Angefahrener Fußgänger liegt noch auf Intensivstation
Eine 89-Jährige fährt mit ihrem Auto in Neusäß einen 20-Jährigen an. Wie konnte das passieren?
Neusäß Es waren schreckliche Szenen, die sich am Dienstag in Neusäß abgespielt haben. Eine 89-Jährige kommt aus einer Apotheke, will mit ihrem Auto rückwärts aus der Parkbucht an der Hauptstraße fahren. Laut Polizei verliert sie die Kontrolle über ihren Wagen, fährt mehrmals vor und zurück. Dabei erfasst sie einen 20-Jährigen, der mit seinem Vater unterwegs ist. Der Vater kann zur Seite springen, der junge Mann wird lebensgefährlich verletzt und muss reanimiert werden. Dann bringen die Rettungskräfte ihn, immer noch in Lebensgefahr, in die Uniklinik nach Augsburg. Sein Vater erleidet einen Schock.
Am Mittwoch teilt das Polizeipräsidium Schwaben Nord mit: Der
Gesundheitszustand des 20-Jährigen hat sich nicht verbessert, er muss nach wie vor intensivmedizinisch behandelt werden.
Die Polizei hat die Altersangaben inzwischen korrigiert: Der junge Mann war in der ersten Meldung als 21-jährig, die Unfallverursacherin als 90-jährig angegeben worden. Die Seniorin rammt auch noch ein Baugerüst und zwei parkende Autos. Dann fährt sie in Richtung Innenstadt davon. Ihr beschädigtes Auto bleibt aber stehen. Die Polizei greift sie auf und bringt sie ebenfalls in die Uniklinik. Sie macht auf die Beamten einen verwirrten Eindruck, hat gesundheitliche Probleme. Ob diese die Ursache für den Unfall sind, ermittelt die Polizei.
Tragische Fälle wie dieser werfen immer wieder Fragen auf: Sollten Seniorinnen und Senioren irgendwann ihren Führerschein abgeben? Oder zumindest ihre Fahrtauglichkeit beweisen? Die Statistik entlastet die Ältesten ein wenig: 330 Verkehrsunfälle haben über 65-Jährige vergangenes Jahr verursacht. Das sagt aus der Jahresstatistik des Polizeipräsidiums Schwaben Nord. Im Vergleich: 18- bis 24-Jährige bauten in der gleichen Zeit für mehr als dreimal so viele Unfälle.
2020 gab es in Neusäß eine Aktion, die Rentnerinnen und Rentnern den Schritt erleichtern sollte, mit dem Autofahren aufzuhören. Wer den Führerschein abgab, bekam im Gegenzug ein Jahresticket des Augsburger Verkehrs- und Tarifverbundes (AVV). Etwa 20 Bürgerinnen und Bürger hätten ihre Fahrerlaubnis abgegeben, sagt Michaela Axtner, die in Neusäß für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.
Fahrlehrer Wolfgang Hüttl bietet über den ADAC im Raum Augsburg Fahrfitness-Checks für ältere Menschen an. Der Impuls, die Fahrtauglichkeit prüfen zu lassen, komme oft von Angehörigen: „Die haben manchmal schon Bedenken.“In der Fahrstunde beobachtet Hüttl dann vom Beifahrersitz aus: Wie ist die Reaktion? Vergisst die Person den Blinker? Wie sieht es bei Rechtsvor-Links aus? Kann jemand nicht mehr sicher fahren, empfiehlt der Augsburger, den Führerschein abzugeben. Das kommt aber selten vor. Hüttls Ziel: „Die Mobilität soll im Alter aufrechterhalten werden.“Manche Rentnerinnen und Rentner fahren laut dem Fahrlehrer nur zum Einkaufen oder zum Arzt. Oft mache es Sinn, dann etwa Autobahnen zu meiden.
Wenn Angehörige ihren Vater oder ihre Großmutter überzeugen wollen, den Führerschein abzugeben, sei das nie einfach. „Das ist ein schwieriges Gespräch“, sagt Hüttl.
Dieses schwierige Gespräch übernimmt in manchen Fällen auch der Hausarzt. Der Herbertshofer Hausarzt Jakob Berger ist Bezirksvorsitzender für Schwaben beim Bayerischen Hausärzteverband. Hausärztinnen und Hausärzte könnten gut einschätzen, wie fit ihre Patienten sind, sagt er. „Es kommen auch Angehörige und klagen, dass ihre Eltern oder Schwiegereltern unvernünftig sind und noch Auto fahren.“Berger ist für regelmäßige Fahrtauglichkeitstests ab einem bestimmten Alter. Hohes Alter bedeutet nicht automatisch schlechte Fahrtauglichkeit: Eine 94-Jährige aus Neusäß habe ihn überrascht, sagt Fahrlehrer Wolfgang Hüttl. Die Frau sei beim Test komplett fehlerfrei ihre übliche Route gefahren, inklusive Bundesstraße.