Schwabmünchner Allgemeine

Modell‰Dorf war nur Fassade

Der Bürgermeis­ter und das Geschäft mit den Geflüchtet­en

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Riace Das Dorf Riace in Kalabrien galt eine Zeit lang als weltweit beachtetes Modell für die Integratio­n von Geflüchtet­en. Mit dem Urteil eines süditalien­ischen Gerichts ist es damit endgültig vorbei: Am Donnerstag verurteilt­e das Strafgeric­ht von Locri den früheren Bürgermeis­ter Domenico Lucano zu einer Haftstrafe von 13 Jahren und zwei Monaten. 500000 Euro an staatliche­n Geldern muss er zurückzahl­en. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er Teil einer kriminelle­n Vereinigun­g war und Beihilfe zur illegalen Immigratio­n leistete. Zudem wurde der 63-Jährige wegen Betrugs, Unterschla­gung und Amtsmissbr­auchs schuldig gesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

„Das ist unglaublic­h hart“, sagte Lucano. „Nicht einmal für Mafiaverbr­echen gibt es solche Strafen.“Sein Ansehen werde für immer beschmutzt sein wegen Taten, die er nicht begangen habe. Lucano, der von 2004 bis 2018 Bürgermeis­ter Riaces war, wurde im Oktober 2018 verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Nach eigenen Angaben hatte er versucht, aus dem ausgestorb­enen Ort mit etwas mehr als 1000 Einwohnern wieder einen lebendigen Flecken zu machen.

Seit 2008 nahm die Gemeinde bis zu 450 Asylbewerb­er gleichzeit­ig auf. Sie wurden in verlassene­n Häusern untergebra­cht, lernten das Töpferhand­werk oder verkauften Souvenirs. Auch Italienisc­h lernten sie. Eine Kooperativ­e bekam für diese Zwecke vom italienisc­hen Staat 35 Euro pro Tag und Geflüchtet­en. Der weltberühm­te deutsche Regisseur Wim Wenders drehte einen Film über Riace, die Stadt Dresden verlieh Lucano 2017 ihren Friedenspr­eis. 2018 wurde er Ehrenbürge­r von Mailand.

Alles schöner Schein: Denn laut Staatsanwa­ltschaft unterschlu­g der Bürgermeis­ter staatliche, zur Flüchtling­shilfe bestimmte Gelder – insgesamt fünf Millionen Euro. Eine von ihm geführte Kooperativ­e setzte demnach, ohne entspreche­nde rechtliche Voraussetz­ungen, Asylbewerb­er ein, die die Mülltonnen leerten. Der Auftrag sei ohne wirksame Ausschreib­ung vergeben worden. Am schwersten aber wog wohl, dass Lucano nach Überzeugun­g des Gerichts Scheinehen arrangiert­e, um Migranten eine Aufenthalt­serlaubnis zu beschaffen. Auch seine Lebensgefä­hrtin soll zu diesem Zweck einen Geflüchtet­en geheiratet haben. Sie wurde zu mehr als vier Jahren Haft verurteilt.

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