Warten auf das Bleiben
98 Gerettete aus Afghanistan sind im Ankerzentrum in Bamberg untergebracht. Einige von ihnen kommen nun nach Schwaben. Warum der bayerische Flüchtlingsrat das Vorgehen kritisiert
Augsburg/Bamberg Plötzlich ist das Leid der Menschen aus Afghanistan ganz nah. Mitten in Oberfranken. Seit einer Woche sind 98 aus Kabul gerettete Menschen im Bamberger Ankerzentrum untergebracht. Darunter auch Sayed H., seine Frau Zakia und ihre beiden kleinen Kinder. „Wir sind glücklich und sehr froh, dass wir raus aus Afghanistan sind“, sagt der 27-jährige Mann, der von der Bundeswehr zum Offizier ausgebildet wurde. Er sei deutschen Soldaten und Soldatinnen und der Botschaft in Kabul sehr dankbar. Nachdem die Nachricht des Einmarschs der Taliban gekommen sei, habe er eine Woche lang das Haus nicht verlassen. Er und seine Familie haben es in Sicherheit geschafft, nicht aber Freunde und Verwandte. „Wenn die Taliban das herausfinden, dass deren Sohn für die Deutschen gearbeitet hat – die werden sie nicht in Ruhe lassen“, erzählt er.
Mehr als 530 Deutsche und 4400 Afghanen haben deutsche Soldatinnen und Soldaten im August unter extrem gefährlichen Bedingungen aus der von der Taliban eingenommenen Hauptstadt Kabul ausgeflogen. Insgesamt könnten noch bis zu 800 gerettete Afghaninnen und Afghanen in den Freistaat kommen, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Montag während eines Besuchs im Bamberger Ankerzentrum. Die Einrichtung auf dem ehemaligen US-Gelände ist seit 2015 die erste Anlaufstelle für Asylbewerberinnen und -bewerber in Bayern. Bundesweit gibt es acht solcher Zentren. In Bamberg sind aktuell mehr als 1000 Menschen untergebracht.
Bei den 98 evakuierten Afghaninnen und Afghanen handelt es sich um 21 Familien und sieben Einzelpersonen. 46 der Geretteten sind minderjährig, 23 sind Kinder unter sechs Jahren. Im Moment werde vom Bund geprüft, ob es sich bei den Menschen um Ortskräfte oder sonst schutzbedürftige Personen handle, erklärt das bayerische Innenministerium auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Ankerzentren seien nur als Zwischenstation für wenige Tage gedacht, heißt es beim Ministerium.
Nicht alle begrüßen die Entscheidung, die Flüchtlinge aus Afghanistan im Ankerzentrum unterzubringen. Nach der oft traumatischen ein paar Tage Ruhe finden – das sollen die Geretteten laut einem Sprecher des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). „Es wäre der Idealfall, sofort Wohnungen zur Verfügung zu haben“, sagt der Sprecher. Doch die Benachrichtigungen über ankommende Flüchtlinge aus Kabul seien oft kurzfristig gekommen, manchmal nur eine Stunde zuvor.
Die Einrichtung sei der falsche Ort für traumatisierte Afghaninnen und Afghanen, urteilt der bayerische Flüchtlingsrat. Sprecher Stephan Dünnwald nennt die Aufnahmeeinrichtungen „Sammellager mit denkbar schlechtem Ruf“. Ortskräfte, die wertvolle Dienste geleistet hätten, dort unterzubringen, sei falsch – vor allem in Bamberg. Er äußert zahlreiche Vorwürfe gegenüber der Einrichtung: nächtliche Durchsuchungen der Zimmer, gewalttätige Übergriffe durch die Security, Ausgrenzung durch Zäune, Stahltore und Stacheldraht. „Diese Ankerzentren sind Orte der Abschreckung und Desintegration.“
Man hätte die Ankunft der Flüchtlinge besser und früher organisieren müssen, so Dünnwald. „Jeder wusste, dass bald Ortskräfte kommen.“Einige Städte wie München haben laut Dünnwald signalisiert, Gemeinschaftsunterkünfte bereitzustellen. Dass die Unterbringung dort nicht geklappt habe, sei ein „schäbiges Signal“des Freistaats.
Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums sind die Personen aus Afghanistan in einem separaten Wohngebäude in dem Ankerzentrum in Oberfranken untergebracht. Sie nehmen an der Gemeinschaftsverpflegung teil. Der medizinische Dienst und die Gewaltschutzkoordinatoren haben die Betreuung dieser Personen übernommen. Den Personen steht außerdem die Möglichkeit offen, die vor Ort befindliche Flüchtlings- und Integrationsberatung in Anspruch zu nehmen.
Der Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge äußert sich auch zu den Vorwürfen des Flüchtlingsrats. „Er hat da wohl eiFlucht nen anderen Kenntnisstand, ein anderes Wissen.“Es gebe keinen Stacheldraht, die Tore stünden offen, die Flüchtlinge könnten sich frei bewegen. Spätestens in zwei Wochen seien die Aufenthaltsmöglichkeiten für alle Afghaninnen und Afghanen geklärt.
Am Donnerstag verlassen bereits die ersten Familien die Bamberger
Kritik: Ankerzentren seien Orte der Abschreckung
Familien finden Bleiben in Augsburg und Donauwörth
Unterkunft. Für zwei Familien bestehend aus fünf Personen wurden bereits Unterkünfte gefunden. Sie ziehen in den Regierungsbezirk Schwaben, sagt der Pressesprecher der Regierung von Schwaben auf Nachfrage unserer Redaktion. Die beiden Familien finden in Augsburg und Donauwörth eine neue Bleibe. Ob es sich bei den Personen um Ortskräfte handle und welchen Aufenthaltsstatus sie inzwischen erhalten haben, konnte der Pressesprecher nicht beantworten.