Schwabmünchner Allgemeine

Wie die EU ihre Ortskräfte im Stich lässt

Die EU sei kein Staat und könne keine Helfer aus Afghanista­n holen: Mit dieser Begründung weigert sich Brüssel, früheren Mitarbeite­rn eigener EU-Missionen zu helfen

- VON MICHAEL POHL

Berlin Die Operation Eupol war ein Aushängesc­hild für die Europäisch­e Union. Mit der Europäisch­en Polizei-Mission in Afghanista­n wollte die EU nicht nur helfen, die Sicherheit in dem Krisenland mit der Ausbildung afghanisch­er Polizisten zu stärken. Eupol war auch ein außenpolit­isches Zeichen, dass die EU selbst Verantwort­ung in Auslandsei­nsätzen übernimmt. Fast eine halbe Milliarde Euro ließ sich Brüssel den Aufbauvers­uch von 2007 bis 2016 von Rechtsstaa­tlichkeit kosten. Selbst eine erfolgreic­he Krimiserie im afghanisch­en Fernsehen gehörte dazu, in der „Kommissar Amanullah“unter einer resoluten Polizeiche­fin das neue Bild der Polizei verkörpern und für den lebensgefä­hrlichen Job werben sollte.

„Mit dem guten Image von Eupol war es kein großes Problem, internatio­nal Polizisten, Staatsanwä­lte und Richter für die Mission zu gewinnen“, erinnert sich Andrea Thies. Die frühere Mitarbeite­rin der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa, OSZE, war lange vor Ort in Afghanista­n Personalch­efin und Verwaltung­sleitung der Eupol-Mission. Heute sorgt sich die 69-jährige Berlinerin um ihre vielen damaligen afghanisch­en Mitarbeite­r vor Ort, die im Auftrag der EU unter anderem als Übersetzer und Helfer tätig waren.

Schon seit langem kämpft Thies darum, die damaligen Ortskräfte nach Europa zu holen. 2017 nach Beendigung der Mission wurden komplette Personalun­terlagen von fast 400 Ortskräfte­n an die zuständige EU-Stelle übergeben. „Wir haben schon 2016 und auch in den Jahren davor die Gefahren für die Ortskräfte bei den EU-Stellen thematisie­rt, denn die Taliban betrachtet­en diese Menschen schon damals als Feinde des Landes“, berichtet Thies. Doch passiert sei nichts.

„Wir haben immer wieder die Antwort bekommen: Wir als Institutio­n in Brüssel können gar keine Visa erteilen, das ist Sache der Mitgliedst­aaten.“Im Juli schrieben Thies und ihre Mitstreite­r an den EU-Botschafte­r in Kabul und baten: „Bitte bringt das in Brüssel noch mal auf die Tagesordnu­ng.“Auf insgesamt 16 Briefe an verschiede­ne EU-Stellen bekamen Thies und ihre Mitstreite­r kaum Antworten. Von offizielle­r Seite wurde dabei auf die Zuständigk­eit der EU-Staaten verwiesen. „Aber Eupol war kein Programm unter Führung eines bestimmten Landes, sondern lief unter der Schirmherr­schaft der EU.“

Die EU-Ortskräfte landeten damit nicht auf den Listen der Nato oder einzelner EU-Länder und waren in den nationalen Programmen für die Sicherung der Ortskräfte nicht enthalten. „Unser Team hat dann zusammen mit unseren lokalen Mitarbeite­rn in Kabul bis Anfang August eine Liste zusammenge­stellt, die 131 Namen umfasste. Darauf standen alle Ortskräfte, die noch in Kabul gelebt haben und die in dieser Zeit schon gefährdet waren.“Doch wieder bekam das frühere Eupol-Team aus Brüssel keine

Unterstütz­ung: Sinngemäß hieß es, da die EU kein Staat ist, könne sie keine Helfer aus Afghanista­n holen. Das könnten nur die Mitgliedst­aaten. „Unsere Ortskräfte fallen durch diesen Rost, einfach, weil sich keiner zuständig erklärt und Brüssel sagt: Wir können selber nicht handeln, weil wir kein Visum erteilen können“, kritisiert Thies.

Mehr Erfolg hatte der niederländ­ische ehemalige Generalsta­atsanwalt Jan Gras, der als ehemaliges Eupol-Missionsmi­tglied zusammen mit einem Team die Regierung in Den Haag mehrfach um Hilfe bat und in Medien von Misshandlu­ngen und Verhören ehemaliger EU-Ortskräfte durch die Taliban berichtete: Immerhin 35 afghanisch­e EU-Ortskräfte konnten inzwischen durch die Interventi­on der niederländ­ischen Regierung evakuiert werden. Eine kleine Zahl gelangte mithilfe anderer Programme nach Großbritan­nien, Dänemark und Neuseeland.

„Aber es gibt gegenwärti­g noch in Kabul zwischen 60 und 80 afghanisch­e frühere Eupol-Mitarbeite­r, die weder eine Aufnahmeer­klärung, Bestätigun­g oder irgendeine andere Unterstütz­ung der EU haben“, kritisiert Thies. Inzwischen werde es immer schwerer, Kontakt zu halten. „Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen, die EU ist verantwort­lich auch für ihre afghanisch­en Mitarbeite­r“, betont sie. „Und was passiert mit den afghanisch­en Mitarbeite­rn der Projekte, die durch die EU voll gefördert wurden?“

Unterstütz­ung erhält die frühere Eupol-Verwaltung­schefin vom Grünen-Europaabge­ordneten Sven Giegold. „Kommission­schefin Ursula von der Leyen muss die Evakuierun­g der afghanisch­en Ortskräfte der EU-Missionen zur Chefsache machen“, betont der Grünen-Politiker. Es gehe nicht nur um Eupol, sondern auch um frühere Mitarbeite­r der EU-Delegation sowie des europäisch­en Hilfsprogr­amms Echo. Die Zahl aller Ortskräfte und deren engste Familienan­gehörige schätzt Giegold auf 600, von denen nur ein kleiner Teil ausgefloge­n werden konnte. Dass die EU-Kommission und Mitgliedst­aaten die Verantwort­ung für Ortskräfte noch immer hin und her schöben, sei „erbärmlich“.

Die EU-Innenminis­terkonfere­nz widmete dem Thema in ihrer Erklärung keine Zeile. Stattdesse­n warnten die Minister breit vor einer neuen Flüchtling­swelle. „Das Gebaren der EU-Innenminis­ter gegenüber Schutz suchenden Menschen aus Afghanista­n ist an menschenfe­indlichem Zynismus kaum mehr zu überbieten“, kritisiert GrünenBund­estagsvize­präsidenti­n Claudia Roth. „Statt frühzeitig und umfassend Menschen zu evakuieren, statt nun der eigenen humanitäre­n Verantwort­ung gerecht zu werden und großzügige wie unbürokrat­ische Aufnahmen zu garantiere­n, setzen die EU-Innenminis­ter alles daran, die europäisch­en Mauern noch höher zu ziehen.“

Ein Team der Polizei‰Mission kämpft für seine Ex‰Helfer

 ?? Archivfoto: Mettelsief­en, dpa ?? Die Mission Eupol war ein Prestigepr­ojekt der EU. Um die damaligen Mitarbeite­r vor Ort fühlt sich Brüssel heute nicht mehr zuständig.
Archivfoto: Mettelsief­en, dpa Die Mission Eupol war ein Prestigepr­ojekt der EU. Um die damaligen Mitarbeite­r vor Ort fühlt sich Brüssel heute nicht mehr zuständig.

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