhalb Monate alt. Dass „Ein Herz für Hundekinder“, der Name ihrer Einrichtung und ihres Trägervereins, manch Interessierte auf die falsche Fährte führt, ist Marion Unger bewusst. „Ich habe diesen Namen gewählt, weil die Hunde im Grunde genommen alle unsere Kinder sind“, sagt die 49-Jährige.
Die Tierliebe der Schwestern reicht weit in ihre Kindheit zurück: „Schon damals haben wir alles mit nach Hause gebracht, von der Maus bis zur Krähe.“Irgendwann holten sie sich einen Hund über eine Tierschutzorganisation. Der bekam dann bald Gesellschaft. Weil das Grundstück im Bärenkeller groß genug war, boten sie weitere Pflegekunftsland plätze an. Bis die Entscheidung fiel, mit „Ein Herz für Hundekinder“einen eigenen Verein zu gründen. „Wir wollen selbst entscheiden und wissen, wem wir unsere Hunde geben“, begründet Marion Unger, warum sie sich nicht einer bestehenden Organisation wie etwa dem Tierschutzverein Augsburg angeschlossen hat.
Während ein Teil der nicht vermittelbaren Hunde im Haus mit der Familie lebt, verteilen sich die anderen in verschiedenen Gruppen auf dem Grundstück. Mehrere kleine Gebäude, die während des Kriegs als einfache Unterkünfte dienten, wurden zu Hundehäusern mit Körbchen und Liegeplätzen umfunktioniert. Beim Füttern bevorzugen Unger und Kolbenschlag die Ernährungsmethode Barfen mit rohem Fleisch als Hauptbestandteil. Das Füttern, die Pflege und das Gassigehen stemmen die Schwestern überwiegend alleine - neben ihren Berufen. Kein Wunder, dass Marion Unger die Frage nach der Freizeit mit einem Kopfschütteln quittiert. Die Arbeit in einem Autohaus mache ihr nicht nur viel Spaß, sie sei auch nötig, um die Tierschutzeinrichtung finanzieren zu können. Denn allein mit Patenschaften, Mitgliedsbeiträgen und Schutzgebühren für die jährlich rund 120 bis 150 vermittelten Hunde sei das nicht zu schaffen.
Die gepflegten Unterkünfte und Freiflächen lassen keinen Zweifel offen, dass den beiden Frauen das Wohlergehen ihrer Hunde am Herzen liegt. Als sie die Gäste in einen Bereich mit rund zehn frei laufenden Tieren bitten, zeigt sich auch schnell, wie gut die Jungs und Mädels bei allem Bewegungsdrang auf sie hören. „Kira, Freddy, Charly, Pepper, Milla, Toni“, schallt es durch das Gehege. Meist stammen die Namen von Marion Unger und Iris Kolbenschlag. So auch der von Siggi, dem knapp fünf Monate alte Youngster. Der halbstarke Brackenmischling tollt übermütig mit seiner Clique herum, lässt sich aber wenige Sekunden später voller Zutrauen streicheln. Am liebsten würde ihn Unger zusammen mit seiner Mutter Milla vermitteln. Die ausgehungerte Hündin meint es noch immer so gut mit ihrem Nachwuchs, dass sie jede ihrer Mahlzeiten mit Siggi teilt. Auch wenn sich die Vereinsvorsitzende freut, wenn sie ein passendes Zuhause für ihre Schützlinge findet, leicht fällt ihr die Trennung nicht. „Manchmal fließen bei mir auch Tränen, aber erst, wenn die neuen Besitzer weg sind.“