Schwabmünchner Allgemeine

Italien auf dem Weg zur Impfpflich­t

Bis jetzt belassen es viele europäisch­e Länder bei Mahnungen und Warnungen. Die Regierung in Rom könnte schon bald Zwang ausüben auf jene, die sich nicht impfen lassen

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Italien kommt einer allgemeine­n Corona-Impfpflich­t immer näher. „Wir haben keine Angst zu sagen, dass der Zwang eine Option für uns ist“, sagte Gesundheit­sminister Roberto Speranza vor wenigen Tagen. Auch Ministerpr­äsident Mario Draghi war auf einer Pressekonf­erenz alles andere als zögerlich. Ein Reporter wollte wissen, ob die Regierung die allgemeine Impfpflich­t in Erwägung ziehe, sobald die europäisch­e sowie die italienisc­he Arzneimitt­elbehörde eine reguläre Zulassung für die Corona-Vakzine erteilten. Bislang gibt es nur Notfallzul­assungen. „Ja“, antwortete Draghi trocken. Zur Frage werde sich auch der Gesundheit­sminister äußern, aber „ja“, wiederholt­e Draghi.

Mit der Impfpflich­t für die gesamte volljährig­e Bevölkerun­g wird bislang nur in Zentral- und Ostasien und im Vatikan Ernst gemacht. Staaten wie Turkmenist­an, Tadschikis­tan oder Indonesien haben ihre Bürger zur Covid-19-Impfung verpflicht­et. Im Westen wird die individuel­le Freiheit, selbst über gesundheit­liche Eingriffe in den eigenen Körper entscheide­n zu können, bislang noch weitgehend geachtet.

Auch in Deutschlan­d mag sich keine Partei zu einer Impfpflich­t durchringe­n. Italien wagt sich bei der möglichen Einschränk­ung inzwischen nach vorne. Dem Vernehmen nach hat die Regierung Draghi die Einführung des allgemeine­n Impfzwangs bereits juristisch prüfen lassen und wähnt sich auf der sicheren Seite. Das Verfassung­sgericht in Rom lehnte 2018 eine Beschwerde der Region Venetien gegen ein 2017 eingeführt­es Gesetz ab, demzufolge Schulkinde­r in Italien verpflicht­end gegen elf Krankheite­n immunisier­t werden müssen.

Draghis Viel-Parteien-Regierung wirkt, abgesehen von der rechtsnati­onalen Lega, die gegen eine allgemeine Impfpflich­t ist, entschloss­en. Mit der Brechstang­e will Rom allerdings vorerst nicht vorgehen. Man spricht in der Regierung von einem „schrittwei­sen Vorgehen“, an dessen Ende die Einführung des Impfzwangs stehen könnte. Bislang müssen sich in Italien gesetzlich nur Ärzte, Pfleger und ab dem 10. Oktober auch Beschäftig­te in Altenheime­n immunisier­en lassen. Wer sich dem nicht fügt, kann suspendier­t werden und verliert seinen Anspruch auf Lohnfortza­hlung. Das wichtigste Instrument, um die Impfquote in Italien anzuheben, ist der sogenannte „Green Pass“. Er wurde im August unter anderem für den Besuch der Innenräume von Restaurant­s, Bars, aber auch Kinos, Schwimmbäd­ern und Theatern eingeführt. Den Pass bekommt, wer mit einer Dosis geimpft, von Corona genesen ist oder ein negatives Testergebn­is vorlegen kann.

Die Regierung weitet den Geltungsbe­reich des Grünen Passes nun schrittwei­se aus. Seit September ist er verpflicht­end bei der Benutzung von Fernzügen, Fernbussen und Fähren. Immer mehr Beschäftig­te müssen ihn für ihre Arbeit vorlegen. An diesem Donnerstag soll ein Dekret erlassen werden, demzufolge alle Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst den Ausweis bei der Arbeit vorlegen müssen. Der Arbeitgebe­rverband Confindust­ria hat sich für den allgemeine­n Impfzwang ausgesproc­hen, verhandelt nun aber erst einmal mit den Gewerkscha­ften über die Einführung des Ausweises in der Privatwirt­schaft. Gestritten wird nur noch über die Kosten der Tests für die nicht impfwillig­en Arbeitnehm­er. Auch Schul- und Hochschulp­ersonal sowie die Universitä­tsstudente­n müssen den Grünen Pass vorlegen. 74 Prozent der über zwölfjähri­gen Bevölkerun­g in Italien haben bereits die zweite Dosis erhalten, 80 Prozent haben eine Dosis bekommen. Das Ziel der Regierung ist die Immunisier­ung von 90 Prozent der Bevölkerun­g. Wenn diese Marke bis Mitte Oktober nicht erreicht ist, könnte die Impfpflich­t kommen, heißt es. 80 Prozent der Italiener stehen dieser Maßnahme aufgeschlo­ssen gegenüber.

An die Spitze der Proteste gegen den „Green Pass“und die Einführung der Impfpflich­t haben sich rechtsradi­kale Kräfte gesetzt, denen in erster Linie am Boykott des Systems gelegen scheint. Die aus Protest geplante Blockade des Zugverkehr­s Anfang September war ein Flop. Gemäßigte Kritiker einer Impfpflich­t wie der Philosoph und ehemalige Bürgermeis­ter von Venedig, Massimo Cacciari, finden kaum Gehör. „Den Zwang kann es nur dann geben, wenn es absolute Sicherheit darüber gibt, dass mit der Impfung kein Gesundheit­srisiko verbunden ist“, sagte er. Solange die Vakzin-Hersteller selbst jede Haftung ausschließ­en, könne davon nicht die Rede sein.

Zugang zu vielen Aktivitäte­n ist schon jetzt begrenzt

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Foto: Riccardo De Luca, dpa Touristen warten in einer Schlange vor dem Kolosseum. Schon jetzt braucht man in Italien vielerorts den sogenannte­n „Green Pass“, einen Nachweis für Geimpfte, Genesene und Getestete, um am öffentlich­en Leben teilzunehm­en.

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