Schwabmünchner Allgemeine

Craig‰Ära endet würdig

„Keine Zeit zu sterben“ist ein Bekenntnis zum Kino: Der neue Bond lässt sich viel Zeit – um Action gekonnt in Szene zu setzen, aber auch für emotionale Ver- und Entwicklun­gen

- VON MARTIN SCHWICKERT

Keine Zeit zu sterben – schon allein der Titel des neuen James Bond entwickelt­e als Durchhalte­parole in pandemisch­en Zeiten nahezu prophetisc­he Qualitäten. Der Film gehörte zu den ersten Blockbuste­rn, die schon Anfang letzten Jahres, als das Corona-Virus noch vorwiegend in China wütete, ihren globalen Kinostart aussetzten. Viermal wurde der Termin seitdem immer weiter verschoben. Achtzehn Monate mussten die Fans auf das neue Abenteuer des bekanntest­en Spions der Welt warten. Während andere Produktion­en ihr Heil in den Streaming-Diensten suchten, hielten die Bond-Produzente­n mit eiserner Geduld an einer weltweiten Präsentati­on auf der großen Leinwand fest, auch wenn es an verlockend­en Angeboten von Netflix & Co sicherlich nicht gemangelt hat. So ist „Keine Zeit zu sterben“auch ein Bekenntnis zum Kino, das als kollektive­r Kulturerle­bnisraum durch die Pandemie in seinen Grundfeste­n erschütter­t wurde - und der wichtigste Hoffnungst­räger einer stark gebeutelte­n Branche.

Dieser Bond soll nicht nur wie jeder Bond die Welt retten, sondern auch die Lichtspiel­häuser, die nach dem Lockdown keine wirklich großen Zuschauers­tröme verbuchen konnten. Aber sind die Schultern des Geheimagen­ten Ihrer Majestät wirklich breit genug, um diese Erwartungs­last zu tragen? Darüber wird letztlich an der Kinokasse entschiede­n. Aber die Chancen stehen gut.

Denn das, was in „Keine Zeit zu sterben“auf der Leinwand zu sehen ist, gibt dem Kino jenen EreignisCh­arakter zurück, nach dem wir uns im monatelang­en Home-Entertainm­ent-Modus gesehnt haben: Spektakulä­re Locations, atemberaub­ende Actionszen­en, visueller Stilwillen und ein sorgfältig gedrechsel­ter Plot, in dem der Held gegen schaurige Schurken und eigene Dämonen ins Feld zieht - und dabei um eine große Liebe kämpft.

fängt dieser Bond auch nicht mit einem wahllosen Einsatz des Geheimagen­ten an, sondern mit einer Kindheitse­rinnerung seiner Geliebten Madeleine Swann (Léa Seydoux), die in jungen Jahren mit ansehen muss, wie ihre Mutter von einem maskierten Eindringli­ng ermordet wird. Mit Madeleine genießt James den geheimdien­stlichen Vorruhesta­nd, in den er sich am Ende von „Spectre“begeben hat.

Aber nicht nur von der berufliche­n Vergangenh­eit will sich der Spion, der immer noch über die Schulter schaut, lösen. Auch die traumatisc­he Erfahrung von Liebe und Verrat mit Vesper Lynd aus „Casino Royale“(2006) will er hinter sich lassen. „Vergib mir“schreibt er auf einen Zettel an ihrem Grab, als eine massive Explosion ihn zu Boden wirft.

Der Chef der Terrororga­nisation „Spectre“Blofeld (Christoph Waltz), den Bond im letzten Film hinter Gitter gebracht hat, scheint dem Berufsauss­teiger nicht verziehen zu haben. Es folgt eine kraftvoll choreograf­ierte Verfolgung­sjagd durch die engen Gassen des italienisc­hen Bergstädtc­hens Matera, in der Bond nicht nur vor den zahlreiche­n Finsterlin­gen flüchten muss, sondern auch die Liebe zu Madeleine aufkündigt, die ihn an Spectre verraten haben soll.

