Schwabmünchner Allgemeine

„Rote‰Socken‰Kampagnen würden die Wähler ermüden“

Der Politikwis­senschaftl­er Gero Neugebauer erklärt, warum Olaf Scholz in den Umfragen ein Comeback feiern konnte

- Interview: Simon Kaminski

Herr Neugebauer, hätten Sie einen Pfifferlin­g darauf gegeben, dass Olaf Scholz nun doch noch ins Rennen um die Kanzlersch­aft eingreifen könnte? Gero Neugebauer: Meine Erwartunge­n waren eher gering. Die Ausgangspo­sition für Olaf Scholz war nach seiner Niederlage bei den SPD-Vorstandsw­ahlen äußerst ungünstig. Dazu kommt, dass er wenig Charme versprüht, wenig Charisma hat. Doch wie sagt man: Er hatte keine Chance, aber die hat er genutzt.

Was spricht für ihn?

Neugebauer: Er ist ein guter Administra­tor. Er war Bürgermeis­ter von Hamburg, Arbeitsmin­ister und ist jetzt Finanzmini­ster sowie Vizekanzle­r. Diese Erfahrung, gepaart mit seiner Gelassenhe­it, zählt in Zeiten von Pandemie, Klimakrise oder Afghanista­n-Desaster. Zudem werden seine Konkurrent­en schlechter bewertet.

Es heißt jetzt oft, Scholz habe trotz und nicht wegen der SPD gute Siegchance­n. Stimmt das?

Neugebauer: Immerhin belastet ihn seine Partei nicht mit Skandalen und Streiterei­en. Es herrscht, ganz anders als in der Union, Ruhe. Es fällt ja schon auf, dass Politiker, die in der SPD eher links stehen – wie Parteichef­in Saskia Esken oder Kevin Kühnert – derzeit kaum noch auftauchen. Die Kandidatur von Scholz war ganz bewusst so früh angesetzt, um zu verhindern, dass in der Partei ein Grundsatzs­treit über die Ausrichtun­g der SPD ausbricht.

Könnte Olaf Scholz die Affäre um die Cum-ExGeschäft­e gefährlich werden?

Neugebauer: Nein. Viele denken vielleicht an ex und hopp, wenn sie Cum-Ex hören. Die Materie ist so komplizier­t, dass sie nur Leute verstehen, die den Wirtschaft­steil in den Zeitungen verschling­en. Hinzu kommt, dass niemand Scholz vorwirft, sich persönlich bereichert zu haben.

Jetzt wird viel darüber diskutiert, dass sich Scholz im TV-Triell geweigert hat, eine Koalition unter Beteiligun­g der Linken auszuschli­eßen. War das ein Fehler?

Neugebauer: Das wird ihm nicht gefährlich. Eine erneute Rote-Socken-Kampagne würde viele Wähler nur ermüden. Unionskand­idat Laschet will damit in erster Linie die Anhänger von CDU/CSU mobilisier­en.

Halten Sie es denn für denkbar, dass Scholz nach der Wahl die Linke in eine Regierung holen würde?

Neugebauer: Das ist sehr unwahrsche­inlich. Einmal ist eine Regierungs­beteiligun­g ja schon bei der Linken sehr umstritten. In der SPD wird dieses Thema derzeit gar nicht diskutiert. In der westdeutsc­hen SPD, aber auch in den Landesverb­änden im Osten gibt es genügend Leute, die sagen, wir wollen das nicht. Andere schließen das grundsätzl­ich nicht aus, nennen aber Punkte, die unverhande­lbar sind – wie die Nato-Mitgliedsc­haft. Die Linke eignet sich zwar nicht mehr als Schreckges­penst, aber es gibt nach wie vor starke mentale Vorbehalte – innerhalb der SPD und der Wählerscha­ft.

Wie groß ist die Kluft zwischen Scholz und Parteilink­en wie Esken oder Kühnert tatsächlic­h?

Neugebauer: Darüber kann man derzeit nur spekuliere­n, Debatten gibt es ja gerade nicht. Ich habe die Programmdi­skussion in der Partei genau verfolgt. Das ist ganz interessan­t: Im Wahlprogra­mm, mit dem Scholz gut leben kann, tauchen dezidiert linke Punkte nicht auf. Dafür hat Scholz die Konzession gemacht, dass er gesagt hat, eine Reichenste­uer kann ich mir vorstellen.

Könnten die Gräben nach der Wahl wieder aufreißen?

Neugebauer: Wenn Scholz tatsächlic­h die Wahl gewinnt, wäre er in einer Position, die er innerparte­ilich und in Koalitions­verhandlun­gen nutzen könnte. Er könnte sagen: ,Das ist mein Sieg, die Kampagne war auf mich zugeschnit­ten. Wenn ihr mich jetzt desavouier­t, ziehe ich die Reißleine, dann werdet ihr sehen, wie weit wir in Koalitions­verhandlun­gen mit einer zerstritte­nen SPD kommen.’

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