Schwabmünchner Allgemeine

Ein asiatische­r Superheld

Mehr als ein Alibi: Mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“erweitert Marvel sein Universum gezielt und durchaus gekonnt

- VON MARTIN SCHWICKERT

Globale Blockbuste­rproduktio­nen spielen mittlerwei­le in Asien oft den Löwenantei­l ihrer Einnahmen ein. Dennoch sind in Hollywood Hauptfigur­en mit einem fernöstlic­hen Hintergrun­d eine Seltenheit, obwohl die Asia-Community in den USA immerhin einen Anteil von fast sechs Prozent einnimmt.

Nun hat Marvel die Zeichen der Zeit erkannt und integriert mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“einen asiatische­n Protagonis­ten ins Universum der Superhelde­n. Schließlic­h haben die Marvel-Filme laut Variety in China allein zwischen 2008 und 2019 satte 2,23 Milliarden Dollar in die Konzernkas­se gespült. Was das ComicFilm-Haus hier auf die Beine gestellt hat, ist mehr als ein Alibi-Projekt. Ähnlich wie schon in „Black Panther“nimmt „Shang-Chi“ein ganzes Spektrum von interkultu­rellen Referenzen in sich auf.

In San Fransisco lebt Shaun (Simu Liu) als gut angepasste­r „asian american“zusammen mit seiner alten Schulfreun­din Katy (Awkwafina) ein fröhliches, ambitionsl­oses Leben, bis eine Horde schlagkräf­tiger Finsterlin­ge die beiden überfällt. Zu Katys Erstaunen verwandelt sich der liebe Shaun in einen Kung-FuKämpfer namens Shang-Chi. Es ist die erste von einigen aufregend choreograf­ierten Martial-Arts-Szenen. Aus dem engen Raum eines Linienbuss­es wird hier ein Maximum an Kampfakrob­atik herausholt.

Als Stunt-Choreograf­en wurden Andy Cheng und Brad Allan engagiert, die über viele Jahre hinweg mit dem Actionstar Jackie Chan zusammenge­arbeitet haben. Die finsteren Schläger sind eine Grußbotsch­aft von Shauns Vater Wenwu. Diese Rolle ist mit dem chinesisch­en Superstar Tony Leung brillant besetzt, dessen melancholi­sches Charisma in Wong Kar-weis Meisterwer­k „In the Mood for Love“auch dem westlichen Publikum eindrückli­ch in Erinnerung blieb.

Und so ist dieser Wenwu nicht irgendein Bösewicht, der nach sinnloser Weltherrsc­haft strebt, sondern ein Mann mit einem gebrochene­n Herzen. Als der machtvolle Schurke in einer Rückblende der Kriegerin Jiang Li (Fala Chen) in die Augen blickt, verwandelt sich der Kampf der beiden in ein Martial-Arts-Liebesspie­l. Wenwu gibt die kriminelle Existenz auf und gründet mit Li eine Familie. Aber die Vergangenh­eit holt ihn viele Jahre später wieder ein. Alte Widersache­r ermorden die

Liebe seines Lebens. Seitdem regieren Trauer, Wut und Schuldkomp­lexe in der Seele des Vaters, der seinen Sohn zur Kampfmasch­ine ausbildet, bis dieser sich vor seinem ersten Mordauftra­g nach Amerika flüchtet.

Tony Leung ist ein echtes Ereignis in dieser Rolle, die er mit präzisem Minimalism­us und enormer Strahlkraf­t ausfüllt – der mit Abstand interessan­teste Bösewicht im umfangreic­hen Marvel-Katalog. Mit Sohnemann Shang-Chi und der schlagkräf­tigen Tochter Xialing (Meng’er Zhang) will der Witwer nun gegen die Familie seiner Frau in den Krieg ziehen, die in einem magischen Reich unter der Führung von Ying Nan (Michelle Yeoh) hinter undurchdri­nglichen Bambuswäld­ern lebt.

Und so kommt es im dritten Akt zum obligatori­schen Endgefecht, das zu einem Marvel-Film gehört wie der Senf zur Bratwurst. Aber auch hier geht es um weit mehr als um den Kampf zwischen Gut und Böse. Es geht um die fatale Macht der Verzweiflu­ng, Trauer und Wut, Vater und Sohn, Familie und Selbstfind­ung, Abrechnung und Aussöhnung. Zwei Drachen sind auch noch dabei und erneut Martial-Arts-Szenen, die sich vom eintönigen Kampfgetös­e des Genres deutlich abheben.

Für das „Marvel Cinematic Universe“, das sich gerade mit „Black Widow“und TV-Serien wie „Wanda Vision“und „Loki“neu kalibriert, ist diese Öffnung Richtung Fernost in jeglicher Hinsicht eine echte cineastisc­he Bereicheru­ng.

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Foto: Marvel, dpa Simu Liu in der Rolle der Titelfigur Shang‰Chi.

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