Kanzlerin rückt von ihrem Vize ab
Angela Merkel greift in den Kampf um ihre Nachfolge ein, indem sie Olaf Scholz eine „Erbschleicherei“nicht durchgehen lässt. Kann sie damit das Blatt für Armin Laschet wenden? Wie die Meinungsforscher die Aussichten sehen
Berlin Es ist das ersehnte Zeichen, auf das CDU und CSU lange gewartet haben. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) greift in den Wahlkampf ein. Sie setzt an dem Schwachpunkt an, den der in den Umfragen vorbeigezogene SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz der Union lässt: ein mögliches Bündnis aus SPD, Grünen und Linken. „Mit mir als Bundeskanzlerin würde es nie eine Koalition geben, in der Die Linke beteiligt ist“, sagte Merkel. Und legte nach: „In dem Zusammenhang ist es einfach so, dass da ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft Deutschlands zwischen mir und ihm (Scholz) besteht.“
Merkel versucht damit, die „Erbfolge“wieder auf eine gerade Linie zu bringen. Denn Scholz kann den Wählerinnen und Wählern bisher glaubhaft machen, dass er der beste Nachfolger der beliebten Kanzlerin ist, obwohl er einer anderen Partei angehört. Für eine Fotoserie im Magazin der formte der Finanzminister mit seinen Fingern die berühmte MerkelRaute. Er gibt sich – ganz in ihrem Stile – stocknüchtern, gelassen und vernünftig. Gefühle, so erscheint es,
Süddeutschen Zeitung
sind ihm fremd. „Erbschleicherei“nannte das kürzlich CSU-Chef Markus Söder gallig. Die
erklärte ihren Lesern, dass es die Deutschen eben langweilig lieben.
Für Kanzlerkandidat Armin Laschet ist es das größte Problem seiner schwächelnden Wahlkampagne, dass er nicht als natürlicher Kronprinz Merkels erscheint. Eigentlich, so war sein Plan, wollte er von Merkels Ansehen profitieren, einen Wahlkampf ohne Ecken und Kanten machen und auf diesem Ticket in das Kanzleramt fahren.
Weil der Plan bislang nicht aufgeht, arbeitet der Stab im KonradAdenauer-Haus nun daran, die Kanzlerin in den verbleibenden knapp vier Wochen stärker einzubinden. Lücken im eng getakteten Terminplan der Regierungschefin werden gesucht. Heikel daran ist, dass sie den bisher glücklosen CDUVorsitzenden nicht völlig überstrahlen darf und ihm Raum zur Geltung lassen muss. Sonst droht der gegenteilige Effekt und Laschet erscheint noch schwächer. Im Feld der Kandidaten wäre die Amtsinhaberin mit großer Sicherheit die zugstärkste, aber weil sie nicht wieder antritt, hat Scholz – anders als die SPD-Männer
Times New York
vor ihm – eine wirkliche Chance. Angesichts neuer Umfragewerte von 20 Prozent sind die Spitzen der Union froh darüber, dass sich Merkel noch einmal engagieren will, um das Blatt zu wenden. „Scholz will auf allen Seiten Stimmen einfangen. Dass er sich dabei auf Merkel zu beziehen versucht und gleichzeitig mit den Erben der SED koalieren will, hat ihm Angela Merkel zu Recht nicht durchgehen lassen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion.
Bei der SPD gibt man sich gelassen ob des größeren Einsatzes der scheidenden Bundeskanzlerin im
Kampf um die Stimmen. „Dass die Kanzlerin pflichtbewusst der eigenen Partei beispringt, war erwartbar und ist doch wirklich keine Überraschung“, sagte Generalsekretär Lars Klingbeil unserer Redaktion. Die Union strahle in diesen Tagen pure Panik aus.
Die Sozialdemokraten liegen in den jüngsten Stimmungsabfragen zwei bis vier Punkte vor den Konservativen. Klingbeil nutzte die Gelegenheit, um eine eigene Sockenkampagne zu starten, nämlich eine Schwarz-Blaue. Schwarz steht in diesem Fall für die Union, Blau für die AfD. Denn im Thüringer Wald kandidiert Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen für die CDU. Ihm wird immer wieder eine gedankliche Nähe zur AfD unterstellt. „Und dann ist da ja noch Hans-Georg Maaßen, der immer wieder offen nach ganz rechts außen blinkt und Armin Laschet auf der Nase rumtanzt. Auch davon will die Union jetzt krampfhaft ablenken“, meinte Klingbeil. Die Union habe in Teilen ihren moralischen Kompass verloren, was auch durch die Geschäfte mit Corona-Masken überdeutlich werde.
Dass CDU und CSU ihren Rückstand noch einmal drehen können, ist möglich, aber nicht übermäßig wahrscheinlich. Zumindest sagt das der Blick auf vergangene Wahlen. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, hat sich die Daten genau angeschaut. Demnach haben sich die von seinem Institut seit 1998 gemessenen Umfragewerte zwischen Ende August bis zur Wahl Ende September bei CDU/CSU nur ein Mal verbessert. Das war im Jahr 2013. Mehr Bewegung gab es bei der SPD. Die Genossen haben laut Forsa an den Wahlsonntagen dreimal besser abgeschnitten als bei der August-Umfrage. Aber auch dreimal schlechter.