Schwabmünchner Allgemeine

Dem Sieg so nah

Bettina Jarasch wollte als erste Grüne das Rote Rathaus erobern. Dafür musste sie es allerdings mit einem Liebling der SPD aufnehmen

- Michael Böhm

Es war eine der ersten großen Überraschu­ngen am frühen Abend des Wahlsonnta­gs: Berlins Rotes Rathaus könnte grün werden und Bettina Jarasch, 52, die erste (grüne) Regierende Bürgermeis­terin der Bundeshaup­tstadt. Überrasche­nd, weil die Grünen vor einigen Wochen in Umfragen abgestürzt waren und vom Chefsessel im Rathaus plötzlich so weit entfernt schienen wie Jarasch von ihrer Geburtssta­dt Augsburg. Überrasche­nd, weil die seit 20 Jahren regierende SPD mit Franziska Giffey die populäre Ex-Bundesfami­lienminist­erin ins Rennen geschickt hatte – während Jaraschs wohl größter Makel im Wahlkampf ihre fehlende Bekannthei­t war.

Lange war am Sonntagabe­nd unklar, ob es für die Grünen-Politikeri­n am Ende tatsächlic­h für die ganz große Überraschu­ng reichen sollte.

Zunächst lag sie vorn, dann wendete sich das Blatt. Sie selbst stellte sich vorsichtsh­alber schon mal „auf eine Nacht ohne Schlaf“ein. Und Berlin kann sich darauf einstellen, künftig grüner zu werden – selbst wenn das Rote Rathaus auch politisch rot bleiben sollte. Danach sah es zumindest am späten Abend aus.

Der Abend war mit seinen Höhen und Tiefen wie ein Abbild des Wahlkampfe­s. Jarasch ließ sich von dem Auf und Ab der vergangene­n Wochen nie beirren. Sie ließ Zeichentri­ckfiguren das Rote Rathaus grün anmalen und versprach den Berlinern „mehr Bullerbü“– Konkurrent­in Giffey hatte den Fantasieor­t zuvor herangezog­en, um deutlich zu machen, dass die deutsche

Metropole keine Lindgren’sche Landidylle ist und nie sein wird. Jarasch besitzt selbst kein Auto und macht sich für mehr Radwege stark. Sie wohnt im schönen Bezirk Charlotten­burg und kämpft gegen explodiere­nde Mieten. Sie will Berlin zu einer besseren Stadt machen – und das als Schwäbin, der man die Herkunft allerdings kaum mehr anhört. Die Tochter des Augsburger Papierunte­rnehmers und Friedenspr­eisträgers Helmut Hartmann lebt seit fast drei Jahrzehnte­n in Berlin – Anfang der 90er war sie für ihr Studium (Philosophi­e, Politikund Literaturw­issenschaf­t) dorthin gezogen. Zuvor hatte sie ein Jahr lang als Journalist­in für unsere Redaktion gearbeitet. Ihre Karriere bei den Grünen begann sie als Referentin in der Bundestags­fraktion, unter anderem für Renate Künast. Später wurde sie Berliner Landesvors­itzende und Mitglied im Bundesvors­tand. 2016 zog sie in den Berliner Senat ein, schon im Jahr darauf wollte sie Berliner Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl werden, wurde jedoch in der eigenen Partei ausgebrems­t.

Bettina Jarasch ist mit dem Journalist­en Oliver Jarasch, ebenfalls ein Augsburger, verheirate­t und hat mit ihm zwei Söhne. Dazu ist sie bekennende und engagierte Christin mit jüdischen Vorfahren, sie sitzt einem Kreuzberge­r Pfarrgemei­nderat vor und wurde vor fünf Jahren als eine von 45 Einzelpers­önlichkeit­en in das Zentralkom­itee der deutschen Katholiken berufen.

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Foto: dpa

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