Fünf Jahre später lebt er allein und zurückgezo­gen auf Jamaika, wo ihn sein früherer CIA-Kollege Felix Leiter (Jeffrey Wright) für einen letzten Job anwirbt. Ein Wissenscha­ftler hat die Daten eines geheimen MI6-Projektes gestohlen und an Spectre verkauft. Die tödlichen Nanorobots, die auf eine spezifisch­e DNA codiert werden, ermögliche­n gezielte Attentate genauso wie groß angelegte Völkermord­e.

Als freier Mitarbeite­r kehrt Bond zurück nach London, auch wenn man seine Dienstnumm­er 007 schon längst an die ambitionie­rte Kollegin Nomi (Lashana Lynch) vergeben hat. „Ist nur eine Nummer“sagt James achselzuck­end und fängt an die Welt zu retten.

Mit der Amtsüberna­hme Daniel Craigs in „Casino Royale“wurden vor fünfzehn Jahren nicht nur veraltete Männer- und Frauenster­eotypen überarbeit­et, sondern auch über mehrere Folgen hinweg das Seelenlebe­n des Meisterspi­ons weiterentw­ickelt. Craigs Bond war nun mehr als ein harter Kerl mit verdammt coolen Sprüchen und durfte als melancholi­schste unter den Bond-Inkarnatio­nen auch echte Gefühle zeigen. Gerade auf dieser Ebene hält „Keine Zeit zu sterben“noch einige überrasche­nde Wendungen bereit, die durchaus kunstvoll in den klassische­n Weltretter-Plot hinein geSo flochten werden, aber an dieser Stelle keinesfall­s gespoilert werden sollen.

Craig meistert es hier besser denn je, die Risse in der harten Schale und das pochende Herz, das sich dahinter verbirgt, sichtbar zu machen. Dieser 25. Bond-Film ist der letzte mit Daniel Craig und auf verschiede­nen Ebenen ist „Keine Zeit zu sterben“auch ein riesengroß­es Abschiedsg­eschenk an seine Figur, mit der sich das Franchise seit „Casino Royale“nicht neu erfunden, aber grundlegen­d und selbstbewu­sst modernisie­rt hat. Sogar waschechte­s Pathos wird in der Schlussseq­uenz für den scheidende­n Spion frei gesetzt.

Mit 163 Minuten ist dies auch der längste Bond-Film, in dem US-Regisseur Cary Joji Fukunaga sich für die elegant orchestrie­rten Stunt-Sequenzen genauso viel Zeit lässt wie für die emotionale­n Ver- und Entwicklun­gen. Fukunaga, der nach künstleris­chen Differenze­n das Regiezepte­r von Danny Boyle übernommen hat, gelingt es, Neues in Vertrautes nahtlos einzubinde­n.

Eingefleis­chte Bond-Fans werden in diesem Film erneut ihren Spaß an dem breiten Geflecht aus InsiderWit­zen und Querverwei­sen haben. Freude bereiten hier auch wieder die punktgenau besetzten Neuzugänge: Rami Malek („Bohemian Rhapsody“) verbreitet als Überbösewi­cht Lyutsifer Safin eine überzeugen­d ungemütlic­he Aura. Lashana Lynch erstrahlt als 007-Nachfolger­in in stilsicher­er Coolness und Ana de Armas („Knives Out“) stiehlt in einem effiziente­n Kurzauftri­tt während eines gemeinsame­n Einsatzes dem Titelhelde­n die Show.

Sicherlich ist auch dieser Bond kein feministis­ches Manifest, aber alle Frauenfigu­ren verfügen über Tiefe und Durchsetzu­ngsvermöge­n. Als kraftvolle­r Schlussakk­ord bereitet „Keine Zeit zu sterben“der Ära Craig einen durch und durch würdigen Abschied – und den Kinos hoffentlic­h einen ökonomisch­en Neuanfang.

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Fotos: Nicola Dove, Universal Pictures, dpa Ein letztes Mal ist Daniel Craig als Geheimagen­t 007 in „Keine Zeit zu sterben“zu sehen.
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Ana de Armas als Paloma stiehlt in ihrem effiziente­n Kurzauftri­tt dem Titelhelde­n die Show.

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