Dem Sieg so nah
Bettina Jarasch wollte als erste Grüne das Rote Rathaus erobern. Dafür musste sie es allerdings mit einem Liebling der SPD aufnehmen
Es war eine der ersten großen Überraschungen am frühen Abend des Wahlsonntags: Berlins Rotes Rathaus könnte grün werden und Bettina Jarasch, 52, die erste (grüne) Regierende Bürgermeisterin der Bundeshauptstadt. Überraschend, weil die Grünen vor einigen Wochen in Umfragen abgestürzt waren und vom Chefsessel im Rathaus plötzlich so weit entfernt schienen wie Jarasch von ihrer Geburtsstadt Augsburg. Überraschend, weil die seit 20 Jahren regierende SPD mit Franziska Giffey die populäre Ex-Bundesfamilienministerin ins Rennen geschickt hatte – während Jaraschs wohl größter Makel im Wahlkampf ihre fehlende Bekanntheit war.
Lange war am Sonntagabend unklar, ob es für die Grünen-Politikerin am Ende tatsächlich für die ganz große Überraschung reichen sollte.
Zunächst lag sie vorn, dann wendete sich das Blatt. Sie selbst stellte sich vorsichtshalber schon mal „auf eine Nacht ohne Schlaf“ein. Und Berlin kann sich darauf einstellen, künftig grüner zu werden – selbst wenn das Rote Rathaus auch politisch rot bleiben sollte. Danach sah es zumindest am späten Abend aus.
Der Abend war mit seinen Höhen und Tiefen wie ein Abbild des Wahlkampfes. Jarasch ließ sich von dem Auf und Ab der vergangenen Wochen nie beirren. Sie ließ Zeichentrickfiguren das Rote Rathaus grün anmalen und versprach den Berlinern „mehr Bullerbü“– Konkurrentin Giffey hatte den Fantasieort zuvor herangezogen, um deutlich zu machen, dass die deutsche
Metropole keine Lindgren’sche Landidylle ist und nie sein wird. Jarasch besitzt selbst kein Auto und macht sich für mehr Radwege stark. Sie wohnt im schönen Bezirk Charlottenburg und kämpft gegen explodierende Mieten. Sie will Berlin zu einer besseren Stadt machen – und das als Schwäbin, der man die Herkunft allerdings kaum mehr anhört. Die Tochter des Augsburger Papierunternehmers und Friedenspreisträgers Helmut Hartmann lebt seit fast drei Jahrzehnten in Berlin – Anfang der 90er war sie für ihr Studium (Philosophie, Politikund Literaturwissenschaft) dorthin gezogen. Zuvor hatte sie ein Jahr lang als Journalistin für unsere Redaktion gearbeitet. Ihre Karriere bei den Grünen begann sie als Referentin in der Bundestagsfraktion, unter anderem für Renate Künast. Später wurde sie Berliner Landesvorsitzende und Mitglied im Bundesvorstand. 2016 zog sie in den Berliner Senat ein, schon im Jahr darauf wollte sie Berliner Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl werden, wurde jedoch in der eigenen Partei ausgebremst.
Bettina Jarasch ist mit dem Journalisten Oliver Jarasch, ebenfalls ein Augsburger, verheiratet und hat mit ihm zwei Söhne. Dazu ist sie bekennende und engagierte Christin mit jüdischen Vorfahren, sie sitzt einem Kreuzberger Pfarrgemeinderat vor und wurde vor fünf Jahren als eine von 45 Einzelpersönlichkeiten in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken berufen.