Schwabmünchner Allgemeine

Kanzlerin rückt von ihrem Vize ab

Angela Merkel greift in den Kampf um ihre Nachfolge ein, indem sie Olaf Scholz eine „Erbschleic­herei“nicht durchgehen lässt. Kann sie damit das Blatt für Armin Laschet wenden? Wie die Meinungsfo­rscher die Aussichten sehen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Es ist das ersehnte Zeichen, auf das CDU und CSU lange gewartet haben. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) greift in den Wahlkampf ein. Sie setzt an dem Schwachpun­kt an, den der in den Umfragen vorbeigezo­gene SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz der Union lässt: ein mögliches Bündnis aus SPD, Grünen und Linken. „Mit mir als Bundeskanz­lerin würde es nie eine Koalition geben, in der Die Linke beteiligt ist“, sagte Merkel. Und legte nach: „In dem Zusammenha­ng ist es einfach so, dass da ein gewaltiger Unterschie­d für die Zukunft Deutschlan­ds zwischen mir und ihm (Scholz) besteht.“

Merkel versucht damit, die „Erbfolge“wieder auf eine gerade Linie zu bringen. Denn Scholz kann den Wählerinne­n und Wählern bisher glaubhaft machen, dass er der beste Nachfolger der beliebten Kanzlerin ist, obwohl er einer anderen Partei angehört. Für eine Fotoserie im Magazin der formte der Finanzmini­ster mit seinen Fingern die berühmte MerkelRaut­e. Er gibt sich – ganz in ihrem Stile – stocknücht­ern, gelassen und vernünftig. Gefühle, so erscheint es,

Süddeutsch­en Zeitung

sind ihm fremd. „Erbschleic­herei“nannte das kürzlich CSU-Chef Markus Söder gallig. Die

erklärte ihren Lesern, dass es die Deutschen eben langweilig lieben.

Für Kanzlerkan­didat Armin Laschet ist es das größte Problem seiner schwächeln­den Wahlkampag­ne, dass er nicht als natürliche­r Kronprinz Merkels erscheint. Eigentlich, so war sein Plan, wollte er von Merkels Ansehen profitiere­n, einen Wahlkampf ohne Ecken und Kanten machen und auf diesem Ticket in das Kanzleramt fahren.

Weil der Plan bislang nicht aufgeht, arbeitet der Stab im KonradAden­auer-Haus nun daran, die Kanzlerin in den verbleiben­den knapp vier Wochen stärker einzubinde­n. Lücken im eng getakteten Terminplan der Regierungs­chefin werden gesucht. Heikel daran ist, dass sie den bisher glücklosen CDUVorsitz­enden nicht völlig überstrahl­en darf und ihm Raum zur Geltung lassen muss. Sonst droht der gegenteili­ge Effekt und Laschet erscheint noch schwächer. Im Feld der Kandidaten wäre die Amtsinhabe­rin mit großer Sicherheit die zugstärkst­e, aber weil sie nicht wieder antritt, hat Scholz – anders als die SPD-Männer

Times New York

vor ihm – eine wirkliche Chance. Angesichts neuer Umfragewer­te von 20 Prozent sind die Spitzen der Union froh darüber, dass sich Merkel noch einmal engagieren will, um das Blatt zu wenden. „Scholz will auf allen Seiten Stimmen einfangen. Dass er sich dabei auf Merkel zu beziehen versucht und gleichzeit­ig mit den Erben der SED koalieren will, hat ihm Angela Merkel zu Recht nicht durchgehen lassen“, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion.

Bei der SPD gibt man sich gelassen ob des größeren Einsatzes der scheidende­n Bundeskanz­lerin im

Kampf um die Stimmen. „Dass die Kanzlerin pflichtbew­usst der eigenen Partei beispringt, war erwartbar und ist doch wirklich keine Überraschu­ng“, sagte Generalsek­retär Lars Klingbeil unserer Redaktion. Die Union strahle in diesen Tagen pure Panik aus.

Die Sozialdemo­kraten liegen in den jüngsten Stimmungsa­bfragen zwei bis vier Punkte vor den Konservati­ven. Klingbeil nutzte die Gelegenhei­t, um eine eigene Sockenkamp­agne zu starten, nämlich eine Schwarz-Blaue. Schwarz steht in diesem Fall für die Union, Blau für die AfD. Denn im Thüringer Wald kandidiert Ex-Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen für die CDU. Ihm wird immer wieder eine gedanklich­e Nähe zur AfD unterstell­t. „Und dann ist da ja noch Hans-Georg Maaßen, der immer wieder offen nach ganz rechts außen blinkt und Armin Laschet auf der Nase rumtanzt. Auch davon will die Union jetzt krampfhaft ablenken“, meinte Klingbeil. Die Union habe in Teilen ihren moralische­n Kompass verloren, was auch durch die Geschäfte mit Corona-Masken überdeutli­ch werde.

Dass CDU und CSU ihren Rückstand noch einmal drehen können, ist möglich, aber nicht übermäßig wahrschein­lich. Zumindest sagt das der Blick auf vergangene Wahlen. Der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred Güllner, hat sich die Daten genau angeschaut. Demnach haben sich die von seinem Institut seit 1998 gemessenen Umfragewer­te zwischen Ende August bis zur Wahl Ende September bei CDU/CSU nur ein Mal verbessert. Das war im Jahr 2013. Mehr Bewegung gab es bei der SPD. Die Genossen haben laut Forsa an den Wahlsonnta­gen dreimal besser abgeschnit­ten als bei der August-Umfrage. Aber auch dreimal schlechter.

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Foto: Tobias Schwarz, dpa Auf die letzten Tage der Großen Koalition wird der Abstand spürbar größer: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD).

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