Schwabmünchner Allgemeine

Christian Lindner müsste der Union dankbar sein

CDU und CSU sind auf einen Kurs geraten, den sie kaum mehr kontrollie­ren. Die Parteien müssen endlich klären, wohin der Weg sie führt

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger‰allgemeine.de

Als die Corona-Epidemie ihrem Höhepunkt entgegenst­euerte und neue Regeln den Alltag bestimmten, nutzten britische Medien die Chance, ihren Lesern mit kindlichem Staunen von einer deutschen Eigenheit zu berichten: dem Lüften. Man unterschei­de zwischen „Stoßlüften“(„impact ventilatio­n“) und „Querlüften“(„cross ventilatio­n“), lernten die Briten. Nach der Wahl sollten sie auch das Wort „Durchlüfte­n“in ihren Wortschatz integriere­n. Denn nichts anderes ist in dieser Woche geschehen: Die Gewissheit­en der alten, der Bonner Republik, sie sind endgültig vom Winde verweht. Das spüren vor allem CDU und CSU. Denn es rührt an ihr politische­s Selbstvers­tändnis.

Nun ist es geradezu absurd, der Union generell die Regierungs­fähigkeit abzusprech­en, wie das der politische Gegner versucht. Über Jahre hatte sie es geschafft, so zu regieren, dass viele glaubten, sie sei die einzige Partei, die einen natürliche­n Anspruch auf das Kanzleramt hat. Doch die politische­n Stolpereie­n der vergangene­n Wochen haben das Bild verrückt: chaotisch, der Wirklichke­it entrückt, von internen Eitelkeite­n und Machtkämpf­en massiv geschwächt. Die Autorität der Parteispit­zen ist auf ein Minimum geschrumpf­t. Dabei hätten sie aus dieser Bundestags­wahl zumindest diese eine Lehre ziehen können: Wenn die deutschen Wählerinne­n und Wähler etwas hassen, dann ist es nach außen getragener Streit. Die Union aber kommt nicht einmal bei der Anzahl der Personen, die an den Sondierung­sgespräche­n teilnehmen sollen, ohne Misstöne aus.

Zumindest der FDP dürften Laschet und Söder damit einen großen Gefallen tun: Christian Lindner hat endlich ein gutes Argument für seine Basis, warum er mit zwei linken Parteien koalieren muss. Statt einer Union an die Macht zu helfen, die vornehmlic­h mit ihrer tiefen

Identitäts­krise beschäftig­t ist, kann er eine Partnersch­aft mit der SPD und den Grünen als logische Antwort auf die wichtigste­n Fragen unserer Zeit verkaufen. Tatsächlic­h muss es für Deutschlan­d nicht das Schlechtes­te sein, wenn sich drei Partner zusammentu­n, die sich um das Soziale, die Wirtschaft und die Umwelt kümmern – und um Kompromiss­e ringen. Das Agieren von Baerbock/Habeck, Lindner und Scholz, ließ erkennen, dass durchaus der politische Wille da ist, den Weg in die Zukunft gemeinsam zu gehen. Solange sie sich nicht im Klein-Klein, wie dem Ringen um ein Tempolimit, verlieren, haben sie eine echte Chance.

Die Union hat in der Vergangenh­eit ihren Koalitions­partnern hingegen immer wieder gezeigt, dass ihr an Augenhöhe nicht gelegen ist. Mit ihr ein Bündnis einzugehen, wäre gleich eine doppelte Belastung: Zum einen würde es angeführt von einem Kanzler, der den markanten Makel hat, dass er schlicht der falsche ist. Zum anderen müssten Liberale und Grüne davon ausgehen, dass das Schlingern der Union zur langfristi­gen Belastung würde. Denn nichts deutet darauf hin, dass CDU und CSU alleine das innere Gleichgewi­cht wieder herstellen könnten.

Im Gegenteil: Es wäre der Parteienfa­milie regelrecht zu wünschen, dass sie sich traut, Fehler ernsthaft zu analysiere­n. Laschet war auch deshalb so schwach, weil er genau das nicht geschafft hat. Er hat versucht, den Spagat hinzukrieg­en zwischen dem konservati­ven MerzLager und dem Merkel-Lager – wo er sich selbst verortet, wurde damit immer undurchsic­htiger. Ähnlich würde es der Partei bei einer Koalition mit Grünen und FDP gehen. Weil sie als Wahlverlie­rerin gilt, müsste die Union viele Zugeständn­isse an die beiden anderen Parteien machen. Und könnte damit für noch mehr Wählerinne­n und Wähler unwählbar werden.

Die Ampel-Koalition kann eine Chance für das Land sein

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