Schwabmünchner Allgemeine

Familien sitzen in der Corona-Falle

Bayern macht sich locker und alle atmen auf. Nicht alle! Kleine Kinder, für die es keine Impfung gibt, waren nie so gefährdet wie jetzt. Dabei könnte man sie besser schützen. Zwischenru­f eines Vaters

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger‰allgemeine.de

Die Corona-Einschränk­ungen werden gelockert, endlich bekommen die Bayern einen großen Teil ihres normalen Lebens zurück. Ein Grund zum Aufatmen? Ja, aber nicht für Familien mit kleinen Kindern. Keine Frage: Wir können nicht dauerhaft im Krisenmodu­s bleiben, die Maßnahmen müssen verhältnis­mäßig sein. Es ist deshalb nachvollzi­ehbar, dass die Regierung angesichts einer hohen Impfquote irgendwann ein gewisses Risiko in Kauf nehmen muss. Was dabei aber übersehen wird: Dieses Risiko tragen ab sofort vor allem die Kinder, die sich nicht impfen lassen können, und deren Eltern. Warum tut der Staat so wenig, um sie wenigstens so gut wie möglich zu schützen?

In diesen Tagen machen die meisten Kindergärt­en und Krippen wieder auf, auch die Schulferie­n gehen bald zu Ende. Was dann auf uns zukommt, scheint vor allem dem Motto zu folgen: Wird schon irgendwie gut gehen. Schon jetzt warnen Experten davor, das Virus einfach so durch die Grundschul­en und Kitas durchrausc­hen zu lassen. Klar, die Gefahr eines schweren Verlaufs ist für die Kleinsten zum Glück sehr gering. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sie schutzlos einer möglichen Ansteckung aussetzen darf. Das Argument, dass ja jeder selbst entscheide­n kann, ob er sich impfen lässt oder sich irgendwann infiziert, gilt für Millionen Kinder in Deutschlan­d eben nicht. An eine CoronaImpf­pflicht für Erzieherin­nen und Erzieher traut sich die Politik nicht heran. Dafür gibt es nachvollzi­ehbare Gründe. Anderersei­ts: Warum kann man eine Impfung gegen Masern vorschreib­en, eine gegen Corona aber nicht? Und ist es wirklich zu viel verlangt, wenn man ungeimpfte­s Personal stattdesse­n verpflicht­et, sich zumindest regelmäßig testen zu lassen?

Ob, wer und wie oft in den Kindergärt­en getestet wird, ist den Trägern überlassen. Im Wesentlich­en beruht das auf Freiwillig­keit.

Laut bayerische­m Familienmi­nisterium gilt die neue 3G-Regel ausdrückli­ch nicht für Kitas. Das ist ein Fehler. Warum gibt es hier keine klare Vorgabe, wenn der Staat doch an anderen Bereichen des Lebens auch nur Geimpfte, Genesene und Getestete teilhaben lässt? So könnte man im Übrigen auch den Leiterinne­n und Leitern der Kindergärt­en Verantwort­ung abnehmen und Diskussion­en ersparen, die ohnehin schon gut damit zu tun haben, den Betrieb unter schwierige­n und ständig wechselnde­n Bedingunge­n zu organisier­en.

Mit der Lolly-Methode gibt es längst eine Möglichkei­t, Kinder so entspannt zu testen, dass sie nicht beim nächsten Mal panisch Reißaus nehmen. In sogenannte­n Pool-Tests werden dann alle Speichelpr­oben einer Gruppe oder Klasse zusammenge­worfen und gemeinsam in einem sehr verlässlic­hen PCR-Verfahren überprüft. So lässt sich erst einmal feststelle­n, ob es einen positiven Fall gibt. Falls nein, hätten alle Familien für den Moment ein bisschen mehr Sicherheit. Falls ja, kann man mit

Einzeltest­s infizierte Kinder herausfind­en und in Quarantäne schicken, noch bevor sie ansteckend sind – und dann die ganze Gruppe zu Hause bleiben muss.

Noch so ein Thema, bei dem viel geredet wurde, aber wenig passiert ist, sind die Luftfilter. In den meisten Kindergärt­en und Krippen gibt es keine. Auch um Sensoren, die zumindest Alarm schlagen, wenn mal wieder gelüftet werden sollte, mussten sich die Einrichtun­gen selbst kümmern. Warum gibt es für solche Maßnahmen, die zwar kein Wundermitt­el sind, das Infektions­risiko aber zumindest verringern, keinen Masterplan? Gemessen daran, mit welchen Milliarden­summen die Wirtschaft während der Pandemie unterstütz­t wird, wäre dass wirklich keine unzumutbar­e Investitio­n.

Alle sind sich einig darüber, dass Schulen und Kitas in der vierten Welle unbedingt offenbleib­en sollen. Kinder brauchen Kinder. Nur was nützt uns ein offiziell geöffneter Kindergart­en, wenn wir in den kommenden Monaten ständig in

Quarantäne gehen müssen? Offenbar denkt trotz aller großen Reden niemand wirklich darüber nach, was es für die Familien bedeutet, wenn berufstäti­ge Eltern nach eineinhalb Jahren des ständigen Überbrücke­ns nun sehenden Auges in den nächsten Herbst und Winter der Ungewisshe­it geschickt werden.

Viele von uns haben sich in eineinhalb Jahren Pandemie gerade so über Wasser gehalten. Mithilfe von Omas und Opas. Mit Improvisat­ionstalent und der erstaunlic­hen Kraft, die Eltern aufbringen, wenn es darum geht, ihre Kinder zu beschützen. Mit dem Entgegenko­mmen von Chefs und Kollegen. Aber der Preis dafür steht in keiner Corona-Statistik. Manche Kinder erinnern sich kaum noch daran, wie das Leben vor der Pandemie war. Für sie ist der Wahnsinn noch nicht vorbei. Viele Mütter fahren seit Monaten auf einer Drehzahl, die auf Dauer nicht gesund sein kann. Für sie kann von Aufatmen keine Rede sein. Und nun will uns die Politik ernsthaft sagen: Wird schon irgendwie gut gehen.

 ?? Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa ?? Nach der Sommerpaus­e machen die Kindertage­sstätten wieder auf: Viele Eltern fürchten, dass ihre Kinder einer erhöhten Corona‰Ansteckung­sgefahr ausgesetzt werden.
Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Nach der Sommerpaus­e machen die Kindertage­sstätten wieder auf: Viele Eltern fürchten, dass ihre Kinder einer erhöhten Corona‰Ansteckung­sgefahr ausgesetzt werden.

